Alexandre Prémat im Porträt: Auf Aiellos Spuren

(adrivo.com) Auch in der DTM hat die Grande Nation harte Zeiten hinter sich. Alexandre Prémat schickt sich an, der Motorsportnation Frankreich neuen Glanz zu verleihen.

So sehr ihre Kritiker über den internationalen Anspruch der DTM auch spotten mögen: Dass in einer Saison – wie 2000 geschehen – sämtliche Rennen von deutschen Fahrern gewonnen werden, erscheint aus heutiger Sicht fast unmöglich. Noch absurder: Aus sämtlichen Rennen einer Saisonhälfte gehen französische Piloten als Sieger hervor – wie es sich 2002 ereignete. Vor fünf Jahren präsentierte sich die Grande Nation aus DTM-Sicht auf ihrem Höhepunkt: Während Laurent Aiello mit vier Siegen in den ersten fünf Rennen den Grundstein seines DTM-Titels für Abt-Audi legte, siegte ein DTM-Debütant namens Jean Alesi gleich bei seinem dritten Rennen für Mercedes.

Seitdem ging es für Frankreich bergab: Einem letzten Aiello-Sieg auf dem Nürburgring 2003 standen die wechselhaften Ergebnisse Alesis bei HWA-Mercedes gegenüber. Und nachdem Laurent Aiello 2004 und 2005 nach seinem Wechsel zu Opel im meist unterlegenen Vectra auf das Ende seiner DTM-Karriere zusteuerte, entfernte sich 2006 auch Alesi von seinen Ansprüchen immer weiter: In einen Jahreswagen des Persson-Teams degradiert gab der frühere Formel-1-Pilot in seiner letzten DTM-Saison im Wechsel von Liebeserklärungen an Mercedes und Beschuldigungen an Benz ein eher unglückliches Bild ab. 2007 der Neuanfang mit der französischen DTM-Hoffnung: Alexandre Prémat.

„Ich bin in der Formel 1 Tests mit Spyker gefahren. Dadurch kannte ich Teamchef Colin Kolles bereits sehr gut, der vor einem Jahr bekanntlich mit seinem Team TME in die DTM eingestiegen ist“, berichtet Prémat vom Wechsel nach seiner zweiten und letzten GP2-Saison, die er auf Gesamtrang vier abschloss. Angekommen im DTM-Cockpit brachte er die Audi-Verantwortlichen schon auf seinen ersten Testkilometern davon ab, aus Marketing-Gründen einen Briten in den vierten Jahreswagen zu setzen: „So bin ich zu meinen ersten DTM-Testfahrten gekommen, wo ich der Schnellste von den getesteten Fahrern war.“ Prémat enttäuschte seine Ingolstädter Förderer nicht:

Mit der absoluten Bestzeit bei den ITR-Testfahrten in Oschersleben und Top-Platzierungen bei den Trainingssessions zum Hockenheimer Saisonauftakt führte der Franzose seinen Siegeszug fort – und erhielt mit Startplatz 18 den ersten Dämpfer. „Was ich von Alexandre bis dahin gesehen hatte, hat mich sehr positiv gestimmt. Er und Paul di Resta werden sich über die Saison sicherlich noch stark anspornen“, ließ sich Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich dennoch nicht von seinem Vertrauen in Prémat abbringen – und wagte eine Prognose, die sich im weiteren Saisonverlauf noch als goldrichtig erweisen sollte. Doch zunächst mussten sich Ullrich und Prémat in Geduld üben: Im ersten DTM-Rennen kam der 25-Jährige keine zwei Kilometer weit.

„Ich habe vielfältige Dinge getan. Rehabilitation, Meditation, viel Sport. Ich wurde angeleitet von einem in Frankreich sehr bekannten Professor, der schon Michael Schumacher nach seinem Beinbruch in Silverstone 1999 oder auch den Fußballer Ronaldinho betreut hat“, berichtet Prémat von den Wochen nach dem folgenschweren Hockenheimer Startcrash, der auch Tom Kristensen für Wochen aus dem Rennalltag riss. Doch während der Däne in seinem Ferienhaus noch mit den Spätfolgen eines mittelschweren Schleudertraumas rang, wagte Prémat schon vier Wochen später auf dem EuroSpeedway Lausitz das Comeback: „Ich habe mich auf den ersten Runden sehr gut gefühlt, wobei ich anfangs noch Angst vor möglichen Auswirkungen der vielen Vibrationen hatte. Doch schnell stellte sich das als unbegründet heraus.“

Mit Startplatz sechs machte der Sohn eines Rallye-Fahrers und Transportunternehmers den Hockenheimer Qualfying-Fauxpas bereits bei seiner Rückkehr vergessen – musste auf die erste Zielankuft jedoch noch bis Brands Hatch warten. „Besonders mit Gary Paffett ist der Zweikampf eine Herausforderung: Vielleicht habe ich es damals auf dem Lausitzring im Duell mit ihm etwas übertrieben und war zu optimistisch“, blickt der Phoenix-Pilot auf seinen Klettwitzer Crash in der ersten Kurve zurück – und gesteht, sich mit dem tourenwagentypischen Zweikampfverhalten der DTM nach zahlreichen Jahren im Formelsport noch schwer zu tun. Und obwohl drei Wochen später in Brands Hatch eine Serie von vier Punkteankünften in Folge begann, macht Prémat eine weitere fahrerische Baustelle in seiner Debütsaison aus: „Insgesamt habe ich noch Probleme mit der Konstanz: Mal bin ich im Rennen gut und im Qualifying schlechter, mal umgekehrt.“

Doch welche Bedrohung ginge von Alexandre Prémat für die sieben übrigen Jahreswagenpiloten aus, wenn die Konstanz des Franzosen noch höher wäre? Dem unverschuldet katastrophalen Saisonstart zum Trotz präsentiert sich der Audi-Pilot mit 13 Punkten als erfolgreichster 2006er-Pilot der Ingolstädter, von zwei Startplätzen in Startreihe zwei und zwei Starts aus der dritten Reihe kann selbst Ex-DTM-Champion und Persson-Pilot Gary Paffett nur träumen. Auch Paffetts historischer Jahreswagen-Sieg in Oschersleben hätte in Zandvoort beinahe seine Einzigartigkeit verloren: Scheinbar mühelos ließ Prémat in der Endphase des Zandvoort-Rennens Audi-Titelkandidat Martin Tomczyk hinter sich, hätte einen sicheren ersten Sieg eingefahren – und ließ den Bayern wenige Meter vor dem Ziel passieren.

Sollte keiner der vier Abt-Audi-Piloten der DTM für 2008 den Rücken kehren, muss Prémat zwar wohl ein weiteres Jahr mit einem Vorjahresfahrzeug vorlieb nehmen. Doch schon jetzt scheint der Pariser auf dem besten Wege, sein Ziel zu erreichen: Der auf der Motorsport-Weltkarte so kleinen Grande Nation zu neuer Größe zu verhelfen. „Zu Alain Prosts Zeiten gab es die Höhepunkte. Doch zurzeit gibt es in Frankreich keine große Motorsportbegeisterung. Das ist schade für die französischen Fahrer“, beklagt Prémat. „Es gibt einfach nicht genug gute französische Fahrer. Da gibt es neben mir noch Sébastien Bourdais, der 2008 sein Formel-1-Debüt gibt. Aber die Formel 1 ist einfach nicht das Richtige für mich – sie ist mir viel zu kommerziell.“

Vor wenigen Monaten äußerte Prémat durchaus noch Formel-1-Ambitionen – was im Vergleich zu jüngsten Aussagen zeigt, wie gut sich die französische Nachwuchshoffnung auch mental in die DTM eingelebt hat. Privat liebt Prémat, der auch englischen Vokabeln grundsätzlich eine französische Aussprache verleiht, das Pariser Großstadtleben mit seinen Partys und seiner kulinarischen Vielfalt. Sportlich lässt Prémat, der zu den besttrainierten Fahrern im Feld zählt, keinen Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit: „Wenn ich mich als Nachfolger von Laurent Aiello und Jean Alesi etablieren kann, wird das meiner Karriere sehr gut tun.“

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