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Ampel steht auf Rot, Vierter in der Warteschlange. Sollte eigentlich kein Problem sein, denkt sich der durchschnittliche Autofahrer. Vier Wagen dürften locker bei Grün über die Kreuzung kommen. Wenig später ist es so weit. Der Erste tritt flott aufs Gas und verschwindet am Horizont.
Doch Nummer Zwei scheint ein Problem mit der gleichzeitigen Betätigung von Schalthebel, Kupplung und Gaspedal zu haben – erst nach einer gefühlten Ewigkeit geht es voran. Die Warterei bringt Nummer Drei so in Rage, dass er dem Vordermann mit der Hupe zu verstehen gibt, was er von der Verzögerung hält. Mit der Folge, dass er selber vergisst, den Gang einzulegen, und nach der stotternden Abfahrt von Nummer Zwei für eine weitere Verzögerung sorgt. Er rauscht noch gerade so bei Gelb rüber, der vierte Wagen allerdings schaut einmal mehr auf rotes Licht. All das passiert täglich unzählige Male an deutschen Ampeln – doch für das Warum gibt es nur Erklärungsversuche.
Der Frust über das ständig wiederkehrende Ampel-Debakel ist so groß, dass nicht wenige Fahrer es mit nach Hause nehmen. Regelmäßig kommt es auch online in Foren zu ausufernden Diskussionen über „tranfunzeliges“ oder „lahmes“ Anfahren an Ampeln. Nicht selten umfasst ein solcher Meinungsaustausch Aberhunderte von Beiträgen, wird über viele Monate fortgeführt. Natürlich wird dabei auch über die Ursachen spekuliert. Die unterschiedliche Motorleistung der Fahrzeuge sei schuld, heißt es dann, oder die beim Ampelhalt abschaltenden Motoren der Autos mit Start-Stopp-Systemen – doch was immer auch als Ursache gemutmaßt wird, für alles gibt es ein Gegenargument. Selbst ein uralter Kleinwagen mit 45 Pferdestärken ist kräftig genug für zügiges Anfahren, und ein Start-Stopp-System benötigt keine Ewigkeiten für die Wiederaufnahme seiner Arbeit.
Die wahren Ursachen finden sich eher abseits der Technik – sozusagen beim Bedienpersonal und dessen aktuellem Gemütszustand. „An einer Ampel kommen unterschiedlichste Menschen zusammen“, sagt der Psychologe Ulrich Chiellino vom ADAC. „Da gibt es Leute mit Zeitdruck, andere haben dagegen viel Zeit und sind deutlich gelassener.“ Während also der angespannte Außendienstler auf jeden Sekundenbruchteil achtet, legt der ausgeruhte und entspannte Fahrer ohne Druck im Nacken den Gang ein und fährt los. Doch was der eine als völlig normale Handlungsgeschwindigkeit empfindet, ist für den anderen der Inbegriff unzumutbarer Lahmarschigkeit. Schließlich führen die Gemütszustände Stress und Entspannung auch zu einem recht unterschiedlichen Zeitgefühl.
Für den Verkehrssoziologen Alfred Fuhr kommen noch weitere Einflussfaktoren hinzu. Er sieht auch das Auto selbst als Ursache – allerdings geht es ihm nicht um die Motorleistung oder fahrdynamische Unterschiede, sondern um die Innenräume moderner Fahrzeuge. Denn die bieten während der Wartezeiten im Stau oder an der Ampel mittlerweile eine ganze Menge an Ablenkungsmöglichkeiten. Sei es das Herumspielen am Infotainmentsystem, die Neueinstellung des Navis oder auch nur das Handy, das unterhaltsamen Zeitvertreib erlaubt. „Die Leute gucken sich im Wagen um“, so Fuhr. Resultat ist eine Unkonzentriertheit, die das Wissen um einen anstehenden Rot-Grün-Wechsel im Hintergrund der Wahrnehmung verschwinden lässt.
Das kann jedoch ebenfalls nur ein Faktor in der langen Reihe von Ursachen sein, die zu der von vielen gefühlten Lahmheit des Ampel-Anfahrens führt. Denn wirklich neu ist das Problem nicht. Im Gegenteil: Schon vor Jahrzehnten haben sich Menschen darüber aufgeregt und ihrem Ärger in unterschiedlichster Form Luft gemacht. Zu den Pionieren solchen Unmuts zählt der legendäre Komiker Heinz Erhardt, nicht zuletzt bekannt für die Rolle des Polizeihauptwachtmeisters Eberhard Dobermann in dem Spielfilm „Natürlich die Autofahrer“ von 1959.
Erhardt hat dem Phänomen Ampel vor rund 50 Jahren sogar ein Gedicht gewidmet, dessen Inhalt nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Ein Auszug: „Und so schön das Rot auch schien, man ist diesem Rot nicht grün. Doch wenn Grün kommt, und man kann, hat der liebe Vordermann – solche Fälle sind verbürgt – seinen Motor abgewürgt. Bracht in Gang er endlich ihn, und man kann, ist nicht mehr Grün. Schuld ist vorne der „Idiot“! Bis man Grün hat, sieht man rot.“
Auch Alfred Fuhr räumt ein, dass die Ampel-Schleicherei nicht neu ist und die Ablenkung im Innenraum des Autos nur ein Puzzlestein des Ganzen ist. Neben der von Ulrich Chiellino aufzeigten Wahrnehmungs-Verschiebung durch unterschiedliche Gemütszustände sieht Fuhr sogar in der schieren Unendlichkeit des Jahrzehnte bestehenden Problems einen Grund. Was er damit meint, das fasst Fuhr als ein „selbst verlernendes System“ zusammen.
Demnach erlebt der Autofahrer immer wieder, dass es ihm absolut nichts bringt, wenn er als Vierter, Fünfter – oder wo auch immer in der Reihe der Wartenden – sofort starbereit ist, sobald die Ampel auf Grün springt. Vielmehr erkennt der aufmerksame Mensch mit der Zeit, dass die Verzögerung beim Ampelstart eine unentrinnbare Tatsache darstellt. „Der Autofahrer lernt, und er resigniert – er sagt sich, dass er ohnehin nicht mehr bei Grün rüberkommt.“ Also reiht sich auch der einstige Schnellstarter in das Heer der Zauderer und Verzögerer ein. Und so gibt es an der nächsten Ampel noch ein Auto mehr, das nur langsam in Gang kommt.
Einen Trost hat Alfred Fuhr dann doch noch parat: „Verkehrsprobleme sind Luxusprobleme.“ Es gibt Schlimmeres auf der Welt.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 08.03.2013 aktualisiert am 08.03.2013
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