Ihre persönliche Autoberatung
0800 - 40 30 182
Amerika gilt als Mutterland des Tempolimits. Schon wenige Meilen über dem erlaubten Maximum bereiten dem Verkehrssünder mitunter erhebliche Scherereien. Doch einmal im Jahr drückt die Polizei ein Auge zu: Wenn 100 millionenschwere Oldtimer bei der „Colorado Grand“ 1.000 Meilen durch die Rocky Mountains rasen, machen ihnen die State Trooper sogar den Weg frei.
Wir sind die Rallye, in diesem Jahr immerhin schon zum 22. Mal ausgetragen und noch immer ein Geheimtipp, in einem ganz besonderen Auto mitgefahren: Einem Mercedes 300 SL Roadster von 1962, der eigens für solche Einsätze umgebaut wurde. Das Auto ist wie gemacht für solche Strecken. Zwar ist der schokoladenbraune Zweisitzer in seinem ersten Leben auch schon über den Boulevard gerollt. Doch irgendwann hat sich der Besitzer an die Sportwagen-Gene des 300 SL – immerhin Sieger bei der Mille Miglia oder der Carrera Panamerica – erinnert und ihn zurückgerüstet: Statt des Verdecks gibt es riesige Überrollbügel, die Stoßstangen wurden entfernt, und der verkürzte Auspuff kommt direkt vor dem Beifahrer aus dem Kotflügel.
So kann der Sechszylinder freier atmen. Die Leistung des drei Liter großen Direkteinspritzers klettert von 215 auf etwa 240 PS, und der Krach ist ohrenbetäubend. Im Leerlauf tuckert der SL noch wie ein Hafenschlepper. Doch kaum gibt man Gas, bollert und brüllt der Motor so laut, dass man jede Unterhaltung vergessen kann.[foto id=“322701″ size=“small“ position=“right“]
Macht nichts! Bei dieser Flotte von Sportwagen aus den frühen Zwanzigern bis Mitte der Sechziger ist man ohnehin sprachlos: Es gibt Bugattis und Bentleys en masse, dahinter Porsche, Jaguar, Maserati, Ferrari und insgesamt ein gutes Dutzend klassischer SL als Roadster oder Flügeltürer – nicht umsonst ist der „Sportwagen des Jahrhunderts“ 1954 erst auf Drängen des amerikanischen Mercedes-Importeurs gebaut worden. Darunter sind auch Raritäten wie der schwarze Roadster von Chris Marisco: über 40 Jahre alt hat der Wagen erst 12.000 Meilen auf der Uhr und sieht aus wie neu. Allein in den nächsten vier Tagen wird er seine Laufleistung damit um zehn Prozent erhöhen und so den Wert seines Wagens sicher ein wenig schmälern. „Aber Autos sind zum Fahren da, nicht zum hinstellen“, sagt Marisco.
Wer den Blick kurz von der Straße nimmt, findet sich in einer der schönsten Gebirgslandschaften der Welt wieder. Dort, wo früher Billy the Kid, Buffalo Bill, Doc Holiday oder Wyatt Erp gekämpft haben und heute die amerikanische High-Society zum Skifahren einfliegt, rast jetzt eine Karawane edlen Altmetalls durch rote Sandsteinschluchten und enge Canyons, über atemberaubende Pässe und weite Hochebenen und durch mondäne Skiorte wie Vail oder Aspen. Vier Tage lang röhrt und donnert es in den Rockies, zerreißen Dutzende von Zwölfzylindern und viele tausend PS die Stille. Und allabendlich stehen vor den Hotels mehr Oldtimer als in jedem Automuseum.
Denn ähnlich wie die Mille Miglia, die den Veranstaltern vor 22 Jahren als Vorbild für die erste „Colorado Grand“ diente, ist die Rallye durch die Rockies vor allem ein Spaß für reiche Raser: Die illustere Truppe aus Amerikanern, ein paar emigrierten Europäern und einer Handvoll Gästen aus Belgien, England und Deutschland zahlt die knapp 7.000 Dollar Teilnahmegebühr aus der Portokasse, hat zu Hause meist ein halbes Dutzend Oldtimer und lässt ihre Rennwagen samt eigenem Mechaniker nur für die eine Woche nach Denver einfliegen. Obwohl manche Autos Millionen wert sind, werden sie nicht geschont. „Ein Sportwagen muss auch sportlich gefahren werden“, sagt Jacob Greisen, bevor er sich in seinen offenen Ferrari 250 GT1 schwingt und laut aufheulend den Independence Pass hinaufsticht. Und als Bud Florkiewicz kurz vor dem Etappenziel seinen Maserati Vignale Spyder mit einem geplatzten Reifen [foto id=“322702″ size=“small“ position=“left“]auf den Grünstreifen jagt, hat er nur ein Schulterzucken für den verbeulten Kühlergrill übrig: Statt den Schaden zu beweinen, montiert er einen neuen Reifen und ist für den Rest der Rallye der staubige Star im Starterfeld.
Obwohl auch mein SL nach Dutzenden von Rallyes in aller Herren Länder schon ein paar Kampfspuren davongetragen hat, lasse ich es am ersten Tag noch etwas langsamer angehen. Die Luft auf über 3.000 Metern ist dünn, das Cockpit eng, die Straßen schmal und das Auto noch neu für mich, und so fahre ich ziemlich verhalten von Vail nach Grand Junction. Schließlich ist der Wagen rund 400.000 oder 500.000 Dollar wert. Außerdem habe ich noch die mahnenden Worte der Cops in den Ohren: „Wir können das Gesetz nicht außer Kraft setzen. Auch hier gibt es Strafzettel“, hatte Trooper Mike „Piney“ Harris noch vor dem Losfahren gesagt.
Lesen Sie weiter auf Seite 2: Alfa 6C 2300 Monza von 1934 – Teil: II
{PAGE}
[foto id=“322703″ size=“full“]
Doch am zweiten Tag wächst der Mut: Der Motor läuft wie ein Uhrwerk, startet selbst morgens bei unter null Grad problemlos, wird später bei über 30 Grad auf mehreren Tausend Metern nicht zu heiß und bringt Mechaniker Nate Lander aus dem Mercedes Classic Center in Irvine jeden Morgen aufs neue zum Staunen: „Ölstand, Kühlwasser? Keinen Tropfen musste ich nachfüllen“, wundert sich der Oldtimer-Profi.
Derart beruhigt trete ich ordentlich auf die Tube. Weiter und immer weiter schnellt der Drehzahlmesser nach oben. 120, 150, 180 zeigt der Tacho, der Auspuff klingt wie ein Maschinengewehr im Dauerfeuer, der Fußraum wird so warm wie ein Backofen, und der SL stürmt so schnell durch die Canyons, [foto id=“322704″ size=“small“ position=“right“]dass selbst die Begleitfahrzeuge von AMG kräftig Gas geben müssen. Dass dieser Wagen fast 50 Jahre auf dem Buckel hat, ist schnell vergessen.
Dann der Schock: Im zitternden Rückspiegel taucht plötzlich Piney auf seiner neuer Polizei-Kawasaki auf. Hier gilt Tempo 80 und ich bin mehr als doppelt so schnell. Doch Piney hat nur ein Lächeln auf den Lippen, zieht vorbei und macht ein unzweifelhaftes Handzeichen: Bleib dran, wenn du kannst! Das also hat der Polizist gemeint als er gesagt hat, die Cops würden uns schon zeigen, wo wir mal die Beine ausstrecken könnten.
Also strecke ich meine Beine aus. Vor allem das rechte! Tiefer und immer tiefer senkt sich das Gaspedal aufs Bodenblech, zum ersten Mal in Amerika fahre ich über 200 Sachen, die Hände krallen sich so fest ins dürre Lenkrad, dass die Knöchel weiß werden, und Piney lässt noch immer nicht locker. Die Straße ist gerade, der Blick frei, und es geht sogar ein wenig bergab. Da geht noch mehr: 210, 220, 230 km/h habe ich auf dem Tacho, der Wind reißt an den Haaren und jede Mücke auf der Stirn schmerzt wie ein Stein. Aber das Lächeln wird immer breiter. Erst recht, als ich Piney doch noch packe und der Trooper mich bereitwillig passieren lässt.[foto id=“322705″ size=“small“ position=“left“]
Zehn Minuten später rollt der SL an der Tankstelle aus. Der knisternde Sechszylinder ruft nach Sprit und ich brauche unter der unbarmherzigen Sonne zwischen Grand Junction und Crested Butte ganz dringend was zu Trinken. Als der Tank voll ist, kommt auch Piney mit seiner 160 PS starken Kawasaki an die Box und hat sein Lachen noch nicht verloren. Statt mir die Handschellen anzulegen, klopft er mir auf die Schulter: „Thanks for the run, man!“ lächelt er anerkennend und spricht schon jetzt die Einladung zur 23. Colorado Grand aus. Ob ich noch mal mitfahren darf, wissen die Götter. Doch Piney ist auf jeden Fall wieder dabei: „Schließlich kann ich mein Bike bei dieser Tour endlich mal ausfahren“, sagt er mit einem vielsagenden Augenzwinkern: „Ich bin doch nicht umsonst Polizist geworden.“
Dagegen verblasst selbst die Mille Miglia: Kaum eine Oldtimer-Ausfahrt ist so spektakulär wie die 1000 Meilen von Colorado. Wir sind die „Colorado Grand“ in einem Mercedes 300 SL mitgefahren.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 24.09.2010 aktualisiert am 24.09.2010
Auf auto.de finden Sie täglich aktuelle Nachrichten rund ums Auto. All das gibt es auch als Newsletter - bequem per E-Mail direkt in Ihr Postfach. Sie können den täglichen Überblick zu den aktuellen Nachrichten kostenlos abonnieren und sind so immer sofort informiert.