Mit attraktiven neuen Modellen, cleverem Baukastenkonzept und frischem Marketing ist Yamaha im vergangenen Jahr an Honda vorbeigezogen und zur Nummer zwei unter den Motorradanbietern in Deutschland aufgestiegen. Mit der MT-09 legten die Japaner vor drei Jahren einen Grundstein für den Erfolg. Damals war Yamaha noch Schlusslicht unter den vier großen Herstellern des Landes. Es folgten die MT-07 und die Idee, beide Baureihen durch Derivate aufzufächern. Neben den Reisetourern Tracer gibt es die XSR-Modelle für Freunde mit Hang zur Markentradition – neudeutsch Heritage. Die MT-07 belegt in diesem Jahr Platz zwei der deutschen Zulassungsstatistik und für ihren XSR-Ableger finden sich aktuell im Schnitt jeden Tag mindestens zwei Käufer.
Die MT-07 zeigt im Kleid der XSR 700 viel Skelett. Elemente wie Tank oder Sitzbank wirken bei der Menge an offen zur Schau getragenem Rahmenrohr eher wie notwendiges – wenngleich ausnehmend hübsches – Übel. Nicht mehr als nötig, schien auch die Devise beim Endrohr zu lauten. Es fällt – da von der Schwester übernommen – sehr kurz aus. Am mächtigen Wasserkühler der MT-07 hat sich der Designer allerdings die Zähne ausgebissen. Und auch die etwas grobschlächtig anmutenden schwarzen Plastik-Blinkergehäuse stellen einen (verschmerzbaren) Stilbruch dar. Gleiches gilt für den zwar runden, aber eben auch digitalen Tacho. Dafür wird die XSR aber ja vom hochgelobten Motor der MT-07 angetrieben, dessen Performance die Gedanken schnell in ganz andere Bahnen lenkt.
Der Zweizylinder setzt auch im XSR-Kleid die Gasbefehle erfreulich spontan um. Die Leistung entfaltet sich recht gleichmäßig, kurz vor 6.000 Umdrehungen wird aber noch einmal ein Schippchen nachgelegt. Begleitet wird der Vorwärtstrieb von einem basslastigen Sound. Nur unterhalb von 3.000 Kurbelwellenrotationen schüttelt sich der Twin mit 270 Grad Hubzapfenversatz beim Warmlaufen ein wenig und erinnert dann an einen Einzylinder. Besonders geschmeidig läuft er im Bereich von 4.000 bis 5.000 Touren, wenn es mit 100 bis 120 km/h im sechsten Gang über die Landstraße geht. An Punch herrscht dank der 68 Newtonmeter des Triebwerks kein Mangel. Die Aufstellneigung beim Gasgeben in Kurven hält sich in angenehmen Grenzen und fördert den Flow auf dem hübschen MT-07-Ableger. Der weit nach oben umgelenkte Schalthebel lässt die Gänge präzise einrasten.
Der fast schon üppige runde Scheinwerfertopf sitzt relativ weit vorne und tief platziert, der Lenker streckt sich dem Fahrer förmlich entgegen. Nicht nur stylish, sondern auch wirkungsvoll sind die an Auslegern montierten Handprotektoren. Die kleine Verkleidungsscheibe entlastet den Oberkörper dagegen nur marginal. Aber oberhalb der Autobahn-Richtgeschwindigkeit fühlt sich die nackte 700er ohnehin nicht wohl, und auch die Sitzbank hat etwas gegen allzu lange Reisen. Bei höherem Tempo und starkem, an der Schulter zerrendem Wind kommt zudem eine leichte Unruhe ins Heck, die wir zu einem Teil dem Pirelli Phantom Sportscomp zuschreiben, der sich hinten mit 180/55 im 17-Zoll-Format breit macht. Die Bestimmung der XSR 700 liegt klar die Spritztour auf der Landstraße, wo sich die Yamaha in Sachen Spurstabilität keine Blöße gibt. Wer lieber reisen möchte, der findet ja als weiteren Ableger nun auch eine Tracer-Schwester im MT-07-Portfolio.
Alles prima. Nur mit dem Marketing ist Yamaha etwas über das Ziel hinausgeschossen. Die Modelle der Sport-Heritage-Reihe fahren gerne unter der Flagge „Faster Sons“, was so viel meint wie Tradition trifft Moderne. Wir wissen nicht, wer in der XSR 700 Anklänge an die legendäre XS 650 ausgemacht haben will. Dem Heritage-Anspruch gerecht werden allenfalls die aus dem Zubehörprogramm stammenden braunen Taschen und Täschchen, von denen eines auch auf den Tank passt und ideal für das Smartphone scheint. Für den Nässeschutz muss aber selbst gesorgt werden, während die Seitentasche über eine Regenhaube verfügt.
Und privates Customizing (ein weiterer Anspruch, den die XSR erfüllen soll und dem mit reichlich Originalzubehör Rechnung getragen wird) ist angesichts der bereits werkseitig vorgenommenen Eingriffe eigentlich überflüssig. Lasst sie doch einfach sein, was sie ist: ein sehr, sehr cooles Naked Bike mit charaktervollem Motor für außerordentlich vergnügliche Landpartien.