Nein, es geht nicht um den ostfriesischen Komiker und Blödler. „Otto“ hat einen Stern am Kühlergrill und ist ein Mercedes-Benz G. Einer der kantigen und kultigen Geländewagen der Stuttgarter Autobauer. Aber Otto ist mehr als „nur“ ein Auto. Er ist Weltrekordhalter - und Star des Buches, das sich um ihn und die mit ihm unternommene Reise dreht.
Frauen geben ihren Autos Namen. So ist es auch bei Otto. Den Mercedes-Benz 300 GD hat Christine, die Ehefrau von Gunther Holtorf, liebevoll „Otto“ getauft. Für Holtorf, den ehemaligen Pilot und Luftfahrt-Manager, ist sein blauer 300 GD das Expeditionsmobil schlechthin. Rund 26 Jahre war Holtorf mit Otto unterwegs, hat knapp 900.000 Kilometer mit ihm zurückgelegt und 215 Länder bereist. Im Jahre 1988 steigt Holtorf im Alter von 50 Lenzen aus. Er will auf Weltreise gehen, kauft sich (s)einen G, verschifft ihn nach Nairobi und geht auf Testfahrt: „Beim Kauf des Wagens habe ich dem Versprechen von Mercedes-Benz ,Wo ein G ist, ist auch ein Weg’ noch etwas skeptisch gegenüber gestanden. Schließlich hatte ich bereits im Vorfeld einiges von der Welt gesehen und eine ungefähre Vorstellung von dem, was ein Fahrzeug während einer solchen Welterkundung ertragen muss!"
Im November 1989 gibt er eine Kontaktanzeige auf. „Interessieren Sie fremde Länder jenseits des Massentourismus? Fühlen Sie sich in freier Natur wohl? Sind Sie sportlich-aktiv, schlank, unkompliziert, offen für Interessantes dieser Welt? Wenn ja, dann könnte man sich ja mal bei einer Flasche Wein kennenlernen.“ Holtorf bekommt mehr als 50 Antworten – und trifft sich mit drei Frauen. Eine davon ist Christine Boehme aus Dresden, sie hat seine Anzeige eine Woche nach dem Fall der Berliner Mauer gelesen. Holtorf schildert sie als „sehr unkompliziert, symathisch, belastbar“. Das Paar zieht gemeinsam los, geplant war eine kurze Reise in Afrika. Liebe auf den ersten Blick war es zwischen den beiden nicht. Die entwickelte sich, mit der Zeit. Ebenso wie das Vertrauen in Ottos Fähigkeiten. Die anfängliche Skepsis verwandelte sich speziell in heiklen Situationen in großes Zutrauen zu dem vierrädrigen „G-efährten“ und Reisepartner.
Rund 250.000 der knapp 900.000 Kilometer legte der 300 GD in „artgerechter Haltung“ abseits befestigter Wege zurück. Auf Schotter- oder Wellblech-Pisten, im Schlamm, auf Schlaglochstrecken oder felsigen Kletterpassagen im Hochgebirge. Diese Belastung entspricht für Fahrwerk und Chassis rund 2,5 Millionen Kilometer unter „normalen“ mitteleuropäischen Bedingungen. Zu den topographischen Verwerfungen kamen die unterschiedlichsten meteorologischen Anforderungen, die Otto in allen Klimazonen der Erde absolvieren musste: Von der gnadenlosen Gluthitze der Wüste über dampfende Dschungelgebiete bis hin zu arktischen Gefilden mit klirrender Kälte.
Exakt waren es 899.592 Kilometer das entspricht etwa 22 Erd-Umrundungen oder der Strecke Erde–Mond und zurück plus zwei Extrarunden um die Erde. Dabei hatte Otto eigentlich immer mit Übergewicht zu kämpfen. Mit der Expeditionsausrüstung und Lebensmitteln, mit Reservekanistern, Betriebsmitteln, Werkzeug, Bergeausrüstung, Ersatzteilen und Reserverädern brachte das Expeditionsmobil satte 3,3 Tonnen auf die Waage. Das sind gut 500 Kilogramm mehr als das zulässige Gesamtgewicht des G. Allein auf dem Dach landeten rund 400 Kilogramm. Auch das brachte das Weltrekordmobil jedoch nicht aus der Fassung: „Eigentlich war der G immer überladen, deshalb hatten wir verstärkte Federn und Schlechtwege-Stoßdämpfer eingebaut. Ansonsten entspricht Otto dem Serienstand. Der komplette Antriebsstrang mit Motor, Getriebe und Achsen ist noch original. Weder Rahmen noch Karosserie haben irgendwelche Ermüdungserscheinungen gezeigt.“
Im Sommer 2010 stirbt Christine an einem Krebstumor. Beerdigt wird sie in einem Dorf am Chiemsee, nur wenige Meter entfernt von dem Standesamt, in dem sie Holtorf geheiratet hat. Der beendet seine Reise erst vier Jahre nach dem Tod seiner Frau. 215 Länder haben Gunther Holtorf und seine Frau mit Otto bereist haben.
Die für Holtorf nun finale Weltkarte ist komplett von roten Linien durchzogen und hat ihm im Laufe seiner Tourplanungen einige Türen geöffnet und Reisen ermöglicht, die bis dahin schlicht als undurchführbar galten. So reiste er etwa durch völlig abgeschottete Länder wie Nordkorea und Myanmar oder unternahm eine große Rundfahrt durch China mit mehr als 25.000 Kilometern als Selbstfahrer. „Pioniertouren“ nennt Gunther Holtorf diese Reisen, bei denen erstmals ein ausländisches Fahrzeug mit einem ausländischen Fahrer das jeweilige Land befahren durfte. Das Marathonmobil erhält einen Platz im Mercedes-Benz- Museum in Stuttgart-Untertürkheim, wo es im Bereich der Klassiker den Besuchern präsentiert wird. Als Weltrekordler wird Otto zudem auch bei Guinness World Records verewigt.
Die Geschichte von Abenteuer, Liebe und Freiheit – die Geschichte von Otto, Christine und Gunther Holtorf, gibt es jetzt auch als faszinierenden Bildband.
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