Renault

Das Twizy-Tagebuch – Eine Woche mit dem Elektro-Exoten

Wo er auftaucht steht er im Mittelpunkt, und nach ein bisschen Übung hat man auch am Steuer immer ein Lächeln im Gesicht: Denn der Renault Twizy ist nicht nur das aktuell erfolgreichste Elektroauto der Republik – sondern bei allen Einschränkungen auch das mit dem größten Spaßfaktor. Kein Wunder, dass ich mich wie Bolle auf die Woche mit dem Twizy gefreut habe.

Montag

Nein, der freundliche Herr kommt nicht vom Kurierdienst. Denn aus seinem Laster holt er keine Päckchen von Ebay oder Amazon, sondern ein Auto. Oder zumindest das, was in den Augen von Renault mal die Zukunft des Autos werden könnte: den Twizy. Denn für den Weg vom Importeur zur Redaktion ist der Akku des Stromers zu klein, so dass elektrische Trendsetter ausgeliefert wird wie eine Postwurfsendung. Mit  2,34 Metern kaum halb so lang wie ein Golf, nicht einmal 1,30 Meter breit aber dafür mannshoch, rollt der Zweisitzer mit den freistehenden Formel1-Rädern von der Ladefläche.[foto id=“433978″ size=“small“ position=“right“]

Der Akku voll, der 18 PS-Motor an der Hinterachse schon bereit und die beiden halbhohen Flügeltüren noch offen – dann fahren wir doch gleich mal los. Und wundern uns über den flotten Antritt. Auf dem Papier ist der Twizy ein Schleicher. Denn selbst die stärkere der beiden Varianten braucht 6,1 Sekunden bis 45 km/h. Aber in der Praxis fühlt sich das verdammt schnell an.

Man selbst sitzt anfangs etwas unsicher am Steuer und schaut eher verkniffen als fasziniert. Vor allem, weil man sich zwischen Stadtbussen und Geländewagen ziemlich verloren und verletzlich fühlt. Aber dafür schaut man überall in freundliche Gesichter. Jeder reckt den Daumen, ständig klicken die Fotohandys und alle haben ein Lachen auf den Lippen. Nur weiß man nicht, ob sie einen an- oder auslachen.

Unerkannt bleibt man jedenfalls nicht, und unbehelligt auch nicht. Denn kaum kommt die Fuhre irgendwo zum Stehen, hat man auch schon ein paar neugierige Nachbarn am Wickel. Reinsetzen will sich jeder einmal, die meisten würden am liebsten gleich losfahren, und Fragen stellen sie sowieso. Da ist es gut, wenn man hat sich ordentlich vorbereitet hat: 7.690 Euro Grundpreis und monatlich mindestens 50 Euro Akku-Miete, 18 PS Leistung, maximal 80 km/h und offiziell bis zu 100 Kilometer Reichweite – diese Daten sollte man schon drauf haben, wenn man bei den Schaulustigen nicht als Stoffel gelten will. Und auch auf die Führerscheinfrage muss man vorbereitet sein. Denn auch wenn der Twizy aussieht wie eine Mischung aus Kiddie-Ride vor dem Supermarkt und Hightech-Rollstuhl aus dem Sanitätshaus, darf man ihn nur einer normalen Pkw-Lizenz bewegen. Es sei denn, man kauft für 700 Euro weniger die auf 5 PS gedrosselte Version. Dann reicht die Führerscheinklasse S ab 16 Jahren.

[foto id=“433979″ size=“small“ position=“left“]Am Ende des Tages ist der Twizy so viel gefahren, dass der Akku schon fast leer ist. Mist, wo soll ich den jetzt Strom tanken? Von der einzigen öffentlichen Ladesäule nach Hause sind es 45 Minuten Fußmarsch und meine Außensteckdose daheim ist fernab vom Parkplatz auf dem Balkon. Da ist selbst mit dem Twizy kein hinkommen. Also Fenster auf, Verlängerungskabel raus und das blaue Spiralband aus der Frontklappe genestelt: Gut, dass der Akku in 3,5 Stunden voll ist – über Nacht hätte ich das Fenster nicht offen lassen wollen.

Dienstag

Mittlerweile haben wir uns aneinander gewöhnt und jeder Kilometer mit dem Twizy durch die Stadt macht einen Heidenspaß. Die Sonne scheint, kein Cabrio ist luftiger und beim Ampelspurt schnappt man sich manchen konventionellen Kleinwagen. Je länger man fährt, desto gefährlicher wird das Vergnügen. In einem Auto, das partout kein Auto ist, fühlt man sich immer mehr wie ein Outlaw, für den Verkehrsregeln allenfalls eine Empfehlung sind. Plötzlich fährt man wie selbstverständlich über Busspuren und Radwege, nimmt es mit dem Tempo nicht mehr so genau, rollt auch mal durch die Fußgängerzone und parkt, wo gerade Platz ist. Der Twizy ist so klein, der wird schon niemanden stören. Denkste, lacht die Politesse und schreibt schon am Knöllchen. Erst die Frage nach einer öffentlichen Ladesäule und der Hinweis aufs Elektroauto bringt sie so aus dem Konzept, dass sie am Ende den Strafzettel vergisst.

Aber das ist nicht das einzige Risiko im Twizy. Je schneller man fährt, desto deutlicher stört man sich an der mangelnden Sicherheitsausstattung. Ja, es gibt einen Airbag für den Fahrer und für beide Passagiere je einen Gurt. Aber bei der ersten Vollbremsung fehlt gleich das ABS, von ESP ganz zu schweigen. Bei einem Grundpreis auf Kleinwagen-Niveau hätten die paar Hundert Euro schon noch drin sein können.

Mittwoch[foto id=“433980″ size=“small“ position=“right“]

Wenn der Twizy zumindest in der Stadt ein Auto ersetzen soll, dann muss er auch zum Shoppen taugen. Also geht’s nach Feierabend in die City – und zwar zu Zweit. Schließlich braucht man ja guten Rat bei der Wahl der neuen Klamotten. Auch wenn wir brav draußen vor dem Einkaufszentrum parken, obwohl wir am liebsten mittenreingefahren wären, sind ein paar Hemden, neue Hosen und sogar ein Sakko schnell gefunden. Aber wohin damit im Twizy? In die beiden Ablagen links und rechts des Lenkrads passen allenfalls zwei Paar Socken. Und bis man den ohnehin zu kleinen Stauraum hinter dem nur für gelenkige Mitfahrer halbwegs zu erreichenden Rücksitz offen hat, muss man fast das ganze Plastik-Innenleben zerlegen. „Könnten Sie die Einkäufe vielleicht auch schicken lassen?“

Donnerstag

Heute abend geht es raus aufs Land Freunde besuchen. 20 Kilometer hin, dort während des Grillens laden und danach wieder zurück – das sollte doch zu schaffen sein. Immerhin verspricht Renault eine Reichweite von 100 Kilometern, und für 50, 60 Kilometer hat es bislang immer gereicht. Dummerweise sitzen wir mal wieder zu zweit im Twizy und kommen so leicht über die 128 Kilo Zuladung. Und dann geht es auch noch ein ordentliches Stück bergauf. Nur fünf Kilometer gefahren und schon 15 Kilometer Reichweite weg. Das kann ja heiter werden.

Dafür schlägt sich der Scheibletten-Smart auf dem Land ansonsten ganz tapfer. Bodenwellen sind zwar seine Sache nicht, und um einen Traktor zu überholen, braucht man einen langen Anlauf, ordentlich Geduld und verdammt viel Weitblick. Aber solange man allein auf der Straße ist, die Sonne scheint und die Vögel zwitschern, fährt man lautlos und glückselig wie durchs Paradies. Nur wenn von hinten andere Autos angeschossen kommen oder Luftzug des Lkw aus dem Gegenverkehr einen fast umwirft, sehnt man sich nach einem soliden Kleinwagen.

In der Stadt schon ein Star, wirkt man auf dem Dorf im Twizy wie ein Marsmensch bei der Landung seines Ufos – schon das allein war die Tour wert. Außerdem haben die Freunde tatsächlich eine Steckdose in ihrem Carport, und  während des Grillens zieht der Akku genügend Strom für den Heimweg. Der ist zwar kalt und zugig, weil es im Twizy weder Heizung noch Scheiben gibt. Aber am Ende macht die Landpartie so viel Spaß, dass ich morgen ein neues Abenteuer wage: auf zum Flughafen!

[foto id=“433981″ size=“small“ position=“left“]Freitag

In der Praxis klappt es zwar nur bergab und mit Rückenwind. Aber in der Theorie läuft der Twizy 80 km/h und darf damit sogar auf die Autobahn. Deshalb kann ich die Fahrt zum Flughafen tatsächlich wagen. Dass der Weg 20 Kilometer länger ist als die Reichweite – kein Problem. Der Zeitpuffer ist groß, und irgendwo auf den beiden Raststätten entlang der Route werde ich schon eine Steckdose finden. Oder nicht? Den Koffer bekomme ich mühsam hinter den Sitz gequetscht und über die Lademöglichkeiten am Flughafen habe ich mich auch schon schlau gemacht: Nach nur fünf Anrufen und viermal verbunden werden weiß ich, dass es dort genau zwei öffentliche Steckdosen gibt, die mit ein bisschen Glück sogar frei sind.

Also: ausprobieren oder sein lassen? Bin ich ein mutiger Elektro-Pionier oder ein feiger Autofahrer? Und wie wird man sich mit dem Twizy fühlen, wenn man am Berg die Laster ausbremst und die Brummis zum Überholen ansetzen? Ist das wirklich eine gute Idee? In all diese Überlegungen platzen die Nachrichten: Der Streik bei der Lufthansa nimmt mir die Entscheidung ab und ich fahre mit dem Zug. Zum Bahnhof schafft es der Twizy ja auf jeden Fall.

Samstag

Eigentlich wäre heute noch einmal eine Spritztour über Land dran. Schließlich würde ich doch gerne wissen, wie weit ich mit einem Akku tatsächlich komme. Doch es regnet wie aus Kübeln und da ist der Twizy nun wirklich nichts. Ein kleiner Schauer oder ein kalter Wind – davor kann man sich zur Not mit einer Jacke schützen. Aber wenn es draußen ordentlich plattert, dann plätschert es im Twizy bald auch drin. Nicht umsonst hat der Wagen sogar einen Ablauf fürs Regenwasser. Meine Schuhe haben den leider nicht. Deshalb fällt die Testfahrt heute aus.

Sonntag[foto id=“433982″ size=“small“ position=“right“]

Time To Say Goodbye –  im Frühstücksradio spielen sie Andrea Bocelli und ich muss langsam Abschied vom Twizy nehmen. Klar, werde ich ihn vermissen. Denn im Sommer und in der Stadt hat mir kein anderes Auto bislang so viel Spaß gemacht wie der kleine Stromer. Aber im Herbst oder im Winter? Da, wo selbst hart gesottene Zweiradfahrer den Roller oder das Motorrad einmotten, soll ich mich in ein Plastikei mit offenen Flanken zwängen und durch Wind und Wetter rollen? Na vielen Dank auch. Und hin und wieder müsste ich auch mal ein bisschen weiter weg. Autobahn? Wochenendausflug? Dienstreise? Sommerurlaub? Da kommt man um ein normales Auto kaum herum. Und selbst als Zweitwagen taugt der Twizy nur bei schönem Wetter.

So ist und bleibt der Wagen ein faszinierendes Spielzeug, das man in den Sonnenstunden des Alltags kaum schnell genug von der Steckdose bekommt. Aber wenn überhaupt konkurriert er nicht mit einem Auto, sondern mit einem Motorroller. Aber dafür ist er wiederum einfach zwei Nummern zu teuer. Deshalb können sie die halbe Portion morgen gerne wieder abholen – und im nächsten Sommer einfach nochmal für ein paar Tage vorbei bringen.

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