Fahrbericht Kawasaki Versys 1000: Grenzgänger zwischen den Welten

Den Platz eines hochbeinigen Tourers nimmt in der Kawasaki-Modellpalette die „Versys 1000“ zum Preis von 11 995 Euro ein. Doch eine klassische Reiseenduro will sie nicht sein, eher der treue Begleiter auf der großen Reise als auch auf der Straße. Die Klasse der großen Reiseenduros ist im Hause Kawasaki bereits seit einigen Jahren verwaist.

Das letzte der großen, ansatzweise offroad-tauglichen Tourenbikes, die KLV 1000, rangiert bereits seit 2006 nicht mehr im Modellprogramm. Und selbst die stammte von der Suzuki DL 1000 V-Strom ab, die nur neben einigen optischen Retuschen das Kawasaki-Markenlabel trug. Das Design der neuen Versys ähnelt dem der kleineren 650-Kubik-Schwester. Für den Antrieb wurde der Vierzylindermotor des Streetfighters Z 1000 domestiziert: Zugunsten von mehr Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich haben die Japaner mit kleinerem Nockenwellenhub, weniger Ventilüberschneidung und geringerer Motorverdichtung die Leistung von 101 kW/137 PS auf 87 kW/118 PS gekürzt.

Der Vierzylindermotor weist die Versys 1000 neben den 17-Zoll-Gussrädern und dem tief liegenden Endschalldämpfer eher als Tourenbiker denn als Enduro aus – gewissermaßen also eine Grenzgängerin zwischen [foto id=“439338″ size=“small“ position=“right“]den Kategorien. Kawasaki selbst tituliert die Versys 1000 auch nicht als Enduro, sondern schlicht als ?Versys?.Zum zügigen und dennoch entspannten Touren taugt die Kawasaki hervorragend. 830 Millimeter Sitzhöhe mögen viel erscheinen, doch durch den schmalen Übergang zwischen Tank und Sitzbank erreichen auch Fahrer den Boden, die bei einer KTM Adventure oder einer BMW R 1200 GS Adventure passen müssten. Die Sitzposition gestaltet sich bequem, die Lenkerkröpfung lässt auch mehrere hundert Kilometer am Stück zu und die Schalter sind einwandfrei, fast schon intuitiv, erreichbar.

Einzig einstellbare Handhebel scheinen dem Rotstift zum Opfer gefallen zu sein. Die etwas klobig wirkende Halbschalenverkleidung mit ihrer mittels Handrädern einstellbaren Scheibe bietet selbst bei hohem Tempo hervorragenden Windschutz. Der Motor taugt zum Touren einwandfrei. Schon ab niedrigsten Drehzahlen zieht er sauber und ohne Drehmomentlöcher durch, einzig kurz vor dem roten Drehzahlbereich lässt die Power etwas nach. Damit sind auch ansatzweise sportliche Einlagen drin.

Plötzliche Lastwechsel sind auf der Versys 1000 indes mit einem deutlichen Rucken zu spüren. Vom Lenker aus lassen sich zwei verschiedene Fahr-Modi einstellen, in der niedrigen Stufe stellt der Motor nur zirka 70 Prozent seiner Leistung zur Verfügung; soll es flott vorangehen, wählt der Fahrer Stufe zwei. Auch die Traktionskontrolle lässt sich in drei Stufen einstellen oder alternativ auch ganz abschalten. Das System arbeitet ohne [foto id=“439339″ size=“small“ position=“left“]Schräglagensensorik, funktioniert aber dennoch einwandfrei und recht unauffällig. Auch die Bremsen lassen keinerlei Wünsche offen: Die Wirkung rangiert auf hohem Niveau bei feiner Dosierbarkeit. Und auch das fein regelnde ABS nimmt Gewaltbremsungen ihren Schrecken.

Wer gern zu zweit lange Strecken zurück legt, auch mit großem Reisegepäck, ist mit der Versys 1000 gut bedient. Der Sozius findet einen bequemen Sitzplatz vor, und für nicht zu groß gewachsene Beifahrer passt auch der Kniewinkel. Angesichts der üppigen Zuladung von 220 Kilogramm kann der nächste Urlaub kommen. Wer extra Stauraum benötigt, kann zur „Grand Tourer“-Version der Versys 1000 greifen, denn die bietet gegen 1 000 Euro Aufpreis einen Satz 35-Liter-Koffer samt Träger, ein 47-Liter-Topcase, Handprotektoren und ein Tankpad. Und bei einem Verbrauch von rund sechs Litern pro 100 Kilometer bei zügiger Landstraßenfahrt sind mit einer Füllung im 21,5-Liter-Tank rund 350 Kilometer Reichweite drin. Einzig die kurzen Serviceintervalle von 6 000 Kilometern treiben die Betriebskosten etwas in die Höhe.

Alle, die ein bequemes, extrem langstreckentaugliches Tourenbike suchen, finden mit der großen Versys mit ihrem kräftigen Motor und einer bequemen Sitzposition einen guten Partner. Wer jedoch auch abseits befestigter Wege fahren will, sollte sich eher bei BMW, KTM oder Yamaha umsehen.

Plus: Kultivierter Motor, bequeme Sitzposition, große Zuladung
Minus: Kurze Service-Intervalle

Technische Daten Kawasaki Versys 1000
halbverkleidetes Tourenmotorrad, flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihen-Motor, vier Ventile pro Zylinder, 1 043 ccm Hubraum
Leistung 87 kW/118 PS bei 8 800 U/min, max. Drehmoment 102 Nm bei 7 700 U/min, Höchstgeschwindigkeit 185 km/h, sechs Gänge
Sitzhöhe 83,5 cm, Tankinhalt 21 Liter, Leergewicht fahrfertig 239 kg, Zuladung 220 kg, Verbrauch 5,5 l/100 km
Preis 11 995 Euro, „Grand Tourer“-Version 12 995 Euro

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