Hintergrund: Gebrauchtwagenkauf – noch ein Glücksspiel?

Jedes Jahr werden in Europa rund 40 Millionen Gebrauchtwagen verkauft, dreimal so viel wie Neuwagen. Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass pro verkauftem Gebrauchten zwischen 500 Euro und 1000 Euro mehr erzielt werden könnten, als es heute der Fall ist. Stellt dieses Potenzial von 40 Milliarden Euro pro Jahr die Rettung für den europäischen Automobilhandel dar?

Genießt die Abwrackprämie, die Flaute wird schrecklich – auf diese Lesart haben sich die Experten in Deutschland inzwischen geeinigt. Nach dem Verkaufsboom für Neuwagen in diesem Jahr, rechnen sie fürs kommende bei den Neuwagen mit einem Minus von 500 000 Verkäufen. Das wird ein Schlag ins Kontor.

Gleichzeitig drücken viele Händler die Bestände an Gebrauchtwagen, die überteuert eingekauft wurden, um einen Neuwagen absetzen zu können. Dazu kommen noch die Abertausend Rückläufer aus Leasingverträgen, deren Restwerte in den Büchern der Händler schon lange nichts mehr mit dem tatsächlichen Wert zu tun haben. Außerdem tragen allerlei Aktionen von Herstellern und Handel wie Sonderrabatte oder Tageszulassungen dazu bei, dass die Restwerte weiter dahinschmelzen.

Noch ist das Geschäft mit den Gebrauchten offenbar einigermaßen stabil. So meldete der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) am 12. August 2009, in den ersten sieben Monaten seien in Deutschland 3,65 Millionen Besitzumschreibungen erfolgt, nur 1,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Verband wies außerdem darauf hin, dass die Verschrottungsprämie den Markt für mehr als neun Jahre alte Autos keineswegs leergefegt habe. Im Bestand seien noch 14 Millionen Autos dieses Alters; es gebe also immer noch eine stabile Basis für den Gebrauchtwagenmarkt.

Die Lage ist also komplex, und wird dadurch nicht übersichtlicher, dass Autos längst über Grenzen hinweg [foto id=“98317″ size=“small“ position=“right“]gehandelt werden. In dieser Situation treten der Autodatenbank-Experte Carfax, der Marketingexperte Musiol Munzinger Sasserath und das F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen gemeinsam mit einer Studie auf: „Gebrauchtwagen – Vom Außenseiter zum Hoffnungsträger“.

Die beiden wesentlichen Ideen in Kürze: Der Ankauf, die Aufbereitung, die Lagerhaltung, der Verkauf von Gebrauchtwagen lassen sich so in Prozesse fassen, dass Einsparungen möglich sind. Auf der anderen Seite lassen sich bessere Preise erzielen, wenn der Gebrauchtwagenkäufer ein Fahrzeug geboten bekommt, dem er vertrauen kann.

Bei Vertrauen gegenüber Händlern und Gebrauchten hapert es allerdings noch gewaltig. Rund ein Drittel der von der Studie in vielen europäischen Staaten erfassten Käufer und Interessenten haben mit einem Gebrauchten schon schlechte Erfahrungen hinter sich. Noch schlimmer wird das Bild, wenn man sich mit dem Image von Handel und gebrauchten Fahrzeugen befasst. 77 Prozent sehen versteckte Mängel als größtes Risiko, und 68 Prozent fürchten, über den Tisch gezogen zu werden. Mit solchen Zahlen wird der Handlungsbedarf überdeutlich skizziert: Vertrauen muss geschaffen werden.

Die Studie nennt als einen bereits in den USA erfolgreichen Weg den der Fahrzeughistorie oder des „Vehicle History Reports“. Der enthält Kilometerstand, Informationen über Unfälle, Reparaturen, Wartung und Service, die Art der Nutzung (gewerblich oder privat), Standzeiten und Rückrufaktionen, von denen das Modell betroffen war. Das alles kann man in den USA schon im Internet einsehen, wenn man in die Carfax-Datenbank die Fahrgestellnummer eingibt. Fahrzeuge, die solch einen Lebenslauf nachweisen können, erzielen in den USA einen im Schnitt über alle Fahrzeugklassen um rund fünf Prozent höheren Preis. Bei Oberklassefahrzeugen bringt das rund 1700 US-Dollar pro Verkauf mehr in die Kasse.

Für Deutschland könnte man sich für die Historie noch weitere Informationen vorstellen, zum Beispiel über modellspezifische Schwachstellen, Angaben, ob das Fahrzeug einmal gestohlen war, das Prüfprotokoll der aktuellsten Hauptuntersuchung und Angaben über den Vorbesitzer.

Wenn der deutsche Datenschutz das alles zulässt, hätte der Kunde beim Gebrauchtwagenhändler ein besseres Gefühl. Wenn dann auch noch die Gewährleistung über zwei Jahre, eine Mobilitätsgarantie, ein Rückgaberecht bei versteckten Mängeln und das Wissen dazukommt, dass es sich um einen vertrauenswürdigen Händler und ein grundsätzlich zuverlässiges Fahrzeug handelt, verliert der Kauf eines Gebrauchtwagen den zweifelhaften Ruf, ein Glücksspiel zu sein.

Das wird auch Zeit. Denn in der Tat mehren sich die Anzeichen dafür, dass die jungen Gebrauchten eine gute [foto id=“98318″ size=“small“ position=“left“]Chance bekommen werden, fürs Neuwagengeschäft einzuspringen. Zu groß ist der Wertverlust beim Neuwagenkauf. Wer sein neues Auto vom Hof des Händlers fährt, hat schon einmal fast ein Viertel des Neuwagenpreises verloren. Bei jungen Gebrauchten sieht die Entwicklung des Restwerts viel sympathischer aus.

Doch bei jedem Gebrauchten gilt für den Käufer ebenso wie für den Händler: Jeden Tag verfällt der Wert ein bisschen mehr. Die Experten rechnen beim Händler mit 15 Euro Wertverlust und Kosten pro Standtag eines Autos. Bestandmanagement kann also Kosten sparen. Die Studie empfiehlt dem Handel auch deswegen, sich sehr genau anzusehen, wie die Prozesse im Unternehmen sich verbessern lassen.

Das beginnt beim Ankauf, bei dem die Inzahlungnahme nicht als Extrarabatt für einen Neuwagenkauf verstanden wird, sondern sich an marktgerechten Preisen orientiert. Es geht weiter über die perfekte Aufbereitung des Gebrauchten, seine Präsentation, seine Standzeit und die Verkaufspreisgestaltung.

Viele Händler handeln heute schon so oder ähnlich. Zumindest haben sie Teile eines solchen Gesamtkonzepts bereits umgesetzt. Sie würden sich nicht so ins Zeug legen, wenn ihnen das geschäftlich nichts bringt. Aber der Weg zu einem umfassenden Konzept für das Gebrauchtwagengeschäft ist noch weit, die Zeit allerdings wird knapp. Denn das nächste Frühjahr kommt bestimmt – samt Neuwagen-Absatzkrise.

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Gast auto.de

August 21, 2009 um 9:17 pm Uhr

Das Vertrauen der Käufer ist ja durch die Politik z.T. verringert worden, indem man im neuen "Brief" die Vorbesitzer nicht mehr sieht, die man früher ja noch fragen konnte.

In einem konkreten Fall hatte ein "Fähnchen"-Händler den Tacho um 100k km zuzückgestellt und über eine Kurzzulassung für einen neuen "Brief" gesorgt. Da ich noch den alten originalen gesehen hatte, war ich im Vorteil, und hatte Abstand genommen

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