Das Rasthaus am Ende der Welt

Das nördlichste Rasthaus des amerikanischen Kontinents liegt knapp 50 Kilometer südlich vom Polarkreis im Yukon-Territory. Eagels Plains ist vor allem im Winter eine Oase inmitten einer bis zu minus 50 Grad kalten Schnee- und Eiswüste. Die einzige Tank- und Raststätte auf mehr als 700 Kilometern hält die exklusive Verkehrsader in Kanadas Norden am Leben.

Ohne riesige Trucks läuft in der rohstoffreichen Wild- und Ödnis gar nichts. Öl, Gold und Diamanten für Billionen von Dollar schlummern in den unendlichen Weiten im nördlichen Kanada zwischen Polarkreis und Einsmeer im Permafrostboden. Für die harten Männer und Frauen, die die Schätze der Erde unter extremsten Bedingungen entreißen, müssen Tag für Tag die Räder riesiger Trucks rollen. Auf dem 736 Kilometer langen Dempster Highway gibt es nur eine Tankstelle und Raststätte mit dem romatischen Namen „Eagels Plains“. Ein unvergesslicher Aufenthalt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als sich Evelyn aus Rosenheim vor sechs Jahren den großen Traum einer ausgiebigen Reise durch den Norden Kanadas erfüllte, streikte das betagte Wohnmobil ausgerechnet an der nördlichsten Raststätte des amerikanischen Kontinents.

[foto id=“452008″ size=“small“ position=“right“]Die Wartezeit auf die Ersatzteile überbrückte die junge Frau mit einem Job im Service. Die Ersatzteile kamen, das Auto lief wieder, aber der resolute Einsatz hatte so großen Eindruck hinterlassen, dass das Angebot einer Dauerstellung folgte. Evelyn blieb und freut sich stets, mit Reisenden aus Deutschland ein Schwätzchen in ihrer Muttersprache halten zu können.Der Dempster Highway verbindet Dawson City im Süden mit Inuvik, einer 3 500-Seelen-Gemeinde im Norden der Northwest Territories. Während der Wintermonate führt die Straße als Eispiste noch einmal rund 200 Kilometer weiter zum Polarmeer. Die Strecke ist eine Meisterleistung der Ingenieurskunst, deren Bau 1958 begann und erst 1979 zum Abschluss kam.

Die Lebensader für den rohstoffreichen Norden Kanadas hat so gar nichts mit einer deutschen Autobahn gemeinsam. Auf unbefestigter Fahrbahn führt sie durch die grenzenlosen Weiten, quasi auf einem eigenen Damm, der im Sommer verhindert, dass die Strecke im oberflächlich tauenden Permafrostboden versinkt.Wenn im Winter die Temperaturen auf bis zu minus 50 Grad fallen, rasten die riesigen Trucks mit permanent laufenden Motoren. Hier diktieren nicht Disponenten in Speditions-Kontoren das Tempo, sondern die Natur.

Wenn sich an einem Montagnachmittag zehn Trucks auf der Rastanlage stauen, dann ist die Strecke nach Norden über den Polarkreis hinaus gesperrt. Wie so oft wegen eines Blizzards, einem Schneesturm, der die Fahrt unmöglich macht. In Gesprächen mit den wartenden Truckern bei einem kühlen Bierchen sorgen die europäischen Restriktionen für den Güterverkehr für Heiterkeit. Maximal 40 Tonnen schwer und 20 Meter lang fallen die Lkw der alten Welt hier unter die Kategorie „Spielzeugautos“. Im Norden Kanadas bringen es die Trucks von amerikanischen Herstellern wie Mac oder Peterbuilt mit ihren langen Schnauzen auf maximal 35 Meter Länge und 100 Tonnen Gesamtgewicht.

Da es keine Tunnel gibt, dürfen sie eine Höhe von 5,2 Metern erreichen.Beim Bau des Dempster Highways folgten die Ingenieure einem alten Trail für Hundeschlitten, die noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das wichtigste Transportmittel in dieser Region darstellten.

Der solide Unterbau der Piste ist zwischen 1,2 Meter und 2,4 Meter dick. Die unbefestigte Straßendecke empfiehlt zu jeder Jahreszeit die Verwendung eines Autos mit Allradantrieb. Im Winter ist die Fahrt besonders tückisch. Die Oberfläche besteht aus blankem Eis und verwehtem Schnee. Zwar räumen riesige Pflüge regelmäßig den Schnee, doch trügt die komfortable Fahrbahnbreite, denn die geräumte Fläche entspricht an den Rändern nicht dem befestigten Untergrund. Für eine Fahrt auf dem Dempster Highway gelten feste Regeln, vor allem im Winter.

[foto id=“452009″ size=“small“ position=“left“]Fahrer müssen immer einen Vorrat von Lebensmitteln und Getränken an Bord haben, ebenso dicke Thermokleidung. Wer eine Panne hat, oder von der Piste abkommt, ist gehalten, unbedingt im Fahrzeug zu bleiben und auf Hilfe zu warten. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz für alle Verkehrsteilnehmer, auf havarierte Fahrzeuge zu achten und jedem Auto Hilfe anzubieten, das neben der Piste parkt.Trotz der extremen Bedingungen möchte kein Trucker die Einsamkeit und atemberaubenden Landschaften gegen bequeme Routen im Süden des Landes eintauschen. Die Versorgung der nördlichen Erdölfelder, der Erz-, Edelmetall- und Diamantminen garantiert nicht zuletzt solide und sichere Einkommen.

Der Kraftstoff in Eagels Plains ist mit umgerechnet 1,60 Euro pro Liter etwa 40 Cent teurer ist als in White Horse, das rund 1 200 Kilometer südlich liegt. Angesichts der einzigen Zapfsäule auf über 700 Kilometern Streck spielt der Kraftstoffpreis hier aber keine Rolle. Die riesigen Trucks benötigen zwischen 60 Liter und 80 Liter Diesel auf 100 Kilometern.Eagels Plains bietet den Fahrern Waschgelegenheiten für Körper und Kleidung und eine erstaunlich umfangreiche Speisekarte mit nahrhaften Gerichten. Im Winter steigt der Grundbedarf des Körpers auf rund 4 000 Kalorien. Die 25 Doppelzimmer bieten eine willkommene Abwechslung zu den Schlafkabinen im Truck; alleine schon deshalb, weil dort der rund um die Uhr bollernde Diesel nicht stört.

[foto id=“452010″ size=“small“ position=“right“]Und schließlich sorgt die Bar in Eagels Plains für ein unvergessliches Erlebnis. Mit Spiegeln hinter den Regalen, der polierten Holztheke, den Devotionalien aus ausgestopften Tieren der Umgebung, historischen Bildern aus den Pioniertagen des Nordens und einem riesigen Billardtisch bedient der Raum jedes Klischee vom rauen aber herzlichen Norden.Was der nördlichsten Raststätte des amerikanischen Kontinents jedoch wirklich den absoluten Status der Einmaligkeit verleiht, unterstreicht ein Weckruf von Evelyn gegen 3 Uhr in der Frühe: „Heute Nacht gibt es Polarlichter. Das solltet ihr euch nicht entgehen lassen.“ 20 Minuten später, in dicke Thermokleidung gegen die knapp 40 Grad Minus gehüllt, wabbert das Farbspiel der „Aurora Borealis“ über den sternenklaren Nachthimmel. Es erklärt, warum das Rasthaus am Ende der Welt ein so hohes Suchtpotential für Personal und Gäste aufweist.

Thomas Lang/mid

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