VW

Fahrbericht New Gol 1.6 Total Flex: Schnapsidee

Brasilien, Land automobiler Überraschungen von Volkswagen. Da fahren die beim brasilianischen Publikum unverändert beliebten nagelneuen Transporter vom Typ T2 herum, frisch aus der Fabrik mit steiler Frontscheibe und Heckmotor. In Deutschland werden die Schätzchen schon Jahrzehnte nicht mehr gebaut und besitzen als Oldtimer bereits Seltenheitswert. Oder „taufrische“ Golf 4, die ebenfalls noch in Brasilien von den Bändern laufen, genauso wie der VW Fox, der hierzulande schon vom Up abgelöst wurde und der Polo samt dem Stufenheckableger Polo Sedan, die noch auf dem deutschen Vorgänger basieren.

Natürlich gibt es auch VW-Modelle als Brasilien-Import aus Zeiten knapp vor dem letzten Modellwechsel oder sogar topaktuell: Jetta, Passat, Passat CC, Amarok, Tiguan und Touareg zählen zur Mittel bis Oberklasse für gut verdienende [foto id=“440808″ size=“small“ position=“left“]Bevölkerungsschichten. Doch Brasilien hält mit einer extrem hohen Einfuhrsteuer die Zahl der importierten Fahrzeuge klein.

Aber dann wäre da auch noch die dritte Spezies

Volkswagen, die Europa nie erreicht haben und bei uns dementsprechend unbekannt sind. Ein Mini Van „Space Fox“ etwa und gleich eine ganze Modellfamilie, nämlich die des Gol. Den fahren die Brasilianer als Pick up unter dem Namen Saveiro mit Standard- oder verlängerter Fahrerkabine oder als Gol-Stufenheckversion Voyage und natürlich als den Klassiker schlechthin, der einfach nur Gol heißt. Ein Kompaktauto im Format unseres Polo und Brasiliens Nummer 1 seit 25 Jahren. Sechs Millionen Mal im Land verkauft und dennoch nicht gut genug für Deutschland?

Diese Frage wollen wir klären. Im Juli in Brasilien stolz präsentiert und auf dem „Salão Internacional do Automóvel de São Paulo 2012“ jetzt ein Star der Show, rollen die ersten „Novo Gol“ auf die Straßen. Wir fahren zum Ortstermin ins VW-Werk Anchieta in São Bernardo do Campo unweit von São Paulo, wo weite Teile der Fabrik mittlerweile nach den Standards im Konzernverbund unter anderem auch den neuen Gol produzieren. Dort bekommen wir das neue Modell an die Hand, um damit 80 Kilometer südwestlich an die Küste bei Guarujá zu fahren.

Erster Eindruck: schnuckelig

Uns empfängt das aktuelle Volkswagengesicht. Die Seitenlinie des Gol wirkt nicht ganz so dynamisch wie uns das Polo oder Golf hierzulande vorgeben. Innen ist der Gol gut gemacht –modern, wenn auch nicht ganz so ansprechend, wie wir das von VW kennen. Aber die Funktionalität ist vertraut.[foto id=“440809″ size=“small“ position=“right“]

Zum offenbar ziemlich vollständig ausgestatteten Testwagen gehören zumindest ABS und Front-Airbags für Fahrer und Beifahrer, Fahrersitzhöhenverstellung, elektrisch einstellbare Spiegel und Fensterheber, Zentralverriegelung, immerhin ein einfache Klimaanlage, aber kein Navigationssystem. Auch verwöhnt uns nicht der feine Schimmer einer soft lackierten, unterschäumte Armaturentafel. Aber entscheidende Minuspunkte würden wir dafür nicht vergeben. Auch nicht, was die Sicherheitsausstattung unseres Gol betrifft. Die Mehrheit der Südamerikaner hält bis heute Safety-Pakete im Auto für überflüssigen Kram. Doch in zwei Jahren sollen alle VW-Produkte in Brasilien mit ESP ausgerüstet werden.

Als Motorisierung stehen im neuen Gol zwei „Total Flex“-Versionen zur Wahl. Ein 1,0 l-Aggregat mit rund 75 PS und eine zirka 100 PS starke Version mit 1,6 Liter Hubraum. Ganz genau lässt sich die Leistung nicht angeben, da deren Entfaltung ein bisschen vom getankten Kraftstoff abhängt. Entweder tanken sie reinen Alkohol, der zu einer knapp fünf Prozent höheren Leistung führt als der E22-Kraftstoff, der nur 22 Prozent Alkohol enthält und sonst aus Benzin besteht.

Die mit rund 12:1 ziemlich hoch verdichtenden Motoren vertragen jedes Mischungsverhältnis zwischen beiden Kraftstoffsorten, würden aber mit unserem E10 nicht laufen. Genauso bedarf es besonderer Maßnahmen, um den kalten Motor bei Temperaturen unter 15 Grad Celsius zu starten, wenn mit reinem Alkohol gefahren werden soll. Entweder gibt es dafür, wie beim Gol, einen kleinen Zusatztank für E22, das bei Außentemperaturen von weniger als15 Grad zunächst in den Motor [foto id=“440810″ size=“small“ position=“left“]gespritzt wird oder es kommt eine spezielle Startvorrichtung zum Einsatz, die den Alkohol kurz vor dem Zylinder aufheizt, so dass der Motor bei allen Temperaturen sicher zünden kann.

Los geht’s – und zwar mit dem stärkeren 1,6 Liter

Der setzt den kaum mehr als eine Tonne leichten Gol spielend in Bewegung und schnurrt angenehm leise vor sich hin. Das leicht zu schaltende, manuelle Fünfganggetriebe passt zur Motorcharakteristik. Komfortabel rollt der beim Fahrwerk straff abgestimmte Testwagen auf breiten 195/55 R 15-Reifen nur über die wenigen guten Straßen. Das sanfte Untersteuern in stramm gefahrenen Kurven kommt uns irgendwie bekannt vor.

Entspannt landen wir am Strand bei Guarujá und fragen uns erneut, warum es den Gol in Deutschland nicht zu kaufen gibt. Natürlich dann mit konventionellen Benzinern statt der brasilianischen Total Flex-Version. Trotz des guten Eindrucks, den der Gol bei uns hinterlassen hat, ist die Antwort eindeutig. Deutschland braucht den Gol nicht.[foto id=“440811″ size=“small“ position=“right“]

Mit einem Einstiegspreis von 27 990 Real – das sind umgerechnet weniger als 11 000 Euro – ist der Novo Gol zwar um einen guten Tausender billiger als ein in der Leistung vergleichbarer Polo. Das wäre noch ein Argument für den kleinen Südamerikaner. Ein Blick in Volkswagens brasilianische Gol-Preisliste belehrt uns aber auch, dass der Preisunterschied unterm Strich rasch dahin schmelzen würde, wollte man den Gol aufs Ausstattungsniveau eines Polo bringen.

Der aktuelle Polo kann letzten Endes für unseren Geschmack, unsere Verhältnisse und Bedürfnisse alles besser. Der Gol füllt keine Marktlücke, für den sich der weite Weg über den Atlantik lohnen würde.

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