Hintergrund: Maut für lebensgefährliche Brücken?

Dass ein Gotteshaus in Schieflage gerät oder gar ein großes Gebäude urplötzlich einstürzt, damit mussten sich Kölns Bürger abfinden, seit sich die Stadt den milliardenschweren Bau einer neuen U-Bahn gönnte. So krachte am 3. März 2009 wie aus heiterem Himmel das sechsstöckige Stadtarchiv samt zweier benachbarter Wohngebäude zusammen und riss zwei Menschen in den Tod. Vier Jahre zuvor hatte sich der Turm der über 1000 Jahre alten Kirche St. Johann Baptist selbstständig gemacht und gefährlich zur Seite geneigt. Verantwortlich war ein Versorgungsschacht zur unterirdischen Straßenbahn in den Tiefen des Kirchenfundaments. Zum Glück konnten Hydraulikpressen den „Schiefen Turm von Köln“ 2005 wieder aufrichten.

Jetzt droht der Domstadt weiteres Ungemach, dessen Folgen zurzeit aber überhaupt noch nicht abzusehen sind. Einziger Trost: An der U-Bahn liegt es diesmal nicht.

Es ist der außerordentlich starke Schwerlastverkehr auf dem nördlichen Kölner Autobahnring und damit auf der Leverkusener Brücke über den Rhein, der für Probleme sorgt. Täglich überqueren hier im Schnitt 20 000 Lastwagen den Fluss, der überwiegende Teil im Fernverkehr von Norddeutschland in den Süden der Republik und umgekehrt, der Rest mit Gütern für die unmittelbar links- und rechtsrheinisch gelegenen Gewerbegebiete, wo neben vielen anderen Unternehmen die beiden Großkonzerne Ford und Bayer Autos, Motoren und Chemie produzieren.

Die Leverkusener Brücke an der A1, eine der Hauptschlagadern des Straßenverkehrs in Deutschland, sollte frühestens 2025 grundlegend saniert oder sogar neu gebaut werden. Ihre Montage begann 1962, die Einweihung geschah am 5. Juli 1965. Das insgesamt 1061 m lange Bauwerk sollte laut Plan und den alten Maßstäben der 1960er Jahre eigentlich rund acht Jahrzehnte halten. Doch das Material alterte schneller als gedacht. Hauptgrund: der Schwerverkehr. So verursacht ein einziger Lastwagen nach Schätzungen des Landesbetriebs Straßen NRW auf einer Brücke so viele Schäden wie 180 Pkw.

Kein Wunder, dass sich der Rheinübergang zwischen Köln und Leverkusen seit geraumer Zeit zum Sorgenkind der Autobahnmeisterei entwickelte. Jetzt stellten deren Fachleute zu allem Überfluss an sieben von 180 bereits in Angriff genommenen Reparaturstellen gefährliche Brüche am maroden Bauwerk fest. Sie sind so schlimm, dass die Brücke möglicherweise komplett abgerissen und weit früher als gedacht durch eine neue ersetzt werden muss. Geschätzte Zeit für ein solches Projekt: mindestens vier Jahre, Kosten: 200 Millionen Euro.

Die derzeitige Situation erscheint den Verantwortlichen so gefährlich, dass sie NRW-Verkehrsminister Michael Groscheck höchstpersönlich nach Leverkusen einluden, damit der sich selbst ein Bild von den Schäden machen konnte. Was er zu seinem Schrecken sah, waren klaffende Risse in den Hauptträgern, von denen die komplette Stabilität der Brücke abhängt. Schnelles Handeln ist gefragt.

Als erstes sperrte die Polizei die Brücke für alle Fahrzeuge mit einem Gewicht von mehr als 3,5 Tonnen. Für Liefer- und Lastwagen, aber auch für schwere Wohnmobile bedeutet das, große Umwege von 30 bis 40 Kilometer auf dem bereits jetzt völlig überlasteten Kölner Autobahnring in Kauf zu nehmen. Denn neben der Leverkusener führt in der Umgebung lediglich jeweils im Düsseldorfer und im Kölner Süden eine Autobahnbrücke über den Rhein. In den ersten Tagen nach der Sperrung, die anfangs nur von wenigen Lastwagenfahrern ernst genommen wurde, donnerten pro Stunde immer noch bis zu 200 Laster vor den Augen der Polizei, die mit der Verteilung von Strafmandaten zu 20 Euro das Stück nicht mehr nachkommen konnte, über die Brücke.

Andere Laster wählten als Abkürzung den Weg quer durch die Kölner Innenstadt. Keine gute Idee: Einer riss dabei mit seinen Aufbauten eine beträchtliche Strecke Oberleitung der Straßenbahn ab. Nach umfangreichen Untersuchungen teilte das NRW-Verkehrsministerium am Freitagabend (7. Dezember 2012) mit, dass die Brücke doch noch so weit repariert werden kann, sodass sie ab dem späten Frühjahr wieder für Lastwagen befahrbar ist. Der notwendige Neubau wird um fünf Jahre vorgezogen.

Marode Brücken sind in Deutschland keineswegs eine Seltenheit. Allein in Nordrhein-Westfalen weist jeder dritte der 400 Übergänge an Autobahnen mehr oder weniger große Schäden auf. Jan Schneider, Landesbetrieb Straßen NRW, erklärt: „Wir kontrollieren die Brücken zweimal im Jahr. Einmal im Jahr werden sie durch die Autobahnmeisterei besichtigt, alle drei Jahre gibt es eine kleine Prüfung und alle sechs Jahre eine große Hauptprüfung, bei der alle Schäden besichtigt werden.“ Kontrolle ist gut, sofortige Sanierung wäre besser. Inzwischen aber ist es mancherorts mangels Geld zu spät.

Nach Recherchen des Westdeutschen Rundfunks in Köln sind in Nordrhein-Westfalen folgende Autobahnbrücken auf den wichtigsten Strecken so kaputt, dass eine Reparatur teurer käme als ein Neubau:

• A1, Rheinbrücke Leverkusen • A1, Liedbachtal • A1, Dütebrücke • A1, Exterheide, Smanforde, Habichtswald, Emsbrücke, Emsumflut • A3/A46, Autobahnkreuz Hilden • A4/A544, „Überflieger“ Autobahnkreuz Aachen • A45, Lennetalbrücke • A45, Talbrücke Rinsdorf • A45, Talbrücke Brunsbecke • A57, Dormagen • A59, Porz-Wahn • A565, Tausendfüßler Bonn

„Wir haben unsere Infrastruktur im Westen sträflich vernachlässigt und brauchen dringend ein neues Investitionsprogramm“, meint Minister Groscheck. „In Deutschland fehlen Jahr für Jahr siebeneinhalb Milliarden Euro allein für den Erhalt von Straßen und Brücken. Da sind Neubaumaßnahmen noch gar nicht berücksichtigt. Das wird nur funktionieren, wenn wir über zusätzliche Mauteinnahmen reden. Diese Diskussion darf nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden.“ Allein zur Instandhaltung der Autobahnbrücken fehlen im bevölkerungsreichsten Bundesland 3,5 Milliarden Euro.

Martin Mertens, Professor für Bauingenieurwesen an der Universität Bochum, weiß, dass Sparsamkeit bei der Brückenpflege teuer werden kann: „Es gibt viele Verschleißteile an Brücken. Dazu gehören etwa Beläge und Abdichtungen. Die müssen regelmäßig erneuert werden. Wenn man das nicht tut, kann es zu Schäden an der Konstruktion selbst kommen, und das kostet dann richtig Geld.“

Oder Menschenleben.

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