Mit der – nomen est omen – Multistrada 1000 DS schuf Ducati vor 13 Jahren die Urahnin aller heutigen Multitool-Motorräder, der 2010 die aktuelle 1200er-Generation folgte, die zuletzt im vergangenen Jahr noch einmal aufgefrischt wurde. Längst hat sich das ehemalige Allzweck-Krad in einige Modellvarianten aufgegliedert. In diesem Jahr kommt nun noch die Multistrada 1200 Enduro dazu. Mit ihr wollen sich die Italiener noch etwas direkter Richtung Platzhirsche vom Schlage einer BMW R 1200 GS oder KTM 1190 Adventure positionieren.
Wie ein Raubvogel blickt die Multistrada mit schmalen Doppelscheinwerfern, den beiden nasenförmigen Lufteinlässen und ihrem zusätzlichen „Schnabel“ auf die Straße, um gleich dahinter dickere Backen als die übrigen Familienmitglieder zu machen. Hinter den aus gebürstetem Aluminium (!) gefertigten Blenden steckt der auf stolze 30 Liter gewachsene Tank. Er sollte Reichweiten von gut und gerne 450 Kilometern ermöglichen. Angenehmer Nebeneffekt der breiten Bauweise sind guter Wind und Wetterschutz, zudem auch die auf vorbildlich einfache Art höhenverstellbare Scheibe ihren Teil beiträgt. Ähnlich durchdacht ist der Verstellmechanismus für den Fußbremshebel, der sich kinderleicht für den Geländeritt im Stehen ein Stück nach oben drehen lässt.
Mit dem 19-Zoll-Vorderrad bietet Ducati einen Kompromiss zwischen Straße und Gelände, hinten gibt es einen gegenüber der normalen Multistrada schmaleren 17-Zoll-Pneu. Auffällige Unterscheidungsmerkmale der Enduro sind am Heck außerdem die Zwei-Arm-Schwinge sowie das Doppelendrohr. Es ist sehr schmal und dicht an der Maschine gehalten, damit der optionale rechte Seitenkoffer möglichst nah ans Motorrad rückt. Bei der Bereifung verlassen sich die Italiener auf ihre Landsleute und langjährigen Entwicklungspartner Pirelli. der Käufer kann seine Multistrada 1200 Enduro entweder mit dem Scorpion Trail II ordern, der nicht zuletzt auf Nässe seine Stärken ausspielt, oder alternativ mit dem M+S-Geländereifen Scorpion Rally (bis 190 km/h zugelassen) ausliefern lassen. Letzter hat schon beinahe das das Profil einer Panzerkette, sind nach einer gewissen Warmlaufphase aber auch auf Asphalt gut zu händeln. Lediglich in Schräglagen spürt man das grobe Profil der äußeren Blöcke ein wenig in den Fingern.
Auch in der Enduro schlägt das L-förmige-V2-Herz, das Markenzeichen von Ducati. Das 1,2-Liter-Triebwerk stellt für die Enduro 118 kW / 160 PS bei 9500 Umdrehungen und 136 Newtonmeter Drehmoment bei 7500 Touren bereit. Den betörenden Klang einer Ducati zu beschwören, hieße auch hier, Eulen nach Athen oder besser gesagt Bologna zu tragen. Unter 3500 U/min schüttelt sich das bei jedem Gasstoß aufbellende Triebwerk in kaltem Zustand gerne ein wenig, um 1000 Touren später unmissverständlich seine Leistungsbereitschaft zu betonen und sich ab 6000 U/min nochmals stärker ins Zeug zu legen. Lastwechselreaktionen sind der Mulitstrada dabei fast vollkommen fremd.
Vier Fahrmodi offeriert Ducati dem fernreisenden Enduristen: Sport, Touring, Urban und Enduro, die die wichtigsten Fahrwerkparameter, die Motorcharakteristik und die Sensibilität des Gasgriffs regelt. Dabei kann der Fahrer innerhalb der verschiedenen Stufen die Werkseinstellungen nach eigenem Geschmack beliebig verändern. So kann beispielsweise im Touring-Modus das Fahrwerk-Setup von „Sport“ hinterlegt werden. In der Geländeeinstellung werden die Leistung auf 100 PS und die Fahrhilfen heruntergefahren. Die Gasannahme erfolgt dann wunderbar weich. Auch im Stadt-Betrieb Urban nimmt die Multistrada 60 PS raus, hält aber beispielsweise Traktionskontrolle und ABS auf deutlich höherem Ansprechniveau als in der Offroad-Einstellung.
Im Gelände macht die Enduro mit ihren 20 Zentimetern Federweg eine gut Figur und trägt ihren Namen zu Recht. Sie ist wunderbar ausbalanciert und knausert auch nicht beim Lenkwinkel. Auf Schotter oder in feuchtem Gras lässt sich die Ducati bei wegrutschendem Heck immer wieder gut einfangen. Etwas Tribut muss nur der Größe des Vorderrades gezollt werden, die, wie bereits erwähnt, einen Kompromiss darstellt. Das gute Offroad-Handling kommt auch der Straße zugute. Selten haben wir auf einem 250-Kilo-Motorrad so gelassen ein 180-Grad-Wendemanöver von Bordstein zu Bordstein vollzogen.
Angesichts von Kurvenlicht, Tempomat, Kurven-ABS, semi-aktiver Dämpfung und Bluetooth-Anbindung sowie Keyless go, Wheelie-Kontrolle und – beim ersten Mal etwas gewöhnungsbedürftigen – Berganfahrhilfe relativiert sich der Preis für die Enduroausgabe der Multistrada rasch. Kleine Schwächen darf sie dennoch zeigen. Der Leerlauf rastet nicht immer so präzise ein wie man es sich wünschen würde. Auch der Seitenständer verlangt etwas Aufmerksamkeit. Er ist ergonomisch ungünstig platziert, hat keine Ausformung für die Fußspitze und lässt sich nur mit Mühe vernünftig erwischen, zumal auch noch die Fußraste halb im Weg ist. Auch das Einklappen, etwa in hohem Gras, ist ein wenig mühselig.
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