Kopenhagen – Es gibt Gebäude, die sind etwas Besonderes. Zum Beispiel das Dieselhaus in Kopenhagen. Seine Erbauer haben es rund um den einstmals größten Dieselmotor der Welt entstehen lassen.
Schiffsglocke läutet
Kopenhagen, Industriegebiet, Elvaerksvej 50. Roter Backstein, der auch farblich einen wohltuenden Akzent zu den genauso modernen wie eintönigen Glasfassaden der Bürogebäude auf der anderen Straßenseite setzt. Hohe Dreifach-Schlote, aus denen kein Rauch mehr entweicht. Dazu alte Gleise, über die längst keine Güterwaggons mehr fahren. Im modernisierten Dieselhaus, heute ein umgebautes Museum, hat gerade jemand eine große Schiffsglocke geläutet. Gleich geht’s los. Per Parkhoj und Fine Kromann stehen in ihren grauen Arbeitsoveralls schon bereit.
Auf mächtiger Kontrollwand
Die beiden Dänen überprüfen auf halber Höhe noch einmal die Anzeigen auf einer mächtigen Kontrallwand aus Gußeisen – und setzen das sich über vier Decks auftürmende Ungetüm, das fast das gesamte Gebäude in Anspruch nimmt, schließlich in Gang. Der doppeltwirkende Zweitakter, 24,5 Meter hoch, 12,5 Meter lang und 1400 Tonnen schwer, legt wie eine Dampflok erst ganz langsam los, wird dann aber immer schneller, ehe er zuletzt seinen überaus harmonischen Rhythmus findet.
Zur Stromversorgung
Das Dieselhaus, erzählt Fine Kromann, wird 1932 auf dem Gelände des Orsted-Kraftwerks errichtet, um den von Burmeister & Wain gelieferten Riesendiesel zu beherbergen. Der wird an einen 15 000 Kilowatt starken Generator angeschlossen, soll morgens und abends Strom für die Kopenhagener liefern. Der Motor gilt über 30 Jahre lang als weltweit größter Selbstzünder, steht seit den 1970er-Jahren bis 2004 noch für die Versorgung zur Verfügung, sollte der Strom im Werk einmal ausfallen.
Immer noch betriebsbereit
„Heute“, betont Kromanns Kollege Parkhoj, „ist er nicht mehr an das Werk angeschlossen, aber immer noch betriebsbereit!“ Zweimal im Monat – oder wenn Audi wie zuletzt über 25 Jahre Turbodiesel in Pkw informiert – wird er als Hauptattraktion des Museums gestartet. Seine Geschichte ist zugleich die eines deutschen Ingenieurs, Rudolf Diesel, der 1892 eine Brennkraftmaschine patentieren lässt, die flüssiges Öl mittels Kompressionswärme anzündet. Die Diesel-Historie beginnt.
Erster Selbstzünder
1898 schließen Diesel und Burmeister & Wain einen Vertrag, nach dem das Maschinen- und Schiffbauunternehmen mit Hauptsitz in Kopenhagen das Alleinrecht für die Produktion und Weiterentwicklung des Motors in Dänemark erhält. Ein Testaggregat wird gebaut. Der erste Diesel entsteht, wird an einen Wagenfabrikanten in der dänischen Hauptstadt ausgeliefert. Ausgestattet mit zwei Viertakt-Hauptmotoren mit insgesamt 2500 PS tritt 1912 das erste hochseefähige Schiff mit Dieselaggregat, die MS Selandia, in Kopenhagen die Jungfernreise an. 1930 läuft die MS Amerika mit dem ersten Zweitakt-Diesel der Dänen aus, die drei Jahre später dann den größten Diesel der Welt ausliefern.
Mit 15 000 Kilowatt Leistung
DM884WS-150 – so lautet seine offizielle Bezeichnung. Für Technik-Interessierte: Er verfügt über acht Zylinder mit einem Durchmesser von jeweils 840 Millimeter. Der Hub des mächtigen Kolbens beträgt 1500 Millimeter, die Drehzahl 115 pro Minute, die Leistung 15 000 Kilowatt.
Dann mit Turboaufladung
Weiter geht’s in der Diesel-Geschichte: Die Besatzung der MS Dorthe Maersk nimmt 1952 den ersten Zweitakt-Diesel mit Turboaufladung in Betrieb. 1967 wird der erste Zweitakter mit einem Zylinderdurchmesser von 98 Zentimetern und 24 500 PS erprobt. Die Einführung sogenannter MC-Motoren erfolgt ein paar Jahre später. Das Programm, so vermerkt es die Chronik, „wird von Anfang an ein voller Erfolg.“ Die Bilanz im Jahr 2000 lautet: „100 Millionen PS in Form von beauftragten oder im Betrieb befindlichen MC-Motoren.“ Der Marktanteil für große Zweitakter von (inzwischen) MAN Burmeister & Wain Diesel liegt bei über 70 Prozent.
Technologie-Erlebniszentrum
MAN Diesel & Turbo heißt heute der nach eigenen Angaben „weltweit führende Hersteller von Zweitakt- und Viertakt-Diesel-Großmotoren für den Einsatz in Schiffen“, der Umbau und Einrichtung finanziert hat und das Dieselhaus als „Erlebniszentrum der Dieseltechnologie und Industrie in kultur-historischen Zusammenhang“ betreibt. Die Ausstellungen sind mit Unterstützung des dänischen Amtes für Denkmalpflege und in Zusammenarbeit mit dem Kopenhagener Stadtmuseum entwickelt.
Mit Handarbeit zum Stillstand
Dazu gehört der Diesel Nummer 1 aus dem Jahr 1904, ein Viertakt-Tauchkolbenmotor mit 40 PS und 180 Umdrehungen pro Minute. Im Vergleich zum Riesendiesel nebenan wirkt er fast klein. Dennoch gehört selbst Handarbeit dazu, ihn am Ende wieder sicher zum Stillstand zu bringen. Erst versucht sich Per Parkhoj daran, dann löst Fine Kromann ihn ab. „Da gehört doch ganz schön viel Kraft dazu.“