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Jim trug bei der Demonstration vor der Cobo Hall in Detroit, wo gerade der erste Pressetag der North American International Auto-Show (NAIAS) anlief, ein Transparent vor sich her, auf dem er den Medien die Schuldigen an der Misere der amerikanischen Automobilindustrie anprangerte.
Gemeinsam mit knapp 50 Demonstranten von der United Auto Workers Gewerkschaft (UAW) klagte er Politiker und Bosse gleichermaßen und skandierte: „Not one dollar, not one dime, cutting wages is a crime“. Jim ist überzeugt davon, dass es kriminell ist, Einkommen zu kürzen. Deswegen klagte er sein Leid direkt in ein Mikrofon des Österreichischen Fernsehens. Jim ist 54 Jahre alt, erzählt er. Seit März vergangenen Jahres ist er Rentner. Er war mit der Zusage in die Rente geschickt worden, seine Bezüge und seine Krankenversicherung bis ans Lebensende von Ford bezahlt zu bekommen. 50 000 Dollar hat er im Jahr. Der Reporter lässt das Mikrofon sinken: „In was für einer Welt leben die hier eigentlich?“ Und Jim reiht sich wieder in den typischen amerikanischen Protest-Rundmarsch, laut rufend: „Wer Amerika stark halten will, darf die Gewerkschaften nicht killen.“
Die Zahl ist unwidersprochen: Jedes Auto von General Motors muss erst einmal 2200 US-Dollar für die Pensionskasse und die Krankenversicherung verdienen. Das alles – so fürchtet die UAW nicht zu Unrecht – soll nun in Frage gestellt werden. Natürlich wollen die Unternehmen dieses enorme Belastung loswerden, doch Jim droht mit seinen Kollegen: „Wir werden für unsere Renten kämpfen!“ und natürlich auch für die kostenlose Gesundheitsversorgung. [foto id=“59942″ size=“small“ position=“right“] Und drinnen in der Cobo Hall wurde nur wenige Stunden zuvor der typische und erfolgreichste amerikanische Drei-Tonner-Truck Ford F 150 mit Achtzylinder-Motor zum „Truck of the Year“ gekürt. In was für einer Welt leben die hier eigentlich? Man kann nicht sagen, dass sich Amerikaner wie Jim dem Wandel und den notwendigen Konsequenzen aus der Finanz- und Konjunkturkrise völlig entzogen hätten; denn immerhin erreichte ein Mercedes-Benz ML 320 Bluetech den dritten Rang in diesem alljährlichen „Truck oft he Year“-Ranking in Detroit, wenn auch mit großem Abstand hinter dem ebenfalls uramerikanischen Dodge Ram. Immerhin ruft Jim auch diesen Slogan: „Grüne Autos sind die Lösung, Baut sie in den USA!“ Aber was hilft’s, wenn der Ford F 150 – dem Unternehmen sei’s gegönnt – sich wieder hervorragend verkauft. Die einen sagen, dass liegt am dramatisch gesunkenen Preis für Benzin, der zur Zeit nur noch bei rund 40 Eurocent pro Liter liegt. Die anderen drücken ihre Hoffnung aus, dass genug Amerikaner dazugelernt haben und verbrauchsfreundlichen Fahrzeugen den Vorzug geben, obwohl der Sprit nicht mehr das Dreifache des heutigen Preises kostet.
In den Gesprächen auf der Messe bricht aber auch Trotz durch. Vor der Tür rufen die Demonstranten: „Wir bauen die besten Autos der Welt“ und drinnen spricht man über verschiedene Auto-Kulturen. Der Amerikaner hat es eben gern etwas größer. Und zu dem unwiderlegbaren Argument, dass der Kunde nun einmal entscheide, welches Auto er kaufe, dringt von der Straße ein gar nicht mehr leises: Buy American![foto id=“59943″ size=“small“ position=“left“] Drinnen, in der Messehalle bietet sich aber ein anderes Bild. Mehr Kleinwagen sah man hier nie. Die Amerikaner lassen sich von ihren europäischen Töchtern mit entsprechenden Fahrzeigen versorgen und „verkaufen“ die hier den Journalisten als strategische Entwicklungsleistung. So begann die Pressekonferenz bei Ford mit einer eindrucksvollen Zusammenstellung der Auszeichnungen, die Ford-Modelle im vergangenen Jahr mit nach Hause nehmen konnte. Natürlich war der F 150 dabei, doch der überwiegende Rest ging 2008 an Fahrzeuge des Konzerns aus Europa. Und Ford Chef Allan Mullaly verkündet stolz, dass der Fiesta im Spätsommer auch in den USA zu haben sein wird.
So groß ist der Druck der Politik auf die Großen Drei Chrysler, Ford und General Motors (GM), dass sie sich GM und Ford auf die Leistungen ihrer internationalen Töchter besonnen. Chrysler, die mehr noch als die beiden anderen im eigenen inneramerikanischen Saft kochen, fehlt diese Möglichkeit. Aber alle drei müssen bis Ende März der Politik beweisen, dass sie überlebensfähig sind. Da greift man gern auf die Familiengeschichte und den Familienschatz zurück. Aber offenbar ist man sich gar nicht sicher, [foto id=“59944″ size=“small“ position=“right“] ob die Europäisierung des Angebots wirklich ausreichen wird, die Politiker zu überzeugen. 17,4 Milliarden US-Dollar Kredit kann Washington von GM und Chrysler zurückfordern, wenn die Politik nicht überzeugt ist. Da hat man besser noch einen zweiten Plan, am besten eine amerikanische Lösung. Allen drei Wackelkandidaten hatten dazu die gleiche Idee: die Elektromobilität. Bob Nardelli, der Chef von Chrysler, sagt ganz klar in einem Gespräch mit Journalisten, was er als Kern einer amerikanischen Strategie sieht: den Plug in-Hybrid, also das Hybridfahrzeug, dessen Batterie man zu Hause aus der Steckdose aufladen und lange aus der Batterie mit Strom versorgen kann, bevor der Benzinmotor einspringen muss. Hier – so Nardelli – sei die US-Automobilindustrie führend. Diesen Vorsprung durch Technik müsse man nun ausnützen.
Deutsche wie Japaner wird diese Äußerung zum Schmunzeln bringen. Doch die drei sind sich einig: Elektrischer Antrieb ist die Zukunft, sei es nun als Hybrid, Plug in-Hybrid, batterieelektrisches Auto oder eines, das seinen Strom aus der Brennstoffzelle bezieht. Dieser Aussage werden auch die Deutschen und die Japaner nicht widersprechen. Sie zeigen jedenfalls auch in Detroit, dass sie bei diesem Thema nicht gerade geschlafen haben. Doch bei den Amerikanern klingt das anders. Da weist Chrysler darauf hin, dass man der größte Hersteller von Elektroantrieben in den USA sei. Da zeigen sich Ford und GM als desselben Geistes Kinder und kündigen gleich ganze Typenfamilien von Elektrofahrzeugen an, die schon morgen von der Prototypenfertigung in die Großserienfertigung übergehen werden. Ehrlich!
Soviel Eifer hat auch etwas Rührendes und erinnert stark an das Pfeifen im dunklen Keller. Aber es findet eben seine Begründung in dem Druck der Politik, der bei den alternativen Antrieben gleich doppelt daherkommt. Denn im Herbst hatte die Regierung schon einmal ein 25-Milliarden-Dollar-Programm für den Antrieb der Zukunft aufgelegt. Die wollen etwas sehen für ihr Geld. Und im März muss die Strategie überzeugen. [foto id=“59945″ size=“small“ position=“left“] Unter diesem Druck kommen dann so sinnlose Fahrzeuge heraus wie ein Jeep, der im Gelände kläglich versagen würde, weil sein Elektromotor nur die Vorderachse antreibt. Später will man dann einen Allradantrieb mit Radnabenmotoren nachreichen. Offenbar hatte man bei Chrysler an alle Marken die Devise ausgegeben: Macht doch mal was Elektrisches. Dann kommt Dodge eben mit einem Sportcoupé, Chrysler mit einer elektrifizierten Familienkutsche und Jeep mit einem Jeep den Kaufhausparkplatz. Mal ernsthaft: Natürlich haben auch die amerikanischen Ingenieure Konzepte auf die Beine gestellt, die sicher eine Zukunft haben werden. An dieser Stelle sei als Beispiel der Volt von General Motors genannt, den wir vermutlich ab 2011 auch auf deutschen Straße erleben werden. Was der aktuellen US-Diskussion ums Elektroauto die Ernsthaftigkeit nimmt, ist die Hektik, mit der nun Studien auf Studien folgen, am besten im Dutzend. Außerdem irritiert, dass niemand in Detroit die Frage stellt, wo denn der Strom herkommt. Hier hat man zwar Kernkraftwerke, aber eben auch in unschöner Regelmäßigkeit ein zusammenbrechendes Stromnetz. Wer in den USA fernsieht oder Zeitung liest, findet diese Fragestellung ebenfalls nicht. Dafür erlebt er ein großes Aufatmen: Die Nation ist gerettet; we go elektrisch.
Die Journalisten, die sich für die Auto-Show aus den 50 US-Staaten nach Detroit begeben haben, sehen das offenbar nicht ganz so. Zwar applaudieren sie Allan Mullaly bei der Ford-Pressekonferenz, weil er dem Unternehmen das Bewusstsein gegeben hat, es aus eigener Kraft schaffen zu können, was man angesichts der Fülle neuer und überwiegend zeitgerechter Produkte gern glauben will. Doch sie alle interessieren sich mehr für das ganz normale Auto. Man trifft sie eben nicht bei Ford, Lincoln, GMC, Chevrolet, Saab, Dodge, Jeep oder den vielen amerikanischen Marken, die unter dem Dach der großen Drei arbeiten. [foto id=“59946″ size=“small“ position=“right“] Die Journalisten tummeln sich bei den Europäern. Das liegt sicher nicht nur am sparsamen Messebau der amerikanischen Hersteller, auf den man sich angesichts schwerer Zeiten wieder zurückgezogen hat. Aber immerhin war dieses Mal überall das Licht an und das Personal auf den Ständen war auf dem Posten, anders als im November in Los Angeles. Es sind die Produkte, die locken. Sie sind so attraktiv, dass heute schon mehr als jeder Zehnte Personenwagen in den USA aus Europa stammt. Doch trotz der Konzentration auf die Europäer waren deren Stände bestenfalls zu den üblichen Pressekonferenzen überfüllt. Detroit hat dieses Jahr erheblich weniger Vertreter nationaler und internationaler Medien angelockt als in den Jahren davor. Die Messe selbst hatte viel weniger Premieren zu bieten als sonst, und die Messegesellschaft hätte sicher gern noch fünf oder sechs Hersteller mehr in der Cobo Hall untergebracht. Die deutschen Hersteller haben wohl inzwischen so etwas wie eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft der großen internationalen Autoausstellung in Detroit. Früher oder später werden sie diese Bühne ihren nationalen Gesellschaften überlassen und Detroit wie New York und Los Angeles als eine der drei Städte mit wichtigen Messen behandeln, aber Detroit nicht mehr als den gegebenen Ort für große Weltpremieren hervorheben. Vielleicht war die Halb-Premiere von Mercedes-Benz, bei der Journalisten und nicht das Messepublikum einen Blick auf die neue E-Klasse werfen konnten, eines der letzten Großereignisse dieser Art. Porsche hat Detroit schon vor zwei Jahren verlassen.
Die Deutschen Audi, BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen haben dieses Jahr ihren großen Auftritt. Sie haben ihre Hausaufgaben schon hinter sich und stehen nun mit attraktiven Produkten in Detroit, so wie die Amerikaner sie gern hätten. Sie können und wollen mit ihrem Selbstbewusstsein gar nicht hinter dem Berg halten. Hier stehen sie, sie können nicht anders als die Chance zu nutzen, die ihnen die amerikanischen Hersteller soeben bieten. Die Strategie jedenfalls ist klar, vielleicht sogar so transparent, dass sie der autokaufende Amerikaner erkennt. Gerade eben hat ein renommiertes Marketinginstitut eine Umfrage veröffentlicht, nach der 80 Prozent der Amerikaner in der jetzigen Situation ein amerikanisches Auto kaufen wollen oder würden. [foto id=“59947″ size=“small“ position=“left“] Die Toyota-Strategie sieht offenbar anders aus. Bei denen gewinnt man im Moment den Eindruck, sie halten sich jetzt nur zurück, weil sie in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehme operativ rote Zahlen schreiben. Sie ertragen die Ankündigungen des Wettbewerbs, sie überflügeln zu wollen nur an, holen tief Luft und kommen mit neuen Modellen und neuem Chef zurück. Der Lexus-Vertreter bei der Pressekonferenz gestern stellt sich demonstrativ an die Seite der Amerikaner und sprach von Solidarität in schweren Tagen und nicht von Marktchancen.
Mit der NAIAS 2009 haben die Amerikaner jetzt den ersten Meilenstein auf dem Weg zum 31. März und der Schicksalsentscheidung hinter sich. Die Begeisterung für den Elektroantrieb in Amerika könnte sich auch als die Art von Euphorie herausstellen, wie sie sich oft in der Katastrophe einstellt. Die Vison von heute könnte schon morgen zur Illusion werden. Jim und seine Gewerkschaftsgenossen werden vielleicht genau das besprochen haben, als sie sich nach dem Protest in der Winterkälte vor der Cobo Hall zum Bier in der Anchor Bar in der Fort Street trafen. Good by, Detroit!
geschrieben von (ar/Sm) veröffentlicht am 13.01.2009 aktualisiert am 13.01.2009
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