Manche Dinge brauchen eben etwas länger: 98 Jahre lang hat Bentley ausschließlich Otto-Motoren in seinen Luxus-Karossen verbaut, damit ist jetzt Schluss: Anfang 2017 wird erstmals ein Selbstzünder einen Wagen der britischen Nobelmarke antreiben. Passt das? Eindrücke von einer exklusiven Testfahrt mit dem Bentayga Diesel vermittelt ein so genannter „Dauerläufer“ – ein seriennahes Erprobungsfahrzeug.
Ein Tarnkleid braucht dieser Bentayga nicht, als er geschmeidig durch verschlafene niedersächsische Dörfer braust. Äußerlich unterscheidet er sich nur minimal von dem vor fast einem Jahr vorgestellten Zwölf-Zylinder-Benziner. Das etwa zwei mal zehn Zentimeter große Schildchen unten an den Vordertüren, das ihn als Diesel-Modell ausweist, ist noch abgeklebt, die an eine um 90 Grad gedrehte „Acht“ erinnernden Auspuff-Endrohre nehmen allerhöchstens Auto-Experten wahr. „Test Vehicle“ steht unter dem britischen Kennzeichen, aber das regt hier, im Dreieck zwischen Wolfsburg, Braunschweig und Helmstedt schon längst niemanden mehr auf.
Es hätte günstigere Umstände für einen Hersteller geben können, mit einem neuen Diesel-Modell zu starten. Der vor einem Jahr aufgedeckte Manipulations-Skandal hallt immer noch nach, auch wenn er nicht zu einem signifikanten Rückgang der Verkäufe solcher Autos geführt hat. Bentley hat sich viel Zeit gelassen mit der Entscheidung für das Selbstzünder-Konzept. „Ein solcher Motor würde gut zu unserer Marke passen“, hatte schon 2010 der damalige Vorstandsvorsitzende Franz-Josef Paefgen gefunden. Prototypen von Limousinen wurden mit Audi-Aggregaten zusammengeschraubt und getestet, nur schien die Marktsituation nicht zu solch einem Projekt zu passen.
Bentley verkauft zwei Drittel seiner Autos in den USA und in China, beides Länder mit einer ausgeprägten Diesel-Abneigung. Mit dem Luxus-SUV Bentayga kam die Wende: In Europa ist der Markt für große Geländegänger fest in der Hand der Selbstzünder-Fraktion, und da die chinesischen Kunden beim Kauf von Nobel-Karossen sowieso gerade eine Atempause einlegen, bietet ein V8-Ölbrenner die Chance, die Stückzahlen des Bentaygas in auskömmlichen Größenordnungen zu halten.
Ein Zwölfzylinder, wie ihn Audi von 2008 bis 2012 im Q7 anbot, habe bei der Auswahl des richtigen Motors für den Bentayga Diesel keine Rolle gespielt, sagt Bentley-Entwicklungschef Rolf Frech. Doch natürlich ist die Vier-Ringe-Marke mit Entwicklungshilfe am neuen Briten-Allradler beteiligt. Der vier Liter große Achtzylinder, der auch den Audi SQ7 antreibt, bildet das Basis-Aggregat für den Bentley. „Die finale Entscheidung, unser Auto zu bauen“, erzählt Rolf Frech, „fiel, nachdem wir uns den neuen Audi-Motor mit den verfügbaren Technologien genau angesehen hatten.“ Dann kam das, was Frech „Refinement“ nennt, am ehesten wohl mit „Raffinesse“ zu übersetzen.
Ein Bentley, das ist der unverhandelbare Anspruch der Mannschaft in Crewe, darf sich nicht so anfühlen, fahren oder klingen wie der Klon irgendeines anderen Automobils. Auch wenn die wesentlichen Daten, zum Beispiel Leistung und Drehmoment, identisch sind mit denen den SQ7, so ist die Antriebseinheit aus V8 und ZF-Achtgang-Getriebe markentypisch modifiziert. Das ist Elektronik. Schaltpunkte, Anfahrverhalten, die Charakteristik der Leistungsentfaltung, erst recht das Rückschaltprogramm für die Kraftübertragung – all das muss das Siegel „Made in Britain“ tragen.
Frech, der seit fast genau fünf Jahren Technik-Vorsand bei Bentley ist, bekommt leuchtende Augen, wenn er die Besonderheiten des Bentayga-Diesels aufzählt. „In der Abgasablage sorgen spezielle Schalldämpfer, Kanäle und Absorber dafür, dass der Sound stimmt“, schwärmt der schwäbische Ingenieur. Gemeinsam mit seinem Chef, Wolfgang Dürheimer, hat er jahrelang bei Porsche dafür gesorgt, dass die Produkte ihren typischen Charakter haben. Nächstes großes Projekt ist die dritte Variante des Bentaygas: Ein Plug-In-Hybrid mit einem V6-Benziner als konventionelle Kraftquelle.
Bevor Frech das Lenkrad aus der Hand gibt, tritt er noch einmal kräftig aufs Gas, während ein Fotograf die exklusive Spritztour dokumentiert. „So lange der Blitz von innen kommt, ist alles in Ordnung“, scherzt der 58-Jährige. Kernig, aber nicht vorlaut nimmt das 2,4-Tonnen-Schiff Fahrt auf. Den kurzen Moment, bis der Twin-Scroll-Lader seine volle Leistung bringt, überbrückt eine elektrische Turbine und bläst den acht Zylindern die nötige Verbrennungsluft ein. Auch wenn der Beweis bei dieser Fahrt nicht angetreten werden kann, Zweifel kommen keine auf, dass hier das schnellste Diesel-SUV der Welt unterwegs ist.
Abnutzungserscheinungen gibt der „Dauerläufer“ nicht zu erkennen, obwohl er täglich Fahrprofile zu absolvieren hat, die ihn schneller altern lassen sollen. Hat so ein Wagen 40 000 Kilometer auf dem Tacho, entspricht dies rund 100 000 Kilometer im normalen Fahrbetrieb. Die Belastungen, oft auf Pisten fragwürdigster Beschaffenheit, sind so inszeniert, dass sie auch zu Schäden an Bauteilen führen können – damit eine solche Schwachstelle bis zu den ersten Auslieferungen ausgemerzt werden kann.
Nach dem, was vom Fahrerplatz aus zu sehen ist, befindet sich der Dauerläufer in Topzustand. Auf dem Rücksitz gluckst ein regloser Mitfahrer im Takt der Bodenwellen. Der Dummy ist mit etlichen Litern Wasser gefüllt, so wird die Auslastung der Kabine mit mehreren Personen simuliert. Rings um den Tank sind zahlreiche blinkende Aufzeichnungsgeräte und Kabel installiert, das Paket wird von Klebeband zusammen gehalten. „Die hier aufgezeichneten Daten geben uns einen perfekten Überblick über den Fahrzeugzustand auf jedem Meter, den es zurücklegt“, erklärt Frech die Versuchsanordnung.
Die Lenkung ist erwartungsgemäß feinfühlig und direkt, der mächtige Schub von
900 Newtonmetern schon knapp über Leerlaufdrehzahl setzt nicht brachial und ungestüm, sondern würdevoll und gelassen ein. „Smooth“ würde das wohl ein Engländer nennen. An einen Diesel erinnert das verhaltene Grummeln nur sehr entfernt, selbst dann, wenn sich Motor 3500 Umdrehungen in der Minute nähert. Die Bremsen, natürlich Brembo, halten die schwere Fuhre zuverlässig im Zaum. Die leichte Hecklastigkeit der Antriebsverteilung dürfte allenfalls bei einem dynamischen Ausflug auf der Rundstrecke spürbar werden.
Walter Owen Bentley war der Überzeugung, dass seine Automobile ihre Antriebskraft aus reichlich bemessenem Hubraum schöpfen sollten. Deshalb setzte er kurz vor dem Verkauf seiner Firma noch die „8-Litre“-Limousine ins Werk. Einen Kompressor („Blower“) lehnte er strikt ab, der dann aber doch realisiert wurde, als er nicht mehr Chef im eigenen Hause war. Wie er wohl einen Dieselmotor in einem Bentley gefunden hätte? Für Rolf Frech steht das außer Frage: „Wenn er in diesem Auto gefahren wäre, hätte es im sicher gefallen.“
Bentley Bentayga Diesel
Länge x Breite x Höhe (in m): |
5,14 x 2,00 x 1,74 |
Radstand (m): |
2,99 |
Motor: |
V8-Dieselmotor,Biturbo mit E-Lader |
Hubraum: |
3.956 ccm |
Leistung: |
320 kW / 435 PS bei 3.750–5.000 U/min |
max. Drehmoment: |
900 Nm von 1.000–3.250 U/min |
Höchstgeschwindigkeit: |
270 km/h |
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: |
4,8 Sek. |
ECE-Durchschnittsverbrauch: |
7,9 Liter / 100 km |
CO2-Emissionen: |
210 g/km (Euro 6) |
Tankinhalt: |
85 Liter |
Leergewicht / Zuladung: |
2.390 kg / max. 860 kg |
Kofferraumvolumen: |
430–590 Liter |
Reifen (Serie/Option): |
275/50 R 20 / 285/45 ZR 22 |
Basispreis: |
k.A. |
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