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EU-Kommission nimmt Deutschland im Kältemittelstreit aufs Korn

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Im Streit um Kältemittel für mobile Klimaanlagen hat die EU-Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnet. Der Vorwurf: Deutsche Behörden setzen sich zugunsten Daimlers über EU-Recht hinweg. Und tatsächlich füllt der Hersteller in neue Modelle ein Kältemittel ein, das gegen die geltende Richtlinie 2006/40/EG verstößt. Daimler tut das, nachdem sich die Alternative R1234yf bei Tests wiederholt entzündet hat. Ende Januar hat eine Expertenanhörung der EU-Kommission neue Zweifel an der Sicherheit von R-1234yf aufgeworfen.

Im Grunde pocht die EU-Kommission darauf, das sich deutsche Behörden an geltendes Recht halten. Seit Januar 2013 gilt die Richtlinie 2006/40/EG. Kältemittel in Klimaanlagen neuer Pkw-Modelle dürfen seither maximal das 150-fache Global-Warming-Potential (GWP) von Kohlendioxid haben. Daimler nutzt weiter R134a, das den Grenzwert massiv überschreitet. Dass deutsche Behörden den entsprechenden Modellen dennoch, wider geltendes EU-Recht Typgenehmigungen erteilen, musste die Kommissare in Brüssel auf den Plan rufen.

Mit dem Ende Januar eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland geht die EU-Kommission gegen die „Gefahr für das ordnungsgemäße Funktionieren und die Konsistenz des Binnenmarkts“ vor, die „zu unlauterem Wettbewerb führen wird“. Deutsche Behörden hätten sich seit Monaten der Suche nach vernünftigen Wegen widersetzt, ließ Brüssel durchblicken. Auch Großbritannien, Luxemburg und Belgien hätten schriftlich dazu aufgefordert, die Richtlinie strikter als bisher umzusetzen.

Die Kommission betont, dass ihr Vorstoß kein Votum für das umstrittene R1234yf ist. Vielmehr poche sie auf Einhaltung der technologieneutral formulierten Richtlinie. Sie habe den Autoherstellern jahrelangen Vorlauf und reichlich Fördermittel gewährt, um Richtlinien-konforme Klimatechnik zu entwickeln. Doch die Lösung, die dabei herausgekommen ist, kommt für Daimler und andere deutsche Hersteller nicht mehr infrage. Die Branche hatte aus zwei Alternativen zu R134a die vermeintlich günstigere gewählt. R1234yf war zwar teurer, konnte das bisherige Kältemittel aber ohne größere Umstellungen der Klimatechnik ersetzen und erfüllt die EU-Richtlinie dank seines GWP-Wertes von 4. Damit schlug es das lange favorisierte Kohlendioxid, das als Kältemittel unter dem Namen R744 läuft. Zwar ist es mit dem GWP-Wert 1 ökologisch unschlagbar, überall verfügbar und billig. Doch setzt sein Einsatz komplexe, teurere Klimatechnik voraus.

Die Branche hat die Entwicklung von R744-Klimaanlagen nach der Entscheidung für R1234yf ruhen lassen. Das fällt Daimler und letztlich auch den deutschen Behörden nun auf die Füße. Nachdem Testreihen bei Daimler ernste Zweifel an der Sicherheit von R1234yf aufgeworfen haben, fehlt eine serienreife Alternative. Zwar treiben Hersteller und Zulieferer die Entwicklung der R744-Technik inzwischen mit Hochdruck voran. Doch damit gibt sich Brüssel nicht zufrieden. Die Richtlinie gilt. Angebote deutscher Behörden zur finanziellen Kompensation habe man ausgeschlagen. Die Begründung: „Im EU-Typgenehmigungssystem ist die Möglichkeit geldwerter Entschädigungen durch Hersteller als Ausgleich für die Nicht-Übereinstimmung mit Sicherheits- und Emissionsvorschriften aus offensichtlichen Gründen nicht vorgesehen“. Zu deutsch: Freikaufen gilt nicht.

Brüssel will keinen Präzedenzfall, in dem nationale Behörden einem Unternehmen einräumen, gegen EU-Recht zu verstoßen. Als Rechtsposition ist das verständlich. Doch werfen Dokumente einer Expertenanhörung, die Ende Januar auf Betreiben der EU-Kommission im italienischen Ispra stattfand, neue Zweifel an dem umstrittenen Kältemittel und am Informationsstand der Kommissare auf.

Der vorläufige Abschlussbericht des Joint Resarch Centers (JRC) der EU, auf den die Kommission ihre Argumentation stützt, bestreitet die Relevanz jener Tests, in denen R1234yf bei Daimler und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flammen aufgegangen ist. Es lägen „unrealistisch hohe Geschwindigkeiten“ zugrunde, die nur in Deutschland und auf der Isle of Man erlaubt seien. Die Aussage ist ebenso unverständlich wie zwei weitere Passagen, wonach Unfallgeschwindigkeiten über 40 km/h im Stadtverkehr und bei Bergauffahrten mit Anhänger unwahrscheinlich sind.

Diese Details sind wichtig, weil die Temperaturen im Motorraum entscheidend dafür sind, ob sich ausströmendes R1234yf nach Unfällen entzünden kann oder nicht. Das KBA und Daimler sehen diese Gefahr nach längeren Vollastfahrten. Das JRC tut schon die Frage, ob in Volllastszenarios Gefahr droht, als „engineering curiosity“ also für den Alltag irrelevante Ingenieurneugier ab. Daimler-Experten entgegnen in Ispra, dass sie die Sicherheit selbstverständlich an hierzulande erlaubten Geschwindigkeiten und den Höchstgeschwindigkeiten ihrer Fahrzeuge ausrichten – und dass diese Modelle Berge auch mit Hänger schneller als 40 km/h erklimmen. Abgesehen davon, das auf Landstraßen auch Frontalcrashs mit weit schnelleren Bergab-Fahrern möglich sind.

Ein weiterer Streitpunkt: die Zündtemperatur von R1234yf. Hier gehen die Befunde weit auseinander. Die Internationale Ingenieurvereinigung SAE geht davon aus, dass Temperaturen über 700 Grad Celsius nötig sind. Ebenso spricht das KBA von circa 700 Grad. Dagegen haben Daimler-Ingenieure in Testreihen beobachtet, dass R1234yf bereits ab 635 Grad zündet. In Ispra erläutert ein Experte der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), dass die minimale Zündtemperatur (MIT) des Kältemittels noch niedriger ist: je nach Randbedingungen zwischen 405 Grad und 575 Grad. Er verweist in seinem Vortrag darauf, dass gerade bei Autobahn-Massenkarambolagen unterschiedlichste Leckage-Szenarios denkbar seien, bei denen austretendes Kältemittel auf heiße Oberflächen treffe. Jährlich seien weit über 3 000 Pkw in Unfälle mit drei und mehr Fahrzeugen verwickelt.

Eine vertiefte Unfalldaten-Analyse im Zuge des Kältemittelprojekts des KBA zeigt, dass bei jährlich 2 100 der hierzulande in Unfälle verwickelten 350 000 Fahrzeuge Schadensbilder auftreten, bei denen ein Kältemittelaustritt bei intaktem Kondensator zu befürchten ist. Diese 2 100 Unfälle jährlich fallen in ein Szenario, das der von der EU-Kommission viel zitierte JRC-Report als generell irrelevant abtut.

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