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VW
Ein Blick auf den Volkswagen Gol lohnt sich, nicht nur weil er gerade in Sao Paulo seine Premiere erlebt oder weil er sich anschickt, im 26. Jahr nacheinander das meistverkaufte Auto in Brasilien zu sein. Eine Bekanntschaft mit ihm und seinen Entwicklern im brasilianischen VW-Hauptquartier Anchieta nahe Sao Paulo lässt Gedanken aufkommen, die weit über ein neues Modell für den südamerikanischen Markt hinausreichen.
Der Rahmen, in dem der Gol jetzt seinen ersten Auftritt auf der Sao Paulo Auto Show erlebte, der hohe Besuch aus Wolfsburg, die große Gruppe internationaler Medienvertreter – das alles kann dem Markt Brasilien geschuldet sein, der sich für Volkswagen zwischen China und Deutschland bei den Verkäufen auf den zweiten Platz vorgearbeitet hat und großes Wachstum erwarten lässt. Es kann aber auch mehr bedeuten.
1000 Entwickler arbeiten in Anchieta. Das ist der größte Entwicklungsstandort des Konzerns außerhalb Deutschlands. Die haben eine erstaunliche Vielfalt an Modellen und nun wieder einen Gol auf die Räder gestellt: Dem allerdings fehlt zum ebenfalls gerade vorgestellten Volkswagen Golf mehr als nur das F. Es fehlt dem Gol auch an Größe; denn er bewegt sich auf Polo-Niveau. Aber vor allem fehlt ihm Wertigkeit, Qualität und Ausstrahlung.
Der Gol sieht nett aus, trägt sogar das VW-Gesicht, aber er kommt in jeder Hinsicht einfacher daher, bei den Materialien ebenso wie bei der Technik. In vielen Details wird das sichtbar, spürbar und greifbar: Beim Gol erlebt die Technik aus Europa ihren zweiten oder dritten Aufguss. In Europa hat die Sicherheit Priorität, in Brasilien die Trommelbremse nichts Anrüchiges. Die Elektronik ist schlicht, Assistenzsystem sind unbekannt. Kurz: Hier wird alles getan, um die Kosten tief zu halten, was natürlich den Absatz in Schwellenmärkten erleichtert.
Gegen den Gol nimmt sich der Golf aus wie der reiche Vetter aus Dingsda, dem nichts zu teuer ist, um dem Menschen zu gefallen und ihn zu schützen. Daran haben wir uns gewöhnt. Wir sind auch bereit, aber eben bisher auch in der Lage, den Preis dafür zu bezahlen. Doch gerade in Europa krankt jetzt der Markt, sinkt die Bereitschaft, Geld für ein neues Auto auszugeben.
Volkswagen hat mit dem Up dagegengehalten und damit die Marke nach unten abgesichert. Doch reicht das, um die ehrgeizigen Ziele des Unternehmens zu erreichen? Der Up ist ein gelungener Kleinwagen, der in seinem Segment für Spitzenpreise zu kaufen ist und den Schutz der Marke gegen Wettbewerb von unten übernimmt. Aber kann er den Erfolg auf neuen Märkte bringen, die bei Technik und Kaufkraft hinterherhinken? Angesichts der vielen Modelle von Volkswagen do Brasil, die alle wie richtige Volkswagen aussehen, stellten europäische Medienvertreter bei der Sao Paulo Auto Show laut die Frage: „Erleben wir hier die Geburt einer Billigmarke von VW?“
Neben dem Gol bietet Volkswagen do Brasil in der Tat noch eine große Reihe kleinerer Fahrzeuge zum Beispiel auf der Basis des Fox, einige davon sehr attraktiv und nicht nur in Südamerika an den Mann zu bringen. Mit der „New Small Family“-Plattform des VW Up steht jetzt ein Baukasten zur Verfügung, der für Einsteigermodelle für neue Märkte passen könnte. Außerdem hat Volkswagen – sozusagen als Morgengabe für den Gol –einen passenden Motor vorgestellt, den Drei-Zylinder TSI mit knapp einem Liter Hubraum, der 81 kW / 110 PS entwickelt und im Verbrauch günstig liegt.
Aber beides – die Up-Plattform und der neue Dreizylinder – könnten in aufstrebenden Schwellenländern mit steigender Kaufkraft und wachsendem technischen Wissen noch an den Käufer zu bringen sein; das passt noch zur Marke Volkswagen. Doch wie geht man in anderen Märkten vor, die weder über die Kaufkraft noch über aktuelles Autowissen verfügen? Darf an den zu diesen Märkten passwenden Fahrzeugen das VW-Logo prangen?
Zwischen dem Anspruch an die Marke in Europa und in Schwellenländer kann die Kluft so groß sein, dass es die Marke zerreißt. Am Beispiel der aktiven und passiven Sicherheit lässt sich das Dilemma darstellen: In Brasilien zeigt nur selten ein Käufer Interesse an der Sicherheit. Hier ist ABS top und ESP heute nur für ein Drittel der VW-do-Brasil-Typen zu bestellen. Kann ein Unternehmen von diesem Niveau noch weiter „abrüsten“, ohne einen Imageverlust zu riskieren?
Die klassische Marketinglösung dieses Dilemmas ist die Billigmarke. Doch auch hier wird es Standards geben müssen, die zum Unternehmen passen. Schließlich formulierte VW-Chef Martin Winterkorn in Sao Paulo noch einmal das doppelte Ziel seiner Strategie 2018: Volkswagen soll nicht nur der größte Hersteller werden, sondern auch der nachhaltigste.
Um beide Ziele unter einem Unternehmensdach zu vereinigen, muss auch jede Billigmarke Standards bei der Produktion und den Produkten einhalten. Dafür müssen für die Fahrzeuge Systeme entwickelt werden, die für kleines Geld einen großen Gewinn bei den Eigenschaften bringen. Das gilt zum Beispiel für die steife Fahrgastzelle ebenso wie für die Airbag- und Bremsenausstattung. Als vor wenigen Jahren der aus Indien stammende Tata Nano vorgestellt wurde, erklärten die deutschen Zulieferer, sie sehen eine Chance, für dieses Fahrzeug ein kostengünstiges ESP zu entwickeln. Bei anderen Systemen darf man ähnliches erwarten.
Damit wird eine Billigmarke möglich. Die kann dann in einigen Bereichen auch den zweiten oder dritten Technik-Aufguss vertragen, wozu die 1000 Entwickler und Designer bei Volkswagen do Brasil sicher Einiges beitragen können. Doch die Verwendung alter Technik allein wird nicht helfen. Normalerweise sind neue System – zum Leidwesen der Zulieferer – immer besser als die alten, aber immer auch billiger.
Sollte es eine Billigmarke geben, dann werden auch in entwickelten und reifen Märkten Menschen, die eher das Basismobil als das kleine Traumauto suchen, darauf zurückgreifen wollen. Dacia hat’s bewiesen. Warum sollte Volkswagen darauf verzichten, Wagen fürs Volk zu bauen? Wie sagt der Ami: Time will tell.
geschrieben von auto.de/(ampnet/Sm) veröffentlicht am 30.10.2012 aktualisiert am 30.10.2012
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