Bosch will den Parallel-Hybrid in die kleinen Klassen bringen

Seit 2007 arbeitet Bosch mit an der neuen Interpretation des Hybriadantriebs. Jetzt gehen mit den Hybridvarianten des Volkswagen Touareg und Porsche Cayenne S die weltweit ersten Parallel-Vollhybride in Serie. Moderne Steuerungstechnik managt darin das Zusammenspiel von Verbrennungsmotor und E-Maschine. Eine mechanische Leistungsverzweigung entfällt. Ein wesentlicher Vorteil des gemeinsam mit den Automobilherstellern entwickelten Systems ist der einfache Aufbau.

Es ist nicht einfach, sich im Gewirr der „parallelen“, „seriellen“, „milden“ und „vollen“ Hybride zurecht zu finden. Bei den Hybridvarianten des Volkswagen Touareg und Porsche Cayenne handelt es sich um Vollhybride, die im Gegensatz zum Mildhybrid, rein elektrisches Fahren über kurze Distanzen zulassen.

Beide Hersteller setzen bei der gemeinsamen Geländewagen-Plattform auf ein Parallel-Hybrid-System von Bosch. Und das hat es in sich: Denn hier ersetzt Intelligenz die Mechanik: Statt einer Leistungsverzweigung per Planetengetriebe verteilt Steuerungs- und Regeltechnik die Antriebsmomente zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor. Das reduziert Kosten und Komplexität. „Zudem ist unsere E-Maschine praktisch autark. Sie können jederzeit rein elektrisch fahren,[foto id=“303162″ size=“small“ position=“right“] indem Sie die Kupplung öffnen und den Verbrennungsmotor ausschalten“, erklärt Oliver Schlesiger, der von Bosch-Seite das Kundenprojekt leitete.

Erste Hybride hatte Bosch schon in den 70er Jahren zum Fahren gebracht. Seither wurde die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet kontinuierlich ausgebaut. Mittlerweile ist eine Mannschaft von 500 Experten mit der Entwicklung elektrischer Antriebe befasst.

Den Schlüssel für das nun realisierte System lieferte ausgerechnet der Fortschritt beim Verbrennungsmotor. „Grundlegendes Know-how haben wir uns bei der Entwicklung direkteinspritzender Ottomotoren erarbeitet“, erklärt Schlesiger. Er selbst ging seine ersten Schritte bei Bosch in Projekten, aus denen das erste Motronic-Steuergerät für Direkteinspritzer hervorging. Beim Programmieren dieser Motronic lernten die Ingenieure, momentenneutral zwischen den verschiedenen Betriebspunkten umzuschalten. „Damit kann die Motronic heute jede zusätzliche Momentenquelle sanft zuschalten“, erklärt der Ingenieur.

Genau dieses sanfte Zuschalten ist gefragt, wenn die E-Maschine an den Verbrenner abgibt, beide zusammen wirken oder der Verbrennungsmotor den Betrieb vorübergehend einstellt. Das passiert bei den Parallel-Vollhybriden von Volkswagen und Porsche automatisch. „Maßgeblich ist allein der Wunsch des Fahrers nach Drehmoment“, stellt Dr. Matthias Küsell, Leiter der Hybrid-Entwicklung bei Bosch, klar.

Anders ausgedrückt: die Steuerung liest dem Fahrer die Wünsche vom Gasfuß ab. Je nachdem, ob er im Stadtverkehr moderat beschleunigt, bei freier Fahrt zum Sprint ansetzt, zügig auf Autobahn und Landstraße unterwegs ist, oder ob er nur „mitsegeln“ möchte – die Steuerung übersetzt den Druck aufs Gaspedal in elektrisches, hybrides oder verbrennungsmotorisches Fahren. Umgekehrt errechnet sie anhand des Bremspedalweges, welches Bremsmoment durch die E-Maschine gestellt werden soll. „Sicherheitssysteme wie ABS oder ESP haben ohnehin Vorrang“, so Küsell.

Ein Hybrid wäre ein ziemlich nerviges Auto, wären die Übergänge zwischen den Antrieben spürbar. Ruckeln ist Tabu. Doch wie lässt sich der Sechszylinder-V-Motor von Cayenne und Touareg auf wenige Millisekunden genau mit der E-Maschine von Bosch synchronisieren? Wie erreichen die Entwickler, dass 245 kW / 333 PS und bis zu 440 Newtonmeter [foto id=“303163″ size=“small“ position=“left“]Drehmoment des Direkteinspritzers sanft mit 34 Kilowatt / 47 PS und 300 Newtonmeter der E-Maschine zusammenfließen?

Um es zu begreifen, lohnt sich ein Blick auf den Systemaufbau. Zwischen Verbrennungsmotor und Acht-Gang-Automatikgetriebe der SUVsitzt die E-Maschine. Das Hybridmodul vereint bei 30 Zentimetern Durchmesser auf 145 Millimetern Länge den Integrierten Motor Generator (IMG), eine eigene, per Aktuator ansteuerbare Kupplung, eine Wasserkühlung und natürlich die Permanent-Magneten und Spulen von Rotor und Stator. Obendrein haben die Entwickler digitale Sensoren darin untergebracht, um ständig die jeweilige Rotorlage zu überwachen.

Der IMG kann Volkswagen und Porsche bis zu 60 km/h allein antreiben. Beim Sprint arbeitet er mit dem Verbrenner zusammen und treibt die Parallel-Hybride in unter 6,5 Sekunden von Null auf 100 Kilometer pro Stunde. Bei diesem „Boosten“ steigt die Leistung auf 279 kW / 380 PS, wobei der Fahrer bis zu 580 Newtonmeter Drehmoment abrufen kann. In ruhigeren Fahrsituationen und beim Bremsen arbeitet der IMG dagegen als Generator und leitet den so erzeugten Strom an ein weiteres Kernelement der Hybridfahrzeuge weiter: die Leistungselektronik.

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Auch die Leistungselektronik liefert Bosch. Sie ist im Wasser-Kühlkreislauf integriert, denn das Gerät birgt auf zehn Litern Volumen eine Hochleistungs-Trafostation. Hier passiert zweierlei: Einerseits vermittelt das Gerät zwischen dem 288 Volt (370 Ampere)-Netz des Hybridantriebs und dem Zwölf-Volt-Bordnetz der Fahrzeuge. Andererseits wandeln Bipolar-Transistoren den Gleichstrom der Batterie in dreiphasigen Wechselstrom für die E-Maschine und umgekehrt.

Die Betriebsstrategie dieser Komponenten kontrolliert ein Hybrid-Steuergerät. Bei ihrer Entwicklung konnte das Küsell-Team auf der Motronic für die Direkteinspritzung aufbauen. Know-how floss zudem von Start-Stopp-Systemen ein. Denn sie lehrten die Entwickler, Verbrenner in unterschiedlichen Betriebszuständen schnell und ruckfrei zu starten. Voraussetzung: Sensoren versorgen die Steuerung ständig mit Daten über Temperaturen, Position der Kolben oder die Drehzahl des Motors. „Die entsprechenden Protokolle und Schnittstellen sind ein Ergebnis der Start-Stopp-Technik“, erklärt Küsell. Vorher sei es ja nicht üblich gewesen, Verbrenner an Ampeln ab- und anzuschalten.

Auch Cayenne- und Touareg-Hybrid schalten den V6-Motor im Stand ab, um Sprit zu sparen. Sofern es der Ladezustand der Batterie zulässt, fahren sie anschließend rein elektrisch los. Der Verbrenner setzt erst später ein. Und noch etwas ist neu: Wenn der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt, stellt der Verbrennungsmotor den Betrieb ein. Bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h ist diese „Segelfunktion“ aktivierbar. Sie spart Benzin und versorgt durch ganz sachtes generatorisches Mitlaufen der E-Maschine das Zwölf-Volt Bordnetz.

Sobald der Verbrenner wieder gebraucht wird, muss es schnell gehen. Ausführendes Organ ist ein adaptives Kupplungssystem. Für den Fahrer unbemerkt, ertastet es regelmäßig den Punkt, an dem der Verbrenner beginnt, Moment zu übertragen. Diesen „Tastpunkt“ legt es als Referenzwert für den nächsten Antriebswechsel in der Hybrid-Steuerung ab. Dort gehen zudem Sensordaten aus IMG, Verbrennungsmotor, Batterie und weiteren Komponenten ein. Die Steuerung analysiert [foto id=“303165″ size=“small“ position=“right“]den Datenstrom in Echtzeit, zieht Rückschlüsse auf weitere, nicht überwachte Bauteile und kann so das Ineinandergreifen der Antriebe über die Aktuatorik der Kupplung in wenigen Millisekunden regeln.

Oliver Käfer, Systemingenieur bei Bosch, sieht in diesem Prozess den technologischen Kern der Parallel-Vollhybride. „Sobald beim elektrischen Fahren der Betriebspunkt erreicht ist, an dem der Verbrenner zuschalten soll, kommt das Kupplungssystem zum Tragen“, erläutert er. Die Kupplung schließe nur so weit, dass der ruhende Verbrennungsmotor angerissen werde und öffne dann wieder. Somit sei ein Minimum an Energie zum Starten des Verbrennungsmotors erforderlich. „Sobald der Verbrenner die gleiche Drehzahl erreicht wie die E-Maschine, schließt die Kupplung ganz“, erklärt er. Dieser Vorgang dauere weniger als ein Wimpernschlag und sei für den Fahrer nur an der Drehzahlanzeige wahrnehmbar.

Unter anderem dank des parallelen elektrischen Antriebs begnügen sich der Touareg Hybrid und Cayenne S Hybrid im EU-Zyklus mit 8,2 Liter Benzin auf 100 Kilometern (193 Gramm CO2 pro Kilometer). Gegenüber dem V8 aus den Fahrzeugen der ersten Generation verbrauchen die Parallel-Hybride bis zu 40 Prozent weniger Kraftstoff.

Doch damit geben sich die Bosch Entwickler nicht zufrieden. Das System soll schnell aus der Oberklasse in den Volumenmarkt finden, um sein umwelt- und klimaschützendes Potenzial voll auszuschöpfen. „Die exakte Ansteuerung und das kontrollierte Zusammenspiel zwischen E-Maschine und Verbrennungsmotor ist dazu prädestiniert, extremem Downsizing den Weg in den Massenmarkt zu ebnen“, erklärt Küsell. Denn dies könne die systembedingte Unruhe hoch aufgeladener, direkteinspritzender Zwei- und Dreizylinder-Motoren ausbügeln. „Auch Zylinderabschaltung ist im Zusammenspiel der Antriebe ohne Komforteinbußen machbar“, sagt er.

Zentrale Voraussetzung für eine schnelle Marktdurchdringung sind sinkende Kosten. Das haben die Bosch-Entwickler von Anfang an bedacht. Sämtliche Hybrid-Systeme sind modular aufgebaut, können also aus dem Baukasten an Fahrzeuge verschiedener Hersteller appliziert werden. Das verspricht über steigende Stückzahlen sinkende Systemkosten. Nur so kann Hybrid-Technologie den Weg in Volumenmodelle finden. Dass dies keine Vision für ferne Zukunft ist, zeigt die vielfältige Zusammenarbeit mit führenden Automobilherstellern – darunter eine Hybrid-Entwicklungskooperation mit dem französischen PSA-Konzern.

Künftig sollen die Kunden bei Bosch aus einer Hand komplette, aufeinander abgestimmte elektrische Antriebe samt Lithiumionen-Batterien bekommen. Bosch ist dafür ein Joint Venture mit Samsung SDI eingegangen. Das gemeinsame Unternehmen SB LiMotive baut derzeit in Korea Fertigungslinien auf. Ab 2011 können dort die ersten Hochleistungsbatterien für Hybride gefertigt werden, ein Jahr später auch für reine Stromer. Mit neuen, leistungsfähigeren und leichteren Stromspeichern wird das Einsparpotenzial der Hybrid-Technologie ebenfalls deutlich zunehmen. Wie im jetzt anlaufenden Serienprojekt wird sich die Effizienz gerade durch die parallele Weiterentwicklung moderner Verbrennungsmotoren und elektrischer Antriebe in den nächsten Jahren weiter hoch schaukeln. „Wir sind bestens aufgestellt, um diese Entwicklung zu prägen und daran als Unternehmen teilzuhaben“, fasst Küsell zusammen.

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