Es war eine schnelle WM-Entscheidung: Sébastien Ogier und sein Beifahrer Julien Ingrassia sicherten sich bereits nach zehn von 13 Läufen der Rallye-Weltmeisterschaft den Titel. Den Sieg in der Herstellerwertung errang Volkswagen mit dem Polo R WRC sogar noch eine Rallye früher. Tim Westermann hat sich mit dem 31 Jahre alten Weltmeister über die Saison 2015 und die Zukunft unterhalten.
Sie sind gerade zum dritten Mal Rallye‐Weltmeister. Ist dieser Titel etwas Besonderes?
„Grundsätzlich ist jeder Weltmeister‐Titel für mich etwas Besonderes, denn dahinter steckt immer sehr viel Arbeit und ein großartiges Team. Natürlich wird der erste Titel aus 2013 für mich immer der Wichtigste bleiben. Julien und ich haben jahrelang dafür gekämpft und uns einen Traum erfüllt. Das es dann mit dem Titelgewinn ausgerechnet auch noch bei der Rallye Frankreich geklappt hat, war das Sahnehäubchen obendrauf. Beim zweiten Titel war es die Bestätigung, dass wir beim ersten nicht nur Glück gehabt haben. Und der Hattrick? Dieser dritte Titel erfüllt mich mit Stolz. Wir hatten eine nahezu perfekte Saison, haben keine Fehler gemacht.“
Welche Rolle spielt Julien Ingrassia?
„Ganz einfach: Ohne guten Co‐Piloten ist der beste Rallyefahrer nichts. Julien und ich verstehen uns ohne Worte, wir haben blindes Vertrauen in die Fähigkeiten des jeweils anderen. Wir sind fast wie ein altes Ehepaar. Fast so wichtig wie ein guter Aufschrieb ist aber Juliens Organisationstalent. Er führt akribisch Zeitplan zu jedem Rallye‐Wochenende. Er weiß, wann wir morgens los müssen, wann PR‐Termine warten oder um welche Uhrzeit das Teambriefing ansteht. Ehrlich gesagt, bin ich in solchen Dingen manchmal etwas bequem.“
Wie haben sie sich kennengelernt?
„Das war Ende 2005. Julien hat damals zugeschaut, als ich an einem Nachwuchswettbewerb (Rallyes Jeunes; Anm. d. Red.) des französischen Verbandes teilgenommen habe. Ich habe den Wettbewerb unter einigen tausend Mitbewerbern am Ende gewonnen. Der Sieger bekam einen Startplatz im Peugeot‐206‐Cup, und so hat unsere Karriere begonnen. Schon beim ersten Treffen haben wir uns gut verstanden und es seitdem nicht bereut (lacht).“
Was war das wichtigste aus Ihrer Sicht, was zum großen Erfolg der zurückliegenden Jahre beigetragen hat?
„Unsere Mannschaft bei Volkswagen hat jede Menge Qualitäten, aber einer der Schlüssel ist sicherlich, dass jeder einzelne im Team immer noch hungrig auf Siege ist. Obwohl wir jetzt schon im dritten Jahr Erfolge in Serie gewinnen, ruht sich niemand auf den Lorbeeren aus. Das ist unser Garant für einen unübertroffenen Teamspirit. Das macht unser Team so stark.“
Welche Rallye oder welcher Sieg war für Sie am Emotionalsten?
„Ehrlich gesagt, das ist eine schwierige Frage. Wir haben so viele tolle Events im Kalender. Aber zwei Rallyes waren besonders emotional und wichtig für mich. Zum einen der Sieg bei der Rallye Monte Carlo. Für mich ist es meine Heimrallye, weil ich ganz in der Nähe in Gap aufgewachsen bin. Dazu ist die Atmosphäre einzigartig, beinahe mythisch. Und es ist die berühmteste Rallye auf der Welt. Der Sieg dort, vor den Augen meiner Familie und Freunde, war ein grandioses Gefühl. Und dann der Erfolg bei der Rallye Deutschland, nach dem wir dort mit VW zuvor jedesmal gescheitert waren. Julien und ich wollten den Sieg unbedingt für unsere Mannschaft beim Heimspiel von Volkswagen holen. Das war einer der schönsten Momente zu erleben, wie sehr sich alle über diesen Erfolg gefreut haben.“
Ihr Teamkollege Jari‐Matti Latvala hat vor kurzem zum zweiten Mal in Folge die Rallye Frankreich gewonnen. Es scheint er ist im Polo R WRC angekommen, nach dem Sie das Auto maßgeblich entwickelt haben. Was erwarten Sie von ihm im Jahr 2016?
„Ganz klar, wie in diesem Jahr rechne ich mit ihm als meinem Hauptkonkurrenten im Kampf um den WM-Titel. Jari‐Matti ist unglaublich schnell. Nicht nur auf Schotter, wie er in Finnland wieder eindrucksvoll bewiesen hat, sondern mittlerweile auch auf Asphalt wie die Siege in Frankreich zeigen. Mein Fahrstil ist sicher etwas weniger spektakulär im Vergleich, aber dadurch auch etwas Reifen schonender. Das hat mir bei einigen Rallyes zum Sieg verholfen.“
Der Youngster im Volkswagen-Motorsport‐Team, Andreas Mikkelsen, fährt mit seinem Co‐Piloten Ola Floene eine bärenstarke Saison: Ist aus dem Duell mit Jari‐Matti Latvala der vergangenen Jahre inzwischen ein Dreikampf geworden?
„Nicht nur ein Dreikampf, es gibt einige Piloten, die um Siege fahren können. Andreas gehört aber in jedem Fall dazu. Er hat einige sehr starke Rallyes gezeigt, nicht nur bei unserem dramatischen Duell dieses Jahr in Schweden. Und mit der kürzlich verkündeten Vertragsverlängerung im Rücken, bekommt seine Motivation sicher noch einen Extraschub. Sein erster Sieg wird sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.“
Ein deutsches Team und ein französischer Fahrer: Was ist das Erfolgsgeheimnis hinter dieser Konstellation?
„Nicht zu vergessen, meine deutsche Frau (lacht). Wie schon erwähnt liegt das Geheimnis in unserem Teamspirit. Und unser Team ist ja kein rein deutsches Team, bei uns sind mehr als 20 Nationen vertreten – aus Portugal, Frankreich, Belgien, Holland, Polen, Italien und vielen mehr. Cal, einer meiner Mechaniker, kommt sogar aus Australien. Jeder bringt ein bisschen von seiner Mentalität mit ins Team. Aber zugegeben, die perfekte Organisation und Pünktlichkeit haben wir sicherlich der deutschen Mentalität zu verdanken.“
Werden Sie Sébastien Loebs Rekord von neun WM‐Titeln knacken?
„Darüber denke ich noch nicht nach, ich bin erstmal glücklich mit meinem dritten Titelgewinn – nächstes Jahr geht die Saison wieder bei null los. Rekorde und Statistiken haben für mich generell keine große Bedeutung, auch wenn ich natürlich einen riesigen Respekt vor seiner Leistung habe. Ich habe jetzt drei Titel, könnte Loeb also frühestens in sechs Jahren einholen. Ich weiß aber heute noch nicht einmal, ob ich in sechs Jahren überhaupt noch Rallyes fahre.“
Was käme denn dann in Frage, die Formel 1 oder eine andere Rennserie?
„Für eine Karriere in der Formel 1 bin ich zu alt. Aber ein Test in einem Formel 1‐Wagen wäre auf jeden Fall ein Traum. Die Formel 1 ist immerhin das Schnellste, was man im Rennsport mit Autos erleben kann. Außerdem würde mich das 24‐Stunden‐Rennen in Le Mans interessieren. Die LMP1‐Prototypen sind faszinierende Autos. Es würde für mich aber nur Sinn machen, wenn ich vorher ausreichend testen könnte. Ein Start in Le Mans käme für mich nur in Frage, wenn ich wettbewerbsfähig wäre.“