Zu einer Art Woodstock für Oldtimer-Freaks werden sich vom Donnerstag, 7. Juli bis zum Sonnabend, 9. Juli 2016, wieder einmal Tausende amerikanische Straßenkreuzer aus den 1940er, 1950er und 1960er Jahren und deren Besitzer versammeln. Ort des Geschehens? Nein, kein Ort in Texas, Kalifornien oder sonst wo in den Vereinigten Staaten. Es ist vielmehr die 100.000-Einwohner-Stadt Västeraas, eine Autobahn-Stunde westlich der schwedischen Metropole Stockholm, wo sich jedes Jahr in der ersten Juliwoche historische US-Automobile in jedem nur denkbaren Restaurations-Zustand zum sogenannten Power Big Meet treffen, dieses Jahr zum 39. Mal. Es werden über 20.000 Amischlitten erwartet.
Jedem deutschen TÜV-Prüfer würden sich wahrscheinlich vor Schreck die Fußnägel kräuseln, wäre er Anfang Juli auf der Europastraße 18 von Stockholm aus in Richtung norwegischer Grenze unterwegs. Nicht nur, dass er kurz vor Västeraas am Mälarsee, dem drittgrößten Binnengewässer Schwedens, in einen gewaltigen Verkehrsstau geriete, der überwiegend aus blubbernden amerikanischen Big-Block-Achtzylindern besteht. Der technische Zustand manche dieser Karossen würde ihm mit Sicherheit den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Denn neben chromblitzenden Edel-Automobilen, die so aussehen, als wären sie soeben in Detroit frisch vom Band gerollt, reihen sich jede Menge noch soeben fahrbarer Schrotthaufen mit abenteuerlich aussehenden Insassen ein, von denen meist höchstens der Fahrer noch nüchtern ist.
Ziel der aus ganz Europa überwiegend auf eigener Achse angereisten Cadillacs, Chevrolets, Fords, Chryslers und Co. ist der Johannisberg-Flugplatz mit seinen riesigen Freiflächen. Einer der Teilnehmer hat es im vergangenen Jahr sogar aus dem knapp 5.000 Straßenkilometer entfernten Novosibirsk in Russland geschafft. Andere haben den See- oder Luftweg gewählt. Insgesamt zählten die Veranstalter Besucher aus 50 Staaten, darunter Australien, Pakistan, Singapur und Thailand.
Schon von Weitem dringen vertraut-nostalgische Töne von Elvis, Bill Haley oder Chuck Berry durch den Auspuff-Dunst, der den meisten Besuchern wie ein lieb gewordener Duft die Nase kitzelt. Viele der Mädels tragen Petticoat oder, wenn es das Wetter erlaubt, weit weniger, die Jungs Jeans und Stetson – ganz so wie zu den Good Old Days, als die Gallone Sprit jenseits des Atlantiks noch für ein paar Cents zu haben war. Solche Zeiten sind im Schweden von heute, wo der Liter Super umgerechnet etwa 1,40 Euro kostet, leider vorbei. Die zahlreichen Tankstellen in und um Västeraas haben sich trotzdem rechtzeitig ausreichende Reserven besorgt um die durstigen Hubraum-Riesen mit genügend Stoff zu versorgen und planen für jedes Jahr im Juli Hochkonjunktur ein.
Angefangen hat das Festival ganz klein in Anderstorp 1978. Damals trafen sich 400 Besucher in Südschweden und bestaunten gerade einmal 80 US-Oldies. Ein Jahr später zog man nach Skövde weiter nördlich um, Fachleuten als Fabrikationsstätte von Volvo-Dieselmotoren bekannt, wo der Andrang schon spürbar größer war. Es folgten Jönköping am Vättersee, danach Norrköping an der Ostsee. Seit 1984 findet Big Power Meet in Västeraas statt, nur einmal 1986 unterbrochen durch Kinnekulle, einem 300 Meter hohen Tafelberg am Vänersee. Damals wie heute umfasst die Veranstaltung eine Ausstellung historischer US-Autos, eine Auszeichnung der schönsten Fahrzeuge in elf verschiedenen Klassen und einen riesigen Ersatzteilmarkt, genannt Power Swap Meet.
Drei Tage und vor allem drei Nächte lang blubbern und röcheln großvolumige V8-Maschinen, gleiten gewaltige Karossen, oft mit zeitgemäß bonbonfarbenem Lack und ausladenden Heckflossen versehen durch die Gegend, bewundert von einer ansehnlichen Menge eigens angereister Zuschauer. Warum ausgerechnet in Schweden der Kult um den amerikanischen Way of Drive derart hohe Wellen schlägt, hat zwei Gründe. Einmal wanderten im 19. und 20. Jahrhundert weit über eine Million Schweden in die USA aus, so dass zahlreiche verwandtschaftliche Verbindungen über den großen Teich hinweg existieren. Darüber hinaus importierte das skandinavische Königreich, das sich aus den beiden Weltkriegen mit kluger Neutralitätspolitik herausgehalten hatte, nach 1945 Autos vor allem aus den USA, weil es Volvos nur in geringen Stückzahlen und andere Fahrzeuge kaum gab. Daher gibt es im schwedischen Sommer zahlreiche Treffen amerikanischer Oldtimer, doch keines ist so groß und bedeutend wie das in Västeraas.
Dessen Veranstalter haben offensichtlich einen sehr guten Draht zu Petrus, denn das Power Big Meet-Wetter zeigt sich meist von einer ganz und gar unschwedischen Seite. Im vergangenen Jahr kletterte das Thermometer auf über 30 Grad, und den blauen Himmel trübte kein Wölkchen. Dem entsprechend schwappte ein schwedisch-kostspieliger Bier-Tsunami über das Gelände, der die freundschaftlich-lockere Atmosphäre aber nicht im Geringsten beeinträchtigte. Beim abendlichen Cruising durch die Stadt achtete die Polizei mit Argusaugen darauf, dass die Fahrer stocknüchtern am Lenkrad Platz genommen hatten.
Auch dieser Korso hat inzwischen Tradition. Am frühen Abend wälzt sich ein endloser Strom alten Blechs durch Västeraas, immer wieder kommt es zu längeren Staus, weshalb die Sorge um ausreichende Kühlung der betagten Maschinen wächst. Viele Teilnehmer haben daher eine Extraportion Kühlwasser an Bord. Für die über 20.000 Oldtimer-Besitzer und weit mehr als 200.000 Besucher haben sich die Schweden am Rand der Strecke etwas ganz Besonderes ausgedacht. Wer will, kann dort sogar heiraten. Im vergangenen Jahr nutze eine ansehnliche Menge ehewilliger Paare diese Gelegenheit einer Drive-In-Trauung.
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TinaTop
Juli 11, 2016 um 4:08 pm UhrTolles Treffen. Da muss ich auch mal hin. Und für alle, denen es genauso geht, habe ich einen Tipp: Chevrolet Impala, Ford Thunderbird Cabrio, „Cadillac“ Packard Patrician …. Hochzeitsauto.NRW aus Oberhausen hat eine äußerst attraktive Auswahl an gepflegten US-Oldtimern aus den 1950er und 1960er Jahren – und ein feuerrotes Käfer-Cabrio gibt’s für alle, die am liebsten selbst am Steuer sitzen.