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Giorgetto Giugiaro
Sein Abschied aus der Szene war nur von kurzer Dauer. Noch nicht einmal drei Monate nachdem er seine restlichen Anteile von 9,9 Prozent an dem von ihm gegründeten Unternehmen Italdesign an Audi und damit an den Volkswagen-Konzern verkauft hatte, kehrte Giorgetto Giugiaro dem Ruhestand den Rücken. Im Alter von 77 Jahren wagt er jetzt zusammen mit seinem Sohn Fabrizio mit einem neuen Designstudio noch einmal einen Neuanfang. „Ich fühle mich für das Rentnerdasein einfach noch nicht alt genug“, erklärte er der Fachzeitung „Automotive News“. Er werde weiterhin das tun, was er einigermaßen gut könne – „Autos entwerfen“.
Dieses Gebiet beherrscht er so gut wie kaum ein zweiter. Giugiaro gilt zu Recht als einer der angesehensten Designer der Welt. Bereits im jugendlichen Alter von 17 Jahren begann der Spross einer Turiner Künstlerfamilie für Fiat Autokarossen zu entwerfen und arbeitete später, bevor er mit Italdesign sein eigenes Studio eröffnete, für die damals legendären Designschmieden Bertone und Ghia. Längst halten ihn seine Kollegen für den einflussreichsten Automobildesigner unserer Zeit, 1999 wurde er zum „Car Designer of the Century“ (Autodesigner des Jahrhunderts) gewählt. 2013 erhielt er den Antonio-Feltrinelli-Preis, den höchsten italienischen Wissenschafts- und Kulturpreis.
Im Laufe seines bisherigen Arbeitslebens gestaltete Giugiaro neben einer unüberschaubaren Menge an Karosseriestudien mehr als 100 Autos, die später in Produktion gingen. Darunter eine Reihe von Modellen, die zu automobilen Ikonen wurden. So entstanden auf seinem Zeichenbrett unter anderem der Audi 80, der BMW M1, der Volkswagen Golf und der VW Passat, um nur die wichtigsten Modelle zu nennen, die von deutschen Fließbändern rollten. Endlos auch die Flotten italienischer Karossen vom Fiat Panda bis zum Ferrari 250 GT Bertone. Außerdem hatte er bei nahezu allen Edelmanufakturen zwischen Po und Busento seine Finger im Spiel, ob sie nun Alfa Romeo, De Tomaso, Iso Rivolta, Lancia, Lamborghini oder Maserati hießen. Für die vornehmste und teuerste Marke in deutschem Besitz, Bugatti, formte er den EB 118, EB 218 und 18,3 Chiron.
Doch obwohl ausgewiesener Autonarr fühlte sich Giugiaro damit nicht ausgelastet. Quasi nebenher gestaltete er Kameras für Nikon und eine Uhr für Seiko, beide aus Japan, Lokomotiven für Fiat aus Italien und Traktoren für Deutz in Deutschland. Ob es allerdings zu seinen Ruhmestaten zählt, dass er für die italienische Waffenschmiede Beretta eine halbautomatische Neun-M
millimeter-Karabinerpistole entwarf, steht auf einem anderen Blatt.
1967 wagte er mit seinem Unternehmen Italy Styling, das er sehr bald in Italdesign umbenannte den Sprung in die Selbstständigkeit. Seine Ziel: professioneller Gestaltungs-Servicebetrieb für die Automobilindustrie weltweit. 90,1 Prozent seiner Anteile verkaufte Giugiaro 2010 an den Volkswagen-Konzern, den Rest vor wenigen Wochen. Ein Grund für die totale Trennung von Italdesign und das Ausscheiden seiner beiden Gallionsfiguren Giorgetto und Fabricio Giugiaro gibt es nicht. Offiziell hieß es lediglich, die Giugiaros wollten mehr Zeit für private Interessen haben. Doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die beiden aus Zorn und Frust über den Rückzug Ferdinand Piëchs aus dem Aufsichtsrat des Wolfsburger Konzerns die Brocken hingeschmissen haben: Giorgetto Giugiaro und Ferdinand Piëch sind seit 1972 enge Freunde sind. Damals hatte Piëch kurze Zeit bei Italdesign hospitiert um Erfahrungen in punkto Konstruktion und Karosseriegestaltung zu sammeln. Später war Piëch derjenige, der Giugiaro im gesamten Volkswagen-Konzern wichtige Rollen spielen ließ.
Jetzt arbeitet der geniale und kreative Italiener, der seine Batterien in kürzester Zeit wieder aufgeladen hat, zusammen mit seinem Sohn erneut am Aufbau eines Designstudios. Angeblich sollen bereits Chinesen und Südkoreaner großes Interesse an einer Zusammenarbeit signalisiert haben. Mit westlichen Unternehmen laufen ebenfalls bereits Gespräche, ist in der Gerüchteküche zu vernehmen.
Der britische Online-Dienst Cardesignnews.com will in Erfahrung gebracht haben, dass die Giugiaros möglicherweise für drei Millionen Euro die Marke Bertone übernehmen wollen, die nach der Insolvenz des Unternehmens – im Gegensatz zur Bertone-Autosammlung, die jüngst versteigert wurde – zum Verkauf steht. Das brächte für Vater und Sohn eine Reihe von Vorteilen: Der Name Bertone hat weltweit immer noch einen guten Klang, zumal, da Giugiaro der Ältere dort einst gearbeitet hat. Außerdem begünstigen Steuerrecht und italienische Bürokratie die Übernahme eines Unternehmens durch ein anderes erheblich, und die Modernisierung bestehender Räumlichkeiten vermeidet unnötigen Verwaltungsaufwand, der in Italien besonders berüchtigt ist. All das käme dem bekanntermaßen recht pragmatischen Designer mehr als entgegen. Es deutet also alles darauf hin, dass in der Erfolgsgeschichte namens Giugiaro ein weiteres Kapitel geschrieben wird.
geschrieben von AMP.net/jri veröffentlicht am 02.10.2015 aktualisiert am 02.10.2015
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