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Lancia
Krise in Europa, Verkaufsrekorde in den USA, der Fiat-Konzern taumelt zwischen ökonomischen Extremen. Derzeit wirkt die Verbindung mit Chrysler wie ein rettender Anker in stürmischen Zeiten. Um die Zukunft des interkontinentalen Autobauers zu sichern, scheut Konzernchef Sergio Marchionne kein Gedankenspiel.
Krise in Europa, Verkaufsrekorde in den USA, der Fiat-Konzern taumelt zwischen ökonomischen Extremen. Derzeit wirkt die Verbindung mit Chrysler wie ein rettender Anker in stürmischen Zeiten. Um die Zukunft des internationalen Autobauers zu sichern, scheut Konzernchef Sergio Marchionne kein Gedankenspiel: Den Kern des Unternehmens bilden künftig die Marken Fiat, Chrysler, Alfa Romeo und Maserati. Für das Traditionslabel Lancia bleibt nur noch der Name.
Die Zahlen sprechen Bände: Ohne das florierende Geschäft von Chrysler in den USA würde die Bilanz des Fiat-Konzerns schon lange „Land unter!“ vermelden. Im dritten Quartal verbuchte Fiat-Chrysler einen Nettogewinn von 381 Millionen Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie im Vergleichsquartal 2011 mit einem Gewinn von 212 Millionen Euro. Auf sich alleine gestellt, hätte Fiat im dritten Quartal einen Verlust von 281 Millionen Euro angehäuft. Im zweiten Quartal 2012 war das Ergebnis ähnlich. Während die Gruppe 358 Millionen Euro verdiente, schrieb Fiat 246 Millionen Euro Miese im gleichen Zeitraum.
Die Probleme von Fiat gründen auf den gleichen Ursachen, wie die aller europäischen Massenhersteller. Bislang summiert sich der gemeinsame Verlust für 2012 auf rund 6,7 Milliarden Euro. Die Krise, besonders in den südlichen Märkten, lässt Monat für Monat die Absatzzahlen sinken. Angesichts von zwölf Millionen Mitarbeitern, die die gesamte Branche europaweit beschäftigt, ist auch die EU alarmiert. Industriekommissar Antonio Tajani spielt mit dem Gedanken, den Autobauern mit Mitteln aus dem EU-Forschungsbudget unter die Arme zu greifen. Von 2014 bis 2020 könnten aus diesen Topf insgesamt 80 Milliarden Euro fließen. Doch darauf kann Fiat seine Zukunft ebenso wenig aufbauen wie Peugeot/Citroen. Beide Konzerne sind in Europa gefangen, weil sie es versäumt haben, sich auch auf anderen Kontinenten zu etablieren.
Die Überlebensstrategie des Fiat-Konzerns basiert jetzt auf vier Säulen: Fiat konzentriert seine Kleinwagenkompetenz auf die beiden Modellreihen 500 und Panda. Beide sollen zu weit gespreizten Modellfamilien wachsen. Doch ein Grundgesetz der Branche lautet: Kleine Autos, kleine Margen. Alfa Romeo und Maserati beackern das automobile Oberhaus und das Chrysler-Label Jeep soll Entwicklungskompetenz für alle Märkte erhalten. Zudem will Fiat seine Vormachtstellung bei leichten Nutzfahrzeugen weiter festigen.
Noch weist der Konzern-Lenker Sergio Marchionne Werksschließlungen in Italien weit von sich. Grund ist freilich die Rücksicht auf die übermächtigen Gewerkschaften, denn die Auslastung der Werke ist auf durchschnittlich 45 Prozent gesunken. 70 Prozent Auslastung gelten für eine Autofabrik gemeinhin als letzte Grenze vor der Verlustzone. Von den 20 Milliarden Euro, die Marchionne binnen fünf Jahren in die italienische Produktion stecken wollte, ist mittlerweile keine Rede mehr. Von angekündigten 51 Modellen aus heimischer Produktion sind ganze 17 geblieben.
Bei Fiat wie bei Alfa Romeo sind die Nachfolger für wichtige Baureihen auf die lange Bank geschoben worden. So altert der Fiat Punto gefährlich gegenüber wichtigen Wettbewerbern wie Ford Fiesta, VW Polo oder Peugeot 208. In der Kompaktklasse hat der Fiat Bravo den Anschluss an VW Golf, Opel Astra und Ford Focus verloren. Der bevorstehenden Rückeroberung des amerikanischen Marktes durch Alfa Romeo droht von Beginn an ein schwacher Start, weil das wichtige Volumenmodell für die Mittelklasse nicht, wie ursprünglich geplant, in diesem Jahr auf den Markt gekommen ist. Mit dem Kleinwagen „Mito„, dem kompakten „Giulietta“ und dem eher kapriziösen künftigen Sportwagen 4C ist in den USA nicht wirklich Geld zu verdienen. Klassiker wie der Spider fehlen inzwischen ganz im Alfa-Portfolio.
Die hochwertigen Sportcoupés und –cabrios von Maserati und die seit 2002 gebaute Limousine „Quattroporte„, die 2013 abgelöst werden soll, sind gefällige Nischenprodukte. Diese müssen sich in Europa und auch in Amerika gegen eine Armada von Wettbewerbern von Audi mit den Modellen A7 und A8 bis Porsche mit dem 911 und dem Panamera erwehren. Und auf dem weltgrößten Automarkt in China ist „Maserati“ bislang nur Insidern wirklich geläufig.
Während VW oder Toyota mit wenigen Plattformen ein Spektrum vom Kleinwagen bis zur Luxus-Limousine abdecken und damit enorme Kosten sparen, haben es die Fiat-Lenker noch nicht geschafft, diese technische Strategie bei den Konzernmarken umzusetzen. Jeep als Spezialist für Geländefahrzeuge und SUV ist mit seinen Produkten nach wie vor auf den amerikanischen Geschmack zugeschnitten. Entwicklungen, auf deren Basis der Konzern eigene kleine SUV gegen den Tiguan von VW, den RAV4 von Toyota oder den Sportage von Kia ins Rennen um die Käufergunst schicken kann, sind in weiter Ferne.
Und nicht einmal die heiligen Kühe des italienischen Autobaus sind vor der ökonomischen Schlachtbank sicher. Lancia ist nach 106-jähriger Firmengeschichte endgültig zum Scheintod verurteilt. Das einzige eigenständige Modell bleibt der Kleinwagen „Y“ aus polnischer Produktion. Wo sonst Lancia auf Grill oder Heck prangt, steckt Chrysler dahinter. Um die außerhalb der USA schwer vermittelbaren Pkw-Produkte von Chrysler schmackhafter anzurichten, vertreibt der Konzern alle Chrysler-Modelle als Lancias. Von den technisch-ästhetischen Höhepunkten der Lancia-Geschichte wie Aurelia, Flaminia oder Stratos sind die neue Mittelklasse-Limousine „Thema“ (Chrysler 300C) oder das viertürige Cabriolet „Flavia“ (Chrysler 200) Lichtjahre entfernt. In etwa so weit, wie der Fiat-Konzern von seinen sechs Millionen verkaufter Neufahrzeugen von 2010. Mit Glück schaffen sie es in diesem Jahr auf 4,8 Millionen Einheiten.
geschrieben von auto.de/(tl/mid) veröffentlicht am 06.11.2012 aktualisiert am 06.11.2012
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