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eBike ABS
Die Zweiradtechnik hat mit der Präsentation des ersten serienreifen Antiblockiersystems für Pedelecs von Bosch eBikes Systems einen wichtigen Meilenstein erreicht. Ob diese aufwendige Technik später den Sprung in das echte Fahrrad schafft, bleibt heute noch ungewiss. Die Entwicklung läuft eher in eine andere Richtung. Offensichtlich entwickelt sich das Pedelec immer mehr vom Fahrrad weg: Die Akkus verschwinden in voluminöse Rahmenrohre, leistungsstarke Beleuchtungseinrichtungen beziehen die Energie aus der Traktionsbatterie, multifunktionale Bordcomputer bieten mannigfaltige Informationen, die Schaltung wandert vom Hinterrad in den Mittelmotor und die Hersteller übertrumpfen sich mit opulenten Drehmomenten.
Doch was bleibt vom Fahrrad mit elektrischer Tretunterstützung, wenn auch angesichts der Tempo- und Tuningwünsche von Fahrradkunden einige Händler bei einer Umfrage der Branchenzeitschrift SAZ eine Unterstützung bis 35 km/h wünschen? Vielleicht landen wir wieder beim Mofa, was auch nur noch die Pedale mit einem Fahrrad teilte und schließlich mittels einer Motorrad-Helmpflicht ausgebremst wurde. Ab Herbst 2018 sollen laut Bosch Pedelecs mit eBike ABS im Handel erhältlich sein. Man darf gespannt sein, ob der ehrgeizige Zeitplan in die Produktionszyklen der Fahrradindustrie passt.
Das eBike ABS soll es nur komplett als Mehrausstattungsoption bei neuen Pedelecs mit 28 Zoll Laufrädern und Vierkolben-Scheibenbremse Magura CMe geben. Bosch benennt Magura als langjährigen Entwicklungspartner für Bremstechnologien. Der Aufpreis für das eBike ABS ist natürlich Sache des Fahrradherstellers und wird bei etwa 500 Euro liegen. Damit ein ABS im Vorderrad richtig funktioniert, ist immer eine besondere stabile, biegesteife und damit kostspielige Gabel erforderlich, um negative Rückwirkungen auf die Regelung zu unterbinden.
Der Bremsenspezialist BrakeForceOne aus Tübingen hatte bereits auf der Eurobike 2016 ein sehr frühes Muster seines eBike ABS präsentiert. Bei der Betätigung des Bremshebels drückt der Bremsdruck die Bremsbeläge – vereinfacht dargestellt – an das rotierende Rad. Bei einer guten Bremse wird allgemein die resultierende Bremskraft bzw. Abbremsung von der Reifenhaftung auf der Fahrbahn begrenzt – nach der Haftreibung folgt die geringe Gleitreibung des blockierenden Rades. Ein blockierendes Rad bremst folglich schlechter und kann außerdem keine Seitenführungskräfte übertragen; das Rad bzw. das Fahrzeug kann also seitlich ausbrechen.
Ein ABS sorgt für eine Begrenzung der Bremskraft knapp unter der maximalen Reifenhaftung. Beim Zweirad hat das ABS für das Vorderrad eine weitere wichtige Funktion: Es kann durch die Regulierung der Bremskraft das Abheben des Hinterrades, also einen gefährlichen Überschlag verhindern. Wie funktioniert das Bosch eBike ABS? Es reguliert nur den Bremsdruck der Vorderbremse und ist folglich ein Einkanal-ABS. Dennoch hat auch das Hinterrad – genauso wie das Vorderrad – einen Drehzahlsensor auf magnetischer Basis mit Aluminium-Lochscheibe (Impulsscheibe), welche fest mit der Bremsscheibe verbunden ist. Die Signale beider Sensoren werden von der ABS-Elektronik ausgewertet. Ein steiler Abfall der Raddrehzahl am Vorderrad wird als drohende Radblockade erkannt.
Der Bremsdruck wird so lange abgesenkt, bis die Raddrehzahl wieder normale Werte erreicht. Eine Drehzahlabweichung des Hinterrades zum Vorderrad wird als Abheben des Hinterrades erkannt, womit ebenfalls eine Absenkung des Bremsdruckes wieder für stabile Fahreigenschaften sorgt. Diese Funktionsdarstellung ist natürlich stark vereinfacht; die Regelalgorithmen sind deutlich komplizierter. Die etwas unförmige Systemeinheit mit den hydraulischen Aktoren und Sensoren sowie der Elektronik wird am Lenker unterhalb des Vorbaus befestigt.
Zur 12 Volt-Energieversorgung wird die Pedelec-Batterie angezapft. Damit eine mehrstündige Energiereserve für die Beleuchtung und das ABS übrig bleibt, sorgt die Lade- und Entladeregelung der Traktionsbatterie für eine rechtzeitige Abschaltung der Tretunterstützung. Laut Bosch beträgt die Leistungsaufnahme bei einem Regeleingriff rund vier Ampere. Im Leerlauf soll das System mit weniger als 0,2 Ampere auskommen. Das Bosch eBike ABS führt nach jedem Einschalten eine komplette Eigendiagnose durch. Die ABS Warnleuchte sollte nach wenigen Metern Fahrstrecke ausgehen und Betriebsbereitschaft signalisieren. Bei etwaigen Fehlfunktionen oder zu niedriger Versorgungsspannung leuchtet sie wieder auf. Die einfache Funktion der Bremsen ist aber auch bei einer Störung gewährleistet.
Ferner kann es zukünftig mittels der von Werkstätten vorgehaltenen Bosch Pedelec-Diagnosesoftware ausgelesen werden. Wie auch in einem Auto oder Motorrad funktioniert das eBike ABS ab einer Geschwindigkeit oberhalb von etwa 6 km/h. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat das Unternehmen bereits mehr als zwei Millionen Antiblockiersysteme für Motorräder gefertigt. Im Frühjahr 2015 ging mit dem Front-ABS der Generation 9 eine kostengünstige Ein-Kanal-Lösung für Motorräder in Serie.
Doch das eBike ABS hat eine bedeutsame Vereinfachung im Vergleich zu Kfz-Systemen: Es verfügt über keine Rückförderpumpe. Daher kann der Bremshebel bei einer längeren Bremsung mit sehr vielen Regeleingriffen sehr langsam „durchsacken“. Der Bremshebel fällt aber nicht gegen den Endanschlag, sondern die ABS Funktion wird rechtzeitig eingestellt, weil die Regelelektronik die „verbrauchte“ Flüssigkeitsmenge erkennt und so die volle Bremswirkung – nur dann ohne ABS – sicherstellt. Um wieder die ABS-Funktion nutzen zu können, muss der Bremshebel kurz gelöst werden, damit wieder ein Flüssigkeitsvolumen im Hydrauliksystem für die Regeleingriffe zu Verfügung steht.
Bei einem Regeleingriff wird immer eine sehr geringe Flüssigkeitsmenge in das Reservoir der Bremse entlassen, um den Bremsdruck zu verringern. Systeme mit Rückförderpumpe können diese Flüssigkeitsmenge während des Bremsvorgangs wieder in den Arbeitskreis drücken, benötigen aber sehr viel elektrische Energie. Von der Theorie zur Praxis: Das Bosch eBike ABS funktionierte bei den Probefahrten tadellos. Die Magura Vierkolben-Scheibenbremsen packen mit guter Dosierbarkeit bei moderaten Betätigungskräften sehr kräftig zu.
Richtig spannend wird es indes mit dem eBike ABS, wenn beide Bremshebel bei Tempo 25 kräftig durchgerissen werden: Das System bietet stets atemberaubende Verzögerungswerte – auf griffigem Asphalt, rutschigem Splitt oder lockerer Erde. Das Abheben des Hinterrades wird stets verhindert; auch bei moderaten Gefällstrecken. Für das Ausloten der Systemgrenzen hätte ich mir eine MTB-Strecke gewünscht, die es leider im Umkreis nicht gab. Bei rabiaten Bremsungen blockiert das Hinterrad systembedingt, ist aber zumindest auf halbwegs griffigen Fahrbahnen von einem routinierten Fahrer gut in der Spur zu halten.
Kritisch kommentiert, wird ohne Übung und Fahrpraxis praktisch das Potenzial der Bremsanlage und damit auch eines ABS nicht oder nur teilweise ausgenutzt. Besonders den Pedelec-Wiedereinsteigern der Generation 50+ fehlt es aber oft an Erfahrung für optimales Bremsen. Viele ältere Fahrradfahrer und Pedelec-Fahrer bremsen praktisch nur mit dem Hinterrad, gern auch mit einer wirkungsarmen Rücktrittbremse. Leider ist eine genaue Zuordnung der Bremsenbenutzung und etwaiger Überschläge auch aus den bisher bekannten Daten der Bosch Unfallforschung nicht erkennbar. Fazit: Die neuen elektronischen Antiblockiersysteme sind primär für Pedelecs entwickelt. Sie benötigen eine Energieversorgung, die leistungsfähige Batterien voraussetzt.
geschrieben von MID veröffentlicht am 12.01.2018 aktualisiert am 12.01.2018
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