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12 Zylinder machen Glücklich
Eigentlich sollte es nur eine kurze Liason werden. Eine heiße Affäre, ein Zwischenspiel, so nach dem Motto „einmal im Leben für ein Jahr Zwölfzylinder fahren, und dann gibt es ein ‚vernünftiges’ Auto“.
Damals wusste ich nicht, dass „einmal im Leben V12 probefahren“ ähnliche Auswirkungen hat wie „einmal kurz Heroin probieren“. Wie sollte ich auch. Die meisten Autos kauft man, freut sich einige Wochen, dann hat man sich an sie gewöhnt. Nach spätestens einem Jahr wird man unruhig, nach zwei Jahren verbringt man den halben Tag bei Mobile.de und einige Monate später steht ‘der Neue’ vor der Tür. Der Zyklus wiederholt sich, wirklich zufrieden ist man nie.
Schon seit Jahren hatte ich mir einen 7er BMW gewünscht, aber trotz lange Suche kein gutes Exemplar gefunden. Deswegen ‘begnügte’ mich deswegen mit einen silbernen 1996er BMW 528iA mit schwarzem Leder und mittelprächtiger Ausstattung, dessen größter Fehler darin bestand, nicht ganz Tacho 250 zu erreichen – weswegen ich das Auto oft auch abfällig als „lahme Ente“ bezeichnete.
Copyright: Johannes Vorwerk
Im Frühjahr 2005 fand ich beim örtlichen Audi Händler einen biarritzblauen BMW 750i. Eigentlich war ich auf der Suche nach einem Auto für meinen Bruder, aber hey, da war ein 7er, und ich konnte ihn mir leisten. Herkunft, Kilometerstand und Zustand waren dubios, aber ich wollte das Auto wenigstens einmal fahren. Es wurde eine schöne Fahrt, ich genoss das Gefühl, mit einem V12 unterwegs zu sein. Obwohl ich wegen eines defekten Kühlers mehrere Zwangspausen einlegen musste, beschloss ich, gezielt nach einem solchen Modell zu suchen.
Es gab nur zwei kleine Probleme: es war schwer, einen guten 750i zu finden, außerdem vermochte ich mich nur schwer von dem 5er zu trennen, schließlich war es ein wirklich hübsches Auto. Mit der Schönheit hatte es bald ein Ende:
Eines Abends im Sommer wollte ich meine damalige Freundin (heute Ehefrau) zum Essen ausführen. Wir gingen zum Parkplatz um die Ecke, aber etwas stimmte nicht: als erstes fiel mir ein roter Zettel von der Polizei auf, erst danach bemerkte ich den Schaden: Vandalen hatten das Auto demoliert: die Scheibenwischer waren abgeknickt, die Außenspiegel abgetreten, die Hauben wiesen tiefe Kratzer auf, die bis ans Blech gingen. Die Türen waren mit Tritten eingedellt, der Anblick würde jedem Autoliebhaber das Herz brechen.
Zur gleichen Zeit stand im 7er-Forum ein schwarzer BMW 750i zum Verkauf. Er wirkte gepflegt und passte ins Budget. Wir wurden uns schnell einig. Um das neue Auto bezahlen zu können musste ich das alte erst einmal zu einem halbwegs sinnvollen Preis loswerden. Ergo bereitete ich den beschädigten 5er notdürftig auf, ersetzte den Scheibenwischer und verbrachte einen Tag damit, mit Bohrmaschine und Polierwatte den geschundenen Lack blitzblank zu polieren und die Kratzer zumindest zu entschärfen.
Das Ergebnis war gut, so schlimm sah er auf den ersten Blick nicht mehr aus, auf den hochauflösenden Fotos musste man schon sehr genau hinsehen. Wenige Tage später hatte ich das Auto erfolgreich verkauft, freute mich auf den Zwölfzylinder und gurkte derweil mit dem geliehenen Ford Ka meines Bruders umher.
Es gab nur ein kleines Problem: Der Kollege aus dem Forum meldete sich plötzlich nur noch sporadisch, dann irgendwann gar nicht mehr. Offenbar wollte der Kerl nicht wirklich verkaufen.
Während ich wartete, surfte ich jeden Tag stundenlang im Netz auf den einschlägigen Webseiten herum. Ich kannte die Liste der angebotenen 7er auswendig, samt allen Vorbesitzern, Roststellen und ‘Verfeinerungen’.
Bis eines Abends ein neues Auto auftauchte, welches von einem Händler in Göttingen angeboten wurde. Die Bilder waren schlecht, die Beschreibung sehr dürftig: „BMW 750i, EZ 08/1997, 108.000km, blau, Checkheft, Leder, Navi, Telefon, Schiebedach“. Mehr stand da nicht.
Interessant war der Preis von 9,450€ – 4,000€ weniger als das Angebot des Kollegen. Die Fotos zeigten überdies Leichtmetallfelgen im gefälligen Kreuzspeichendesign, außerdem war ein Upgrade auf die Optik des Faceliftmodells verbaut – darauf legte ich großen Wert, mir gefielen die modernen runden Scheinwerfer viel besser als die alten eckigen, die der 7er meines Vater hatte. Im Innenraum meinte ich außerdem, ein M-Lenkrad zu erspähen – was mein Herz besonders erfreute. Nun gab es kein Halten mehr: ich rief erst meinen Vater an, dann den Händler, und am nächsten Tag ging es auf nach Göttingen!
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Dort stand unter zahlreichen 3ern und 5ern ein blauer BMW 750i. Er war nicht ganz sauber und von Blättern bedeckt, sah aber bei genauerer Betrachtung recht gut aus: der blaue Lack glänzte wunderbar, es gab keine wesentlichen Kratzer oder Beulen, bis auf eine weiße Schramme am hinteren Kotflügel auf der Fahrerseite. Die Reifen waren nagelneu, nirgendwo war Rost zu sehen. Das Serviceheft war penibel bei BMW Baumann durchgestempelt, zwei Vorbesitzer, alles war plausibel. Das einzige, was mir merkwürdig vorkam, war die Tatsache, dass der Wagen mal ein halbes Jahr abgemeldet war, bevor er zu seinem zweiten Besitzer kam. Aber vielleicht war der schon sehr alte Erstbesitzer (immerhin Jahrgang 1924) gestorben.
Auch die Probefahrt mit meinem V12 erfahrenen Vater verlief erfolgreich. Wir fuhren sogar zum örtlichen BMW Händler, um das Auto von unten zu betrachten. Auch aus dieser ungewöhnlichen Perspektive sah alles sehr gut aus, sogar der Mechaniker bescheinigte uns einen guten Zustand. Es gab nur ein Manko: das Navigationssystem der ersten Generation funktionierte nicht, ‘Sergeant Goofy’ verweigerte den Dienst.
Ich versuchte, dies als Argument zu nutzen, um den Preis zu drücken, aber der Händler schrieb nur achselzuckend „Navigation defekt“ in den Kaufvertrag. Na, egal, für 4,000€ Ersparnis konnte ich damit leben, außerdem wollte ich es sowieso auf MK3 upgraden.
Beim nächsten Geldautomaten zog ich 500€, zahlte das Auto an, nahm den Fahrzeugbrief nach Hause, ließ den Wagen zu und zog einen weiteren Haufen kleiner Scheine aus dem Geldautomaten…der Aufpreis zu meinem alten 5er betrug keine 3,000€.
Mein Schwiegervater fuhr mich einige Tage später in seinem Audi A4 zum Händler. Es war sehr war heiß an diesem Nachmittag, der blaue Audi hatte keine Klimaanlage. Die Fahrt über saß ich im Fond. Ich hielt in der einen Hand die Kennzeichen und in der anderen den Umschlag mit genau 8,950€.
Als wir beim Händler ankamen, war weit und breit kein 7er zu sehen. 3er, 5er, diverse Audi. Wo war mein Auto? Einige Minuten später kam ein Mitarbeiter mit meinem inzwischen gewaschenen 7er angedüst. Erleichtert ging ich in den Kabuff, um die Formalitäten zu klären und das Auto zu bezahlen.
Während wir darauf warteten, das der Fuffi seine Kennzeichen bekam, sah ich zu ersten Mal die Liste der Ausstattung. Und die bot einen Anblick, bei dem jedem Autonarr das Wasser im Munde zusammenläuft:
0609 Navigation incl. Bordcomputer mit TV
0223 Elektronische Dämpfer Control
0261 Seitenairbags für Fontpassagiere
0352 Doppelverglasung
0401 Schiebe-Hebedach, elektrisch
0416 Heckscheibenrollo elektrisch + seitlich mechanisch
0430 Innen/Außenspiegel automatisch abblenden
0460 Sitzverstellung elektrisch für Fondsitze
0464 Skisack
0494 Sitzheizung für Fahrer + Beifahrer
0494 Sitzheizung für Fondsitze
0508 Park-Distance-Control (vorne + hinten)
0522 Xenon-Licht
0629 Autotelefon D-Netz
0676 Hifi Aktiv Lautsprechersystem
0710 M Sport-Lederlenkrad
0441 Raucherpaket (wurde die letzten 8 Jahre von Nichtraucher gefahren)
0690 Kassettenhalterung
Ok, vielleicht ist die Liste nicht ganz so lang wie die bei einem besseren VW Golf, Ihr müsst aber Bedenken, dass der Fuffi jede Menge Ausstattung serienmäßig hat, wie beispielsweise die Klimaautomatik, elektrische Ledersitze mit Memory, Sitzheizung, Heckrollo, Zentralverrieglung mit Funkfernbedienung und vieles vieles mehr.
“Riecht aber irgendwie nach Zigarettenrauch” war der einzige Kommentar meines Schwiegervaters. Hmm, da hatte er Recht. Der Fuffi roch nicht nur ein bisschen nach Zigarettenrauch, er stank geradezu. Und das Lenkrad fühlte sich ein wenig eklig nah Nikotinbelag an.
Da wir in Göttingen waren, entschied ich mich für einen Besuch beim Lederzentrum. Wir erwarben einen Lederreiniger Marke “Extra Stark” und machten und noch beim nächstem McDonalds über den Innenraum her. Nach einer Stunde kräftigen Schrubbens war der Innenraum schon deutlich angenehmer. Wir konnten die Reise nach Hause antreten und den Luxus genießen, den dieses schöne Auto für uns bereithielt.
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Allein der Motor war ein Genuss, der 5,4l Zwölfzylinder ist ein unheimlich beeindruckendes Triebwerk. Quasi ab Standgas schiebt er mit wuchtigem Drehmoment an und behält seine Kraft bis in den roten Bereich. Damit verbindet er die Vorteile eines starken Diesels mit der Drehfreude eines Benzinmotors…nur der Verbrauch, der war natürlich höher.
In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war es das erklärte Ziel aller Hersteller von Luxusfahrzeugen, ein Auto auf den Markt zu bringen, bei dem man nicht mehr schalten musste. Schalten war lästig und das Automatikgetriebe noch nicht erfunden, also musste der Motor das Problem lösen. Der 5,4l 12-Zylinder löst diese Aufgabe mit Bravur und hätte selbst einen Ettore Bugatti zufrieden gestellt: im 3. Gang kann man anfahren und bis auf 180 km/h beschleunigen. Und ich meine Beschleunigen, nicht irgendwie mühsam Loszuckeln: beim tritt aufs Gas zieht der Fuffi grummelnd wie ein Sportboot an und zieht mit kernigem Sound vehement durch, dass es eine wahre Freude ist!
Nicht, dass ich von dieser Vehemenz damals allzu viel Gebrauch gemacht hätte: Die Geschäfts liefen schlecht, das Geld wahr vergleichsweise knapp, also, fuhr ich den 7er eher sparsam. Unter 10l war er aber praktisch nicht zu bekommen, vielleicht auf Langstrecke mit Tempo 130, aber nicht, wenn man ab und zu Gebrauch von der Bremse machen musste. Da ich aber praktischer Weise zuhause arbeitete und den 7er nur mal zum Einkaufen oder zu Freizeitfahrten nutzte, konnte ich mit dem hohen Verbrauch leben.
Als Erstes investierte ich natürlich bei eBay 300€ in ein gebrauchtes (oder geklautes?) Navi MKIII – und weitere 80€ in das dazugehörige Anschlusskabel. So musste ich zwar auf den Fernseher verzichten, hatte aber eine Idee, wohin ich fuhr, und die Grafik war auch deutlich besser als die des alten Moduls.
Schon bei den ersten Fahrten fiel mir an der Ampel ein Rumpeln auf. Es klang, als hätte man eine Leiche im Kofferraum. Durchs Forum wusste ich: Der Aktivkohlefilter der Tankentlüftung musste erneuert werden. Anderenfalls würde der Metalltank früher oder später Risse bekommen und aufwendig erneuert werden müssen. Es gab allerdings auch eine einfache permanente Lösung für das Problem, und so durchbohrte ich den Tankdeckel und hatte damit das Problem für die nächsten 8 Jahre gelöst.
Trotz kleinere Probleme geschah etwas, was ich noch nie zuvor erlebt hatte: ich war mit einem Auto zufrieden! Früher hatte ich immer nach anderen Autos geschielt, die besser, stärker oder neuer waren. Damit war es vorbei, der große BMW erfüllte alle meine Erwartungen.
Meine bewusste Entscheidung für den 750i war richtig: hätte ich den 740i gewählt, so wäre immer ein leiser Zweifel gewesen, ein kleiner Wunsch nach mehr. Aber mit dem 750i hatte ich den größten und besten BMW…wonach sollte man da noch schielen?
Wenn man ein unvernünftiges Auto kauft, aber dafür nicht mehr stundenlang im Internet nach eben solchen Autos fahndet sondern den Kopf für die wichtigen Dinge im Leben frei hat, dann ist die Entscheidung für die Unvernunft die venünftige Entscheidung.
Zugleich wurde meine Fahrweise viel gelassener, wobei ich das weniger auf die fast unendlich scheinende Motorleistung, sondern viel mehr auf das spürbare Gewicht schieben möchte. 2 Tonnen Old-School beruhigen ungemein. Hatte ich es früher immer sehr eilig, so hatte ich nun keine Problem, mit 50 Sachen durch die Stadt zu cruisen und auch auf der Autobahn nicht mehr immer auf letzte Rille zu fahren. Bei 250 war er eh abgeriegelt, so what.
Der Fuffi war eine Diva. Schon beim ersten BMW Treffen lief massenhaft Servoöl aus und das schöne Auto musste per Abschleppwagen in die Werkstatt geschleppt werden – damals noch zu BMW. Dort reparierte man den Schaden und gab mir indirekt zu verstehen, dass ich das Auto vielleicht doch lieber in der Leine versenken und mir einen 3er kaufen sollte, schließlich sei da ja soooo viel zu reparieren!
Pah. Erst mir keinen neuen 7er verkaufen wollen und dann auch noch beleidigend werden. Ich rümpfte die Nase und fuhr von dannen.
Fortan kümmerte sich nicht nur eine freie Werkstatt in Celle um das Wohl des Zwölfenders, ich bekam noch dazu kostenlose Leihwagen. Zwar meist in Form alter Golfs, Opels oder Fiestas, aber lieber Schrott für lau als für viel Geld übers Ohr gehauen werden, jawohl.
Copyright: Johannes Vorwerk
Getreu dem Programmierermotte “if it ain’t broke don’t fix it” wurde nur repariert, was wirklich kaputt war – was darauf hinauslief, dass der Fuffi anfangs praktisch jedes Jahr einmal per Abschleppwagen in selbige Werkstatt gekarrt wurde. Meistens lag es daran, dass irgendwelche Flüssigkeiten unauthorisiert ihr Behältnis verließen. Hydraulik, Kühler, Motoröl…nach einigen Jahren war dann jedoch auch die letzte Leitung erneuert, die letzten zwei Jahre fuhr das Auto wie ein Uhrwerk.
Viel Zeit und Nerven hatte beispielsweise die Geschichte mit dem LMM gekostet. Davon hat der V12 zwei, und der Defekt fiel nur dadurch auf, dass die Drehzahl im Leerlauf ein klein wenig schwankte. Trotzdem machte ich mir Sorgen. Im dazugehörigen 7er Forum wurden natürlich die wildesten Spekulationen angestellt, die meist auf einen bevorstehenden kapitalen Motorschaden hinausliefen. Der Fehlerspeicher hingegen zeigte eine Meldung der Zylinderbank 1-6 auf der linken Seite. Die Werkstatt reinigte die LMMs und die Drosselklappen, aber das Problem blieb bestehen. Zu der Zeit war ich echt stinkig auf das Auto und bretterte wütend mit Karacho durch unsere Baustraßen – bis ich mir bei BMW für 300€ einen LMM kaufte und auf der linken Seite einbaute. Aber auch das löste das Problem nicht. Ich fluchte. Und fluchte. Und fluchte! Lange starrte ich verbissen in den Motorraum – bis mir auffiel, dass die Luftzuführungen sich in der Mitte kreuzten und der rechte LMM die linke Zylinderbank versorgte. Ich tauscht die LMMs aus, und das Problem war behoben.
Ich war glücklich und zufrieden. Wir machten lange Reisen nach Südfrankreich und Italien. Bei einer Hochzeit in Prag transportierten wir die Torte. Im Winter suchte ich mir Parkplätze zum Driften und genoss, wie wunderbar ausbalanciert die Karosse war. Auch als Umzugswagen musste der 7er herhalten: 13 Kartons passten hinein. Egal ob Weihnachtsbaum oder Ikearegal: es gab nichts, was wir nicht transportierten. Wir jagten mit 250 km/h über die Autobahn und lieferten uns epische Schlachten mit der moderneren Konkurrenz, die sich in den meisten Fällen früher oder später geschlagen geben musste. Nur Kurven waren nie das Ding des Fuffis: dazu war das Gewicht einfach viel zu hoch – in den Kassler Bergen fuhren mir die Boras um die Ohren, und gegen einen Kurvenkünstler wie dem Porsche Boxster hat wir selbst dann keine Chance, wenn der Gegner mit der mageren 204 PS Maschine ausgerüstet ist.
Aber es gab nicht nur High-Speed Autobahnfahrten im Leben des Fuffis. Es gehörten auch wirklich wichtige Aufgaben im Leben dazu, Aufgaben, bei denen man statt mit 250 eher mit 25 km/h unterwegs war – nämlich auf dem Verkehrsübungsplatz des ADAC. Da kein anderes Auto zur Verfügung stand, musste der Fuffi als Fahrschulauto für die ersten Fahrversuche meiner damaligen Freundin (und heutigen Ehefrau) herhalten. Es war schon etwas skurril, sich mit dem überdimensionierten Zwölfzylinder zwischen bunten hoppelnden Kleinwagen wiederzufinden, mit denen andere Leute versuchten, ihre Sprösslinge in den Gebrauch solch geheimnisvoller Dinge wie Kupplung und Gangschaltung zu unterweisen. Am Ende kurvte auch meine Anna mit Bravur durch den Parkur und schaffte es sogar, das 5m-Trumm in Parklücken zu wuchten, in denen auch Gölfe nur mit Schwierigkeiten Platz fanden.
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Und dann kam der Tag, an dem mir langsam zu dämmern begann, dass die Freude an dem schönen Auto nicht ewig dauern würde. Es war ein ganz normaler Tag im Frühjahr. Ich war bei Media Markt, hatte eine Festplatte gekauft (könnte auch ein Drucker gewesen sein, so genau weiß ich das nicht mehr) und ging zu meinem Auto.
Ich merkte sofort, dass da etwas nicht stimmte. Es war nur ein winziges Detail, das nicht sofort ins Auge fiel. Mein Herz schlug schneller, voller Sorge eilte ich zu meinem blauen Riesen, bückte mich und betrachtete die Tür aus der Nähe.
Mein schönes blaues Auto hatte Besuch bekommen. Nein, es war kein Marder, und auch keine Maus – die wären harmlos. Bei den Besuchern handelte es sich um ganz üble Halunken, und zwar um die Herren Korrosion, Rost und Gammel.
Unter der Stoßleiste der hinteren Tür blätterte langsam der Lack ab. Über der Gummileiste bildeten sich Blasen, und auch der Kotflügel wurde am Radlauf langsam braun. Die anderen Türen sahen nicht viel besser als. Die Schweller…auf den ersten Blick in Ordnung, wirklich genau wollte ich lieber nicht hinsehen. Sogar am Dach befand sich eine Roststelle! Wie ein Krebsgeschwür fraß sich die braune Pest durch das ganze Auto.
Entsetzt rief ich – zum ersten Mal – den Vorbesitzer an. Und der erzählte mir, dass das Auto beim Erstbesitzer einen größeren Schaden gehabt und kopfüber im Graben gelandet wäre. Er selbst hätte es erst erfahren, als er den Fuffi beim Händler für einen neuen 6er BMW in Zahlung geben wollte – und gerade mal 3,000€ bekam, weil das Auto ja mal einen Totalschaden gehabt hätte.
Ja, es handelte sich um die gleiche Niederlassung, die mir einen guten Zustand bescheinigte hatte. Das war zu dem Zeitpunkt 5 Jahre her.
Mein Auto ein ehemaliger Totalschaden! Billig in einem Hinterhof saniert!
Ich war am Boden zerstört.
Eine Weile fuhr ich das Auto so weiter, wie es war, doch irgendwann wurde die braune Pest doch so auffällig, dass selbst die Nachbarn anfingen, Sprüche zu machen.
Ich stand vor der Wahl: lackieren oder schreddern. Ich zog von einem Lackierer zum nächsten. Die meisten weigerten sich und machten mir prohibitiv hohe Kostenvoranschläge, die teilweise in den fünfstelligen Bereich gingen. Nach langer Suche fand ich eine Lackierer, der wegen der Sommerferien nichts zu tun hatte und das Auto für den Betrag von freundlichen 2,000€ in einen ansehlichen Zustand versetzte. Dafür konnte man das ja riskieren, nicht wahr?
Vier Wochen später war er fertig. Wobei fertig relativ war. Das Auto war zwar lackiert, aber noch teilzerlegt. Es wurde eilig in zwei Tagen zusammengebaut. Nun ja. Fürs erste hatte ich ein Auto, das zumindest auf den ersten Blick wie neu aussah. Die alten Kunststoffleisten und die eingerissenen Gummidichtungen rund um die Zierleisten relativierten zwar den guten Eindruck, aber das war mir egal. Ich investierte weitere 1,000€ in neue Federn (die alten waren gebrochen) und neue Bremsen.
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Und dann war Ruhe. Zwei Jahre lang sah der Fuffi keine Werkstatt mehr von innen. Klar, ein Spiegelglas musste ersetzt werden, und kurz vor Weihnachten brach der Griff der Fahrertür ab. Ich verbrachte zwei Nachmittage fluchend in der Garage, dann war ein neuer Türgriff vom Schrotthändler eingebaut.
Natürlich schlug mein Herz langsam nach einem neuen Auto. Ich wollte wissen, was ich in all den Jahren verpasste, in denen ich mit dem alten V12 unterwegs war. Ich fuhr sie alle Probe: den Maserati Quattroport, den BMW 760i E65, das 645er Coupe, einen nagelneuen BMW 730d, die Mercedes S-Klasse W221, den Audi A8 D3 und den Porsche Panamera (zu all diesen Autos gibt es Fahrberichte in meinem Blog).
Ergebnis: die neuen Autos waren zwar teils ein wenig besser, aber nicht so gut, dass sie mir den horrenden Aufpreis wert wären. Denn auch wenn er inzwischen 16 Jahre zählte, war der 750i E38 nach wie vor das, was er schon 1997 war, als er das Werk verließ: eine erzbequeme Luxuslimousine.
Fast sah es danach aus. Warum auch nicht. Das Auto war einigermaßen zuverlässig und fuhr sich angenehm. Trotzdem bildeten sich dunkle Wolken am Horizont. Nachdem während eines Winters auffallend viele BMW der Baureihe E38 in schwere Unfälle verwickelt wurden, hatte ich manchmal Alpträume, bei denen ich mich im Wrack meines 7ers sah. War die Struktur nach 16 Jahren überhaupt noch stabil? Meine Sorge ging soweit, dass ich den Innenraum meines Autos auseinanderrupfte, um nachzusehen, ob die Airbags noch alle an ihrem Platz waren. Sie waren noch alle da, aber die positiven Gefühle, die ich früher für das Hegte, wichen einer seltsam düsteren Stimmung. Der Selbstmord eines Forumsmitglied durch Gift in einem ähnlichen Fahrzeug schuff zusätzliche negative Assozationen.
Trotzdem hing ich an dem Auto und mochte mich nicht so recht trennen.
Bis sich der Herrgott persönlich der Sache annahm.Das tat er auf zweierlei Art:
Zum einen lockte er mich mit einer wirklich verführerischen gebrauchten Jaguar-Dame. Und zum anderen ließ er es sich nicht nehmen, mein Auto in einen Haufen Schrott zu verwandeln. Und zwar so, wie ein Gott es nun einmal tut: mit Sturm, Blitz und Hagel!
Es war Ende Juli 2013. Ich war gerade vom Supermarkt zurückgekehrt. Ja, das Wetter sah schon etwas düster aus, aber mehr als ein wenig Regen würde es wohl nicht geben. Pustekuchen: ich hatte gerade die Vorräte einsortiert, das brach ein ein Inferno brach: Tausende tennisballgroßer Hagelkörner prasselten fast eine Viertelstunde lang auf Lehrte ein und zerstörten Dächer, Gärten und Autos.
Als der Hagel vorbei war irrten wir durch unser Viertel: bei dem meisten Autos waren die Heck- und Seitenscheiben durchschlagen, die Dachziegel zersplittert und die Gärten verwüstet. Bei einem Nachbarn durchschlug der Hagel das Dach vom Swimmingpool, durchquerte das Wasser und hinterließ Beulen im Boden! Bei uns war das halbe Dach zerstört, überall lagen Scherben, man konnte kaum treten.
Und mein Auto? Der Anblick war nicht schön: Fast alle Teile waren mit tiefen Dellen überzogen, die Abdeckung des Außenspiegels lag neben den seitlichen Stoßleisten im Vorgarten. Beim rechten Kotflügel gab es mehrere Einschläge an der gleichen Stelle, sogar der Radlauf hatte sich nach innen verzogen! Die Frontscheibe hatte mehrere Treffe abbekommen, glücklicherweise war das Sichtfeld des Fahrers einigermaßen heile geblieben – wir konnten fahren, aber durch den bald fälligen TÜV würde diese Scheibe nicht mehr kommen. Zu allem Überfluss gab es noch einen dreifachen Treffer am Rahmen der Frontscheibe. Sprich: es war kaum möglich, die Scheibe zu wechseln, ohne vorher das Dach sanieren zu lassen, welches in der Formgebung dem Ideal eines Golfballs recht nahe kam.
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Gottseidank hatte ich eine Teilkaskoversicherung. Erstaunlich schnell bekamen wir einen Termin für eine Sammelbegutachtung von der Allianz Versicherung. Vorher fuhr ich in die Waschanlage und betete, dass die Scheibe den Wassermassen standhalten würde. Natürlich verbrachte ich auch den Nachmittag damit, den Wagen fein herzurichten und alle Beulen auf Hochglanz zu polieren. Bei der Werkstatt nahm sich der Gutachter viel Zeit. Akribisch zählte er die Beulen, kalkulierte und ermittelte einen Schaden von knapp 6,000€. Der Wiederbeschaffungswert war Verhandlungssache. Vorsichtshalber hatte ich eine Liste vergleichbarer Fahrzeuge erstellt – wobei das gar nicht so einfach war, denn gute E38 mit V12 fallen nicht gerade von Bäumen.
Angesichts des guten Zustands des Lacks einigten wir uns auf 5,500€. Der Restwert wurde auf 1,500€ taxiert. Meine Anna, die die ganze Zeit über stilecht in High-heels und Hotpants das Auto gelobt hatte, sah ihn mit großen Augen an. Der Gutachter griff zum Telefon und rief einen Spezi an. Dann kam er wieder und schrieb augenzwinkernd einen Restwert von 1,000€ in das Gutachten.
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Ich hatte schon gerechnet, dass sich das Auto mit einigen gebrauchten Teilen und etwas Lack für rund 2,000 – 2,500€ sanieren lassen sollte. Schließlich hatte die Komplettlackierung vor einigen Jahren nur rund 2,000€ gekostet, und hier musste man nur einige Teile lackieren und ein bisschen Dellen drücken, nicht wahr?
Für 450€ ließ ich beim Schlachter eine neue Motorhaube und einen der seltenen Facelift Kotflügel in orientblau einbauen. Beim Abholen musste ich aber feststellen, dass die Teile einen Farbunterschied aufwiesen – der vor drei Jahren neu lackierte Fuffi war wohl ein wenig dunkler als das originale Orientblau. Damit war die Kalkulation im Eimer. Der Lackierer, der das Auto damals lackiert hatte, wollte nicht noch einmal dran, und angesichts der Tatsache, dass der Lack an mehreren Stellen gerissen war, wollte ich ihn auch nicht mehr lackieren lassen.
Ich ließ das gute Stück deswegen von einem weiteren Experten im Harz begutachten, einem Lackierer, der bei einem Freund sehr gute Arbeit geleistet hatte. Der erklärte mir zwei Stunden lang viel über Lack und Reparaturmethoden. Dann setzte er sich mit mir hin und fragte ganz ruhig: „Sag mal, ist Dir das Wort ‚Groschengrab’ ein Begriff?“
Bei genauer Betrachtung war das auf den ersten Blick fast neuwertig glänzend schöne Auto die Reparatur nicht wirklich wert. Natürlich könne man den Wagen reparieren, allerdings säße der Rost dermaßen tief im Blech, dass man große Teile herausschneiden müsse. Eine halbwegs sinnvolle Lackierung läge bei 5,000€, und das auch nur dann, wenn es keine größere Überraschungen gäbe. Allein die Schweller lassen bei genauer Betrachtung und ein wenig Phantasie Böses erahnen – werden sie gar nur durch den Korrosionsschutz zusammen gehalten?
Der Lackierer zuckte mit den Schultern, auch er wußte es nicht.
“Aber eigentlich habe ich doch schon 450€ in Teile investiert und er sieht doch so schön aus!” protestierte ich.
„Genau das meine ich mit Groschengrab. Du wirfst gutes Geld schlechtem Hinterher und bist nachher ein Vermögen für ein mittelmäßiges Auto los.“
Er hatte Recht: der Fuffi war zum perfekten Blender mutiert und mit seiner Schönheit hatte er auch mich lange Zeit geblendet. Viel zu lange Zeit. Ich musste einsehen, dass die 450€ zum Teufel waren und beschloss in dieser Minute, das Auto zu verkaufen. Noch am selben Tag buchte ich ein Zugticket nach Nürnberg, zwei Tage später stand der grüne Jaguar vor der Tür.
Den lädierten Fuffi inserierte ich gewohnt professionell für 2,000€ bei Mobile.de – als Totalschaden, zum Herrichten oder Schlachten. Eine Zeitlang standen zwei alte Luxuslimousinen bei mir auf dem Hof. Einen Nachmittag verbrachte ich damit, die beiden Autos zu vergleichen. Ergebnis: der Jaguar brachte ein Lächeln in mein Gesicht, der alte 7er wirkte wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Ich wollte nicht wieder zurück.
Kaum war das Inserat online kam auch schon ein Interessent, der sich ausrechnete, das Auto preisgünstig herrichten zu können. Unter dem nicht ganz fairen Motto “Du kaufen oder Auto geht morgen zu Schlachter!” wurden wir uns rasch handelseinig.
Die Geschichte des Fuffis geht weiter – vielleicht. Möglicherweise wird er über die Tundra in Kasachstan oder durch die afrikanischen Wüsten fahren. Oder er wird neu lackiert, getunt und schleppt als „Pussy Wagon“ heiße Mietzen ab. Er wird Abenteuer erleben, die spannender sind als das Leben in der Vorstadt, da bin ich mir sicher.
Schade nur, dass er mir keine Postkarte schreiben kann.
Mehr von Johannes Vorwerk gibt es hier.
geschrieben von Johannes Vorwerk veröffentlicht am 17.09.2014 aktualisiert am 17.09.2014
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