Jaguar

„Here Dewis, test it!“ Früherer Jaguar- Chefingenieur (92) im auto.de-Gespräch

Nürburgring – Er ist Engländer, geboren in Coventry, war von 1952 bis 1986 Chef-Testingenieur bei Jaguar. Heute, 92 Jahre alt, ist er noch immer privat im Jaguar XF in Shropshire unterwegs, wo er wohnt, zeigt auf Strecken wie in Goodwood, was klassische Rennautos wie der D-Type, sein Lieblingsauto, das 1955, 1956 und 1957 die 24 Stunden von Le Mans gewonnen hat, alles können. Wir treffen Norman Dewis beim Heritage Racing der Briten auf dem Nürburgring, begleitet von Michael Quinn, dem Enkel von Jaguar-Gründer Sir William Lyons.

Wie fing es damals eigentlich an bei Ihnen?

Norman Dewis: Ich war immer an allem Mechanischen interessiert, nicht nur an Autos. Als ich 14 war, starb mein Vater. Es gab damals keine sozialen Zuschüsse, also musste ich mir Arbeit suchen, um meine Mutter zu unterstützen. Ich bekam eine Ausbildungsstelle bei Armstrong[foto id=“438574″ size=“small“ position=“right“] Siddeley, der wunderbare Autos herstellte. Nach drei Jahren brach der Zweite Weltkrieg aus. Als Reservist wurde ich innerhalb von 24 Stunden einberufen, bin bis 1943 für die Air Force geflogen und danach als Flugzeuginspektor ständig zu verschiedenen Autofirmen gefahren, die alle in dieser Zeit Flugzugteile produzierten. Auch Jaguar. Waren die Teile fertig, musste ich sie abnehmen und meinen Stempel drauf geben.

Und dann?

Norman Dewis: Eine Firma war Lea-Francis Cars. Die haben Drosselklappen für den Stirling Bomber hergestellt. Nach dem Krieg wollten sie wieder Autos bauen und fragten mich, ob ich dort arbeiten würde. Ich habe mit ihnen den ersten Motor und das erste Fahrgestell gebaut – und logischerweise haben sie mich – ich war gerade 24 Jahre alt – dann gefragt, das neue Auto zu testen. So fing alles an. Ich war immer bemüht, die Autos besser zu fahren und Fehler schneller zu finden als andere. In dieser Zeit habe ich sogar einen eigenen Rennwagen gebaut und 1949 das erste Mal Sterling Moss getroffen.

Wie kam Jaguar auf Sie?

Norman Dewis: Bill Haynes, damals Chefingenieur, bot mir eine Stelle bei Jaguar an. Ich hatte erst wenig Interesse, weil es mir bei Lea-Francis eigentlich ganz gut ging. Bei Jaguar gab es nur kleine Containerbüros im Gegensatz zu den großen Backsteinräumen mit schönen Möbeln bei Lea-Francis. Aber Mister Haynes blieb hartnäckig, wollte wissen, was mich denn überzeugen würde. Ich sagte: Vielleicht ein besseres Gehalt. Er bot mir zwei Pfund mehr im Monat. Damals verdiente ich fünf Pfund fünfzig die Woche (umgerechnet heute knapp sieben Euro, Anmerkung der Redaktion).

Und das Testen von neuen Autos: Wie sah das damals bei Ihnen aus?

Norman Dewis: Wir hatten für alle Autofirmen und verschiedenste Versuche eine Teststrecke in Linley. Das war ein unbenutzter Flugplatz. Über die Jahre ist er zu einem ansehnlichen Prüfgelände geworden. Der Chef fragte uns – wir waren fünf von den besten Testfahrer – immer, was wir nötig hätten. Zum Beispiel auch ein Kältezimmer, um Kaltstarts zu testen.

[foto id=“438575″ size=“small“ position=“left“]Und heute?

Norman Dewis: Es hat sich so viel geändert. Heute machen sie keine Tests mehr wie wir, Motto „Hands on“. Computer steuern alles. Wir mussten damals erst einige Meilen fahren, um überhaupt die Belastbarkeit testen zu können. Heute stellt man bestimmte Radumdrehungen ein und kommt erst wieder, wenn die Zeit abgelaufen ist. Aber es war immer spannend. Es wurde gezeichnet, gebaut – und dann hieß es, „Here Dewis, test it!“ Ich musste alles testen: Motor, Bremsen, Getriebe, Reifen. Einfach alles.

Ist mal was passiert?

Norman Dewis: Einmal sollte der C-Type ein neues Getriebe bekommen. Ich sollte schauen, ob man gut damit zurecht käme. Also dachte ich: Lieber auf einem Hochgeschwindigkeitskurs mindestens zehn Stunden mit 140 Meilen fahren, um die maximale Öltemperatur zu erreichen. Nach etwa fünf Stunden bei 135 Meilen und ohne Warnung funktionierte das Getriebe nicht mehr – und ich landete mit einem Salto mitten auf der Wiese, lag einige Minuten da, bis sie mich rausgeholt haben. Ich war aber Gott sei Dank nicht verletzt und bin gleich am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Damals gab es noch keine Gurte. Einen anderen Unfall habe ich mit dem Renn-XJ 13 gehabt, der erste Jaguar mit Zwölfzylinder-Motor im Heck. Es ist nur ein Exemplar davon gebaut worden. Viele kennen es nur als „Oh, das ist das Auto, mit dem Norman diesen großen Crash hatte“. Also wurde es nie zum Rennen eingesetzt, landete 1966 im Laden unter einem weißen Tuch.

Und was war 1971 mit dem Zwölfzylinder-E-Type?

Norman Dewis: Der begleitende Film sollte eben mit dem XJ 13 anfangen und mit dem E-Type enden. Für die Aufnahmen sollte ich so schnell wie möglich über die Teststrecke fahren. Die Standaufnahmen waren fertig, dann ging’s los. In der dritten Runde waren die Aufnahmen im Kasten und sie sind abgezogen. Mitte der vierten platzte plötzlich bei rund 150 Meilen ein Hinterreifen. Erst bin ich in den Sicherheitszaun, [foto id=“438576″ size=“small“ position=“right“]steuerte dann auf ein mit Sand gefülltes, rotweißes Fass zu, drehte mich mehrmals und kam schließlich auf einer Grasfläche zum Stehen. Ich hatte komplett die Kontrolle verloren, bin aber wieder unverletzt geblieben, hatte stets Glück. Als keiner kam, bin ich den ganzen Weg zu Fuß zurück. Sie haben nur gefragt: Wo bleibst du? Du hättest schon vor fünf Minuten hier sein sollen! Wir sind schon lange fertig hier …

Stimmt es Sie traurig, was aus der britischen Automobilindustrie geworden ist? Einige Marken gibt es gar nicht mehr, andere sind im Besitz ausländischer Konzerne: Bentley, Mini, Rolls Royce …

Norman Dewis: Nun, Jaguar ist noch in England, auch wenn Tata Motors in Indien die Marke gekauft hat. Ich habe übrigens den Chef, Ratan Tata, voriges Jahr bei einer Veranstaltung in Pebble Beach in Kalifornien kennengelernt. Ein sympathischer Mann. Er hat großes Interesse an Jaguar. Ich sagte ihm, dass ich hoffe, Jaguar werde nicht nach Indien wechseln. Er sagte: Keinesfalls! Solange Jaguar gute Autos baue und Geld damit verdiene, mische er sich nicht ein.

Woran sind die Briten gescheitert?

Norman Dewis: Die haben einfach nicht genügend investiert. Jaguar hat gutes Geld verdient, aber sie haben immer zu viel rausgenommen und nicht in neue Anlagen investiert. Die Produktionsmaschinen waren teilweise noch von vor dem Krieg, während andere Autobauer schon viel modernere hatten. Als Britisch Leyland damals Jaguar übernahm und verschiedene Firmen zusammenschweißte, das war aus meiner Sicht ein Fehler. Hätten sie uns nicht rausgelassen, hätte das Jaguar ruiniert.

Was raten Sie jungen Test- und Rennfahrern?

Norman Dewis: Zwei junge Fahrer, deren Väter klassische Autos haben und wollen, dass ihre Söhne mit dem Rennen anfangen, habe ich beraten, weil die Väter sich Sorgen machen. Ich habe den Söhnen nur zwei Ratschläge gegeben. Erstens: Ihr werdet immer euren eigenen Fahrstil haben – und dabei solltet ihr bleiben. Fahrt so, wie ihr euch am besten fühlt. Zweitens: Am Anfang der Karriere zunächst nicht versuchen, mitzuhalten. Einfach auf der Strecke bleiben und das Rennen zu Ende bringen, weil jede Runde, die man auf der Strecke bleibt, lernt man wieder dazu. Gegen Ende der Saison fühlt man sich immer sicherer und wird dadurch automatisch schneller. Was nutzt es, wenn man gleich an der ersten Ecke einen Unfall hat?

[foto id=“438577″ size=“small“ position=“left“]Jaguar Heritage Racing

… war im August Teil des AvD-Oldtimer-Grand-Prix vor gut 50 000 Besuchern auf dem Nürburgring, wo sich mehr als 500 Rennwagen packende Duelle auf der Nordschleife und dem Grand-Prix-Kurs lieferten. Die dort mit einem C-, D-Type und Mark II vertreten Briten gewannen durch Alex Buncombe sowie das Trio Buncombe, Frank Klaas und Chris Ward verschiedene Pokale. Jaguar Heritage Racing setzte mit seiner Teilnahme in der Eifel sein Engagement im historischen Motorsport fort. Zum 90. Jahrestag der Firmengründung durch Sir William Lyons hatte das Unternehmen Anfang des Jahres sein neues Werksteam dafür im Royal Automobile Club in London ins Leben gerufen und bei der Mille Miglia oder auch in Monaco erste Erfolge gefeiert. Für Adrian Hallmark ist Motorsport „essentieller Bestandteil unserer Historie und Marken-DNA“. Er habe, so Jaguars global verantwortlicher Markendirektor, die Entwicklung neuer Technologien wie der vor 60 Jahren im C-Type erstmals erfolgreich eingesetzten Scheibenbremse stets beflügelt.

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