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Historie und Histörchen
Was den mächtigen VW-Generaldirektor Dr. h.c. Kurt Lotz an jenem lausig kalten 3. Januar 1969 veranlasste, den firmeneigenen Lear-Jet auf dem Urlaubsflug von Wolfsburg ins mondäne Kitzbühel auf den kahlen Filderhöhen von Stuttgart zu landen, wussten nur wenige Eingeweihte: Der Boss des größten deutschen Auto-Unternehmens wollte in Neckarsulm Auto fahren. Denn das hatte der 150.000 Mann-Betrieb ihm bislang nicht bieten können: ein Auto mit wassergekühlten Frontmotor und mit Frontantrieb – genannt NSU K 70.
Eine kurze Probefahrt, die technischen Erläuterungen des NSU-Vorstandsvorsitzenden Gerd Stieler von Heydekampf und seines Stellvertreters Viktor Frankenberger und eine geschickt gemachte Pressemappe des legendären Pressechefs Arthur Westrup taten Wirkung. Aber erst recht die nachfolgenden Denkprozesse in klarer Tiroler Gebirgsluft ließen beim Chef des größten deutschen Industriekonzerns die Erkenntnis reifen: das Ding muss her. Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Tirol erging am 28. Januar 1969 folgende Anweisung an die VW-Truppe: Ab nach Kassel!
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Befehlsempfänger der knappen Order waren Lotzens Vorstandskollegen Hahn, Holste (Entwicklung) und Höhne (Produktion). Sie sollten jenes Auto begutachten, das nicht nur ihren Chef begeisterte. Auch die bundesdeutsche Presse sang Lobeshymnen. Sogar der „Spiegel“ berichtete von einem „geheimnisvollen Super-Mobil“ und der „Stern“ schwärmte vom „Wunderkind mit dem Wundermotor“. Das waren Beifallstürme, die nicht von ausgedehnten Testfahrten herrührten, sondern auf gezielte Indiskretionen der NSU-Presseabteilung zurückgingen, entstanden wegen einzelner, vorab unter der Hand verteilter Pressemappen.
Als die VW-Vorstände am 30. Januar 1969 auf dem Autobahn-Rastplatz Kassel erstmals dem vielgerühmten Wagen ans Steuer griffen, konnten sie sich nicht der fleißig geschürten Euphorie verschließen. Man habe nach dem NSU Ro 80 ein zweites perfektes Auto konstruiert, war die Meinung der Vorständler. Besonders Entwicklungschef Holste war von dem Neuling „sehr angetan“.
Seine Aufgabe war es nämlich, aus der jahrzehntelangen Käfer-Mono-Kultur schnellstmöglich ein Multi-Typen-Programm zu schaffen. Aufgrund solcher Schnell-Urteile, denen sich am 7. Februar 1969 der gesamte Führungsstab von Volkswagen anschloss, fiel letztlich die Entscheidung für den größten Kuhhandel in der deutschen Automobil-Geschichte.
Einen Mitspieler in Sachen Expansion hatte Lotz dabei im Aufsichtsratsmitglied Dr. Hermann Richter gefunden. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, nun Unternehmensberater in Düsseldorf, hatte Lotz 1967 – bis dahin Chef des Elektrokonzerns Brown-Boveri – als Nordhoff-Nachfolger nach Wolfsburg empfohlen. Richter wusste, dass NSU einen starken Partner suchte, um seine Zukunft zu sichern. Er hatte schon vergeblich Kontakt zu American Motors und Chrysler, zu Fiat und Citroen gesucht.
Kurt Lotz selbst stand mit dem Rücken an der Wand. Vom Vorgänger Nordhoff hatte er den Volkswagen 411 übergeben bekommen – wieder ein Heckmotorwagen mit Heckantrieb, so wie ihn die Kundschaft im Käfer längst leid war. Der 1,8 Liter-Wagen würde kein Verkaufsschlager werden. Das war damals längst klar. Auf der Wolfsburger Hauptversammlung 1969 pfiffen die VW-Aktionäre den VW 411 aus und riefen in Sprechchören nach dem NSU K 70.
Und der wurde hochgelobt. Das Fahrverhalten des 1,6 Liter-90-PS-Wagens wurde von Fachjournalisten als „phänomenal“ eingestuft. Dieter Korp, Auto-Tester bei der „Auto Motor Sport“ schwelgte damals: „Das Auto wirkt schon im Stand so dynamisch, so unternehmungsfreudig, ja so frech, dass man nur noch den Wunsch verspürt: Den muss ich haben.“
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Der K 70, der die gesamte Auto-Industrie aufgeschreckt hatte, sollte eigentlich zum Genfer Autosalon im März 1969 präsentiert werden. Doch es dauerte über ein Jahr, bis das erste Exemplar aus dem neu erbauten Volkswagenwerk Salzgitter als VW K-70 und als erster Volkswagen überhaupt mit Frontmotor, Frontantrieb und Wasserkühlung auf den Markt kam. Doch dann blieb der große Kunden-Ansturm aus. Die Verkaufszahlen erreichten nicht die von VW angepeilten Größenordnungen.
Die Fachpresse sammelte ihre Vorschusslorbeern schnell wieder ein. Die „Deutsche Auto-Zeitung“ schrieb: „5000 Test-Kilometer demonstrieren den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit.“ Bemängelt wurde der viel zu laute Motor, die laute Heizungs- und Belüftungsanlage und die kantige und deswegen aerodynamisch ungünstige Karosserieform.
Auch der hochgelobte K-70-Vierzylinder war keineswegs ein Wunderding, sondern am Ende seiner Entwicklungsmöglichkeiten. Das aus fertigungstechnischen Gründen von den luftgekühlten 1200 ccm-NSU-Motoren abgeleitete Triebwerk wurde zwar von Volkswagen von 1567 auf 1606 ccm aufgebohrt und in einer 75 - und einer 90 PS-Variante auf den Markt gebracht, doch selbst die stärkeren Maschinen brachten nur durchschnittliche Fahrleistungen.
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Inzwischen hatte auch der VW-Aufsichtsrat erkannt, wie teuer das Wunderauto wurde: Rund 520 Millionen Mark hatte das brandneue VW-Werk Salzgitter gekostet, das für den K 70 innerhalb von 18 Monaten auf der grünen Wiese für täglich 5000 wassergekühlte Motoren gebaut worden war. 138 Millionen Mark musste VW an die Dresdner Bank zahlen, um das NSU-Aktienpaket zu kaufen. Mit den insgesamt 698 Millionen Mark hätte Lotz, so jammerte der Aufsichtsrat, auch ein komplettes Baukasten-System neuer Modelle entwickeln können.
Dies war auch der Hauptgrund, weshalb Lotz im Herbst 1971 seinen Stuhl räumen musste. Sein Nachfolger wurde Rudolf Leiding. Er hatte erkannt, dass der NSU-Wagen keine Rettung für Volkswagen sein konnte. Leiding betrachtete ihn nur noch als Übergangslösung, bis die neue VW-Audi-Generation serienreif war. Als erstes setzte Leiding deswegen einen Stab Techniker an die Reißbretter, um dem K 70 zu mehr Leistung zu verhelfen. Mit großem konstruktiven Aufwand wurde der 1,6 Liter-Motor auf 1807 ccm vergrößert, wodurch er 100 PS leistete. Mit Doppelscheinwerfern und schwarzen Seitenstreifen schickte man ihn erneut ins Marktrennen.
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Der K 70 (K= Kolbenmotor) war seit 1965 von NSU-Cheftechniker Ewald Praxl entwickelt worden. Seine kantigen Linien stammt von Claus Luthe. Es war eine durchaus anspruchsvolle Konstruktion. Das Fahrwerk entsprach dem des Luxuswagens Ro 80. Der längs eingebaute Frontmotor war „zweistöckig“ mit dem Getriebe vorn eingebaut und saß als Antriebseinheit genau über der Vorderachse. Das Fahrwerk besaß vorne Federbeine und sogar schon Lenkrollradius null, die Hinterräder hingen an einer Schräglenkerachse. An der Vorderachse saßen – innenliegend – schon Scheibenbremsen.
Die Karosserie besaß vorn und hinten Crash-Zonen, eine zweimal abgewinkelte Lenksäule, den Tank vor der Hinterachse und vorn angeschlagene Motorhaube. Sicherheitsgurte gab es gegen Aufpreis, die Anlenkpunkte waren schon vorhanden. Gemessen an den anderen VW-Modellen also eine hochmoderne Konstruktion, die allerdings – gemessen an den Audi-Modellen – aufwendiger und teurer zu produzieren war. Zudem gab es keine Gleichteile im Programm, zum großen Ärger der Ersatzteilhaltung bei den Händlern.
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Mit zunehmender Nachfrage nach den aus dem Audi 80 entwickelten Passat-Modellen drosselte er die K 70-Produktion so soweit, dass sein Nachfolger Toni Schmücker im Februar 1975 nur noch den Daumen zu senken brauchte, um den ungeliebten K 70 von den Bändern zu kippen. Das einstige NSU-Auto musste dem Audi 100 weichen, der im Sommer auf den Markt kam. Bis Mai 1975 wurden nur 211.127 K 70 gebaut – viel zu wenig nach VW-Maßstäben.
geschrieben von AMP.net/Sm veröffentlicht am 04.08.2020 aktualisiert am 03.08.2020
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