Fahrer-Assistenzsysteme: Wie wirksam sind sie wirklich?

Die Fragen interessiert Entwickler, Marketing und Medien gleichermaßen: Was bringen all die tollen Fahrerassistenz-System wirklich für die Sicherheit? Und wenn sie wirksam sind, wie sagt man es dem Autokäufer? Auch diese Fragen beschäftigten die Experten beim 14. Technischen Kongress des Verbands der Automobilindustrie (VDA) am Donnerstag und Freitag dieser Woche im Mercedes Event-Center in Sindelfingen.

Der Autokäufer gibt sein Geld beim Händler leichter für Dinge her, die er sehen und anfassen kann. Fragt man ihn nach den Assistenten unter dem Blech, die das Schleudern verhindern oder vor zu dichtem Auffahren warnen und im Zweifelsfall sogar eine Vollbremsung auslösen, so ist er sich sicher, dass er das nicht braucht. Das war beim Gurt nicht anders als bei ABS und ESP. Erst langes Zureden aller Wissenden ändert das, manchmal auch erst die Vorgabe durch den Gesetzgeber.

Heute freuen wir uns über hohe Ausrüstungsraten beim ESP. Doch dahin zu kommen hat ein Dutzend Jahre und Druck der Medien gebraucht, die gerade Kleinwagen-Anbieter erst davon überzeugen mussten, dass Sicherheit auch bei kleinen Budget kein aufpreispflichtiges Extra sein kann.

Heute stehen neue Systeme vor der ähnlichen Herausforderung. Erst müssen sie in der Praxis beweisen, dass sie nicht nur auf der Teststrecke etwas bringen, dann muss ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit vom Verkäufer über den Autokritiker bis zu den Behörden geschaffen werden und dann müssen die Preise über hohe Stückzahlen in Größenordnungen gebracht werden, die eine „Demokratisierung“ des Systems erlauben.

Die unterschiedlichsten Institutionen und Kooperationen privaten und öffentlichen Charakters sind heute dabei, die Theorie solcher Systeme an der Praxis zu messen. Viele dieser Untersuchungen laufen noch. Aber doch lässt sich für einige Systeme heute schon sagen, wohin die Reise geht.

Dr. Jörg Breuer, Senior Manager Active Safety der Daimler AG, berichtete von einem Großversuch mit den Brems-Assistenten des Unternehmens mit vielen hundert Tausend Kilometern, bei denen normale Fahrer am Steuer saßen. Ausgangslage waren die Unfalldaten aus den entsprechenden Datenbanken. Danach bremsen 31 Prozent vor einem Unfall gar nicht, 49 Prozent [foto id=“411290″ size=“small“ position=“left“]zu schwach und 20 Prozent voll, aber zu spät.

Theoretisch muss das System aus Warnung, Bremse vorladen, Anbremsen und später autonomer Vollbremsung zur Verminderung des Unfallschadens also sehr wirksam sein. Im Simulator brachte die elektronische Knautschzone Bremsassistent Plus eine Verbesserung um 75 Prozent. Beim autonomen Vollbremsen bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h und einer Vollbremsung von 0,6 Sekunden Dauer konnte die Crashenergie um 80 Prozent verzehrt werden.

Beim Praxisversuch kam dann heraus, dass die Warnungen und Eingriffe von einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h an ihrer maximalen Anzahl zulaufen und bei höheren Geschwindigkeiten – das Mercedes-Benz-System arbeitet bis 200 km/h – statistisch nicht mehr von Bedeutung waren. Oberhalb einer Geschwindigkeit von 70 km/h trifft das System in engen Situationen auf Fahrer, die bereits bremsen. Hier muss dann nur noch die Vollbremsung aktiviert werden. Der Schluss, den Jörg Breuer daraus zog: Wer schneller fährt, fährt offenbar aufmerksamer.

Aria Etemad, Senior Research Coordinator Ford Forschungszentrum Aachen, ist Sprecher einer fast unausprechlichen Kooperation der meisten Automobilhersteller, vieler Zulieferer und anderer Institutionen: euroFOT oder „Europäischer Feldversuch für Fahrerassistenzsysteme“. Er konnte in Sindelfingen mit ersten Daten aus dem Feldversuch mit 1000 Personenwagen in Europa aufwarten. Den Abschlussbericht wird die Kooperation erst im Sommer vorlegen.

Etemad berichtete von zwei interessanten Erfahrungen: Wer ein System nicht kennt, lehnt es ab, weil er „für sein Auto es nicht braucht“. Liegen praktische Erfahrungen vor, ändert sich die Einstellung ins Positive. Das Maß der Ablehnung kippt in ein fast ebenso großes Maß der Zustimmung um. Vor dem Versuch hatten 45 Prozent der Probanden noch nie etwas von einem Spurhalte-System gehört. Nach den Erfahrungen in der Praxis gibt es positive Reaktionen.

Erste Ergebnisse legte Etemad für die adaptive Geschwindigkeitskontrolle ACC vor. Danach sinkt der Kraftstoffverbrauch mit ACC um sieben Prozent, die Durchschnittsgeschwindigkeit wuchs leicht um 3 km/h und der Abstand zum Vordermann wurde größer.

Wenn diese Assistenzsysteme sich wirklich als wirksame Maßnahmen der aktiven Sicherheit gegen den Unfall erweisen, braucht man dann noch dieselbe Sorgfalt und denselben Aufwand für die passive Sicherheit? Gerade bei den Freunden der Elektromobilität klingt bei dieser Frage die Hoffnung mit, man könne zu Lasten der passiven Sicherheit Gewicht sparen. „Wir brauchen den Schutz vor den anderen“, war einhellige Meinung der Experten. Allerdings sei auf der aktiven Seite mehr für die Sicherheit zu erreichen,, weil man sich bei der passiven Sicherheit einem Maximum nähere.

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