Flexiblere Fertigung für individuelle Kundenwünsche
Hinter der Entwicklung der neu ausgerichteten Produktion steht der Zwang, eine deutlich flexiblere Fertigung aufzubauen, die schnell auf die Wünsche der internationalen Kundschaft reagieren kann. Die Zeiten, da Mercedes-Benz die Bedürfnisse der Kunden mit gerade drei Baureihen befriedigen konnte, sind längst vorbei. Heute bietet das Unternehmen mehr als 30 Grundmodelle an, und angesichts der unermüdlichen Pfadfinder in den Marketingabteilungen, die ständig nach neuen Nischen suchen, wird die Zahl eher wachsen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Antriebsmöglichkeiten. Neben den konventionellen Otto- und Dieselmotoren rollen Hybrid-, batterieelektrische und demnächst Brennstoffzellen-Antriebe in die Modellpalette. Keine Frage, mit den klassischen Produktionsmethoden lässt sich diese Vielfalt nicht mehr beherrschen.
Außerdem spielt aber auch die demografische Entwicklung bei der Neugestaltung der Produktion eine wichtige Rolle. „Bis zum Jahr 2060 wird sich die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter um 34 Prozent verringern“, erklärt Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzender Michael Brecht. Gleichzeitig, so Brecht, werden in Zukunft „die alten Trennlinien zwischen Produktion, Dienstleistung und Wissensbereichen verschwinden.“ Zeit also, neue Methoden zu entwickeln.
Erste Elemente der Smart Factory sind bereits... bei der nächsten E-Klasse, die im kommenden Jahr vorgestellt wird, Realität. In der Daimler-Definition ist die Baureihe 213 schon ein „Digital Native“, bei dem die Digitalisierung die Baureihe in allen Phasen von der Entwicklung bis zum Vertrieb geprägt hat.
Vor ihrem ersten konkreten Auftritt in der Fertigung durchlief die neue Baureihe unter anderem eine virtuelle Fertigung, bei der die verschiedenen Schritte auf ihre Optimierung überprüft wurden. Dabei wurden zum Beispiel Bauteile vorab virtuell montiert. Auf diese Weise können die Mitarbeiter bereits frühzeitig einschätzen, ob und wie sich die Montage durchführen lässt, ohne dass der Werker am Band zu schnell ermüdet. Bei Bedarf werden die Abläufe entsprechend verändert. Die Wünsche der Entwickler lassen sich mitunter nur schwer nahtlos in die Produktion integrieren, und deshalb wird bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch eine digitale Prozesskette die Herstellbarkeit des Fahrzeugs sichergestellt.
Nicht immer kann der Roboter besser arbeiten als der Mensch – zum Beispiel bei der Kalibrierung des Head-up-Displays. Bisher kommt dabei ein Roboter zum Einsatz, der in einer zeitraubenden und aufwendigen Prozedur das Display einstellt. In Zukunft stellt ein Techniker mittels eines eigens dafür entwickelten Tablets das Display ein. Daneben unterstützt ein kleiner sogenannter „InCarRob“, Bandarbeiter bei Arbeiten im Innenraum, indem er zum Beispiel die Schrauben für die Sicherheitsgurte anzieht und den Himmel montiert, während der Mensch sich um andere Arbeiten kümmert. Ein kleiner Klaps genügt dabei, um den „Kollegen“ in eine Pause zu schicken.
Dank der anpassungsfähigen Produktion können in Zukunft Kundenwünsche theoretisch während der Produktion realisiert werden. Damit dies in allen Konzern-Fabriken funktionieren kann, verstehen die beteiligten Produktionseinheiten die Software „Integra“, mit der weltweit alle Automatisierungskomponenten verbunden sind. Dank dieser Software können die betreffenden Anlagen aus der Ferne gewartet und bei Problemen kann schnell eingegriffen werden. Beim Serienanlauf der C-Klasse in den Werken Bremen, Peking, East London und Tuscaloosa konnten sich die Fertigungsstätten dank „Integra“ gegenseitig helfen.
Die neuartigen Produktionsmethoden werden in Sindelfingen in der Technologiefabrik erprobt. „Im Idealfall“, so Andreas Friedrich, Leiter der Fabrik, „schaffen die Applikationen von hier den Sprung in die Serienproduktion.“ In der Halle, die auf den ersten Blick wie eine Erfindermesse wirkt, arbeiten Ingenieure und Techniker, bedienen Computer und Roboter, die später in der Smart Factory eingesetzt werden sollen.
Allerdings wird auch die intelligente Fabrik im Zeitalter Industrie 4.0 nicht ohne Menschen auskommen. Bei der Kooperation von Mensch und Roboter sollen vielmehr die Stärken der beiden Akteure kombiniert werden: So lassen sich die Fähigkeiten des Menschen mit der Kraft, Ausdauer und Zuverlässigkeit zu einer optimalen Einheit verschmelzen, wobei der „Mensch“, erklärt Markus Schäfer, „als Kunde und Mitarbeiter im Mittelpunkt steht.“ Und das ist dann wirklich smart.