Indian gehört zu den Legenden unter den Motorradherstellern. Mit der Scout Sixty haben die Amerikaner im aktuellen Modelljahr einen Einstiegs-Cruiser im Programm, der viel Motorrad zum vergleichsweise moderaten Preis bieten soll. Ob das geklappt hat, zeigt der Fahrbericht.
In Sachen Optik gibt es erstmal nichts zu meckern. Die Scout Sixty ist wie die hubraumgrößere Schwester ein stilistisch einwandfreier Cruiser. Flache Linie, klassische Anmutung. Nur der V2 ohne Kühlrippen wird Traditionalisten sicherlich ein Dorn im Auge sein. Aber hier verfolgt Indian eine klare und nachvollziehbare Linie. Denn Retro-Look muss ja nicht heißen, dass moderne Technik - in diesem Fall der flüssigkeitsgekühlte Motor - zwingend auf alt getrimmt und hier mit Show-Kühlrippen versehen sein muss.
Viel spannender ist ja auch das, was das Aggregat zu leisten vermag. Mit 57 kW/78 PS und 89 Newtonmeter maximalem Drehmoment ist der V2, der mit seinen 60 Cubic Inch, also 999 Kubikzentimetern, Namensgeber der Scout Sixty ist, natürlich kein Rennmotor. Das soll er ja auch gar nicht sein - auch wenn die Ur-Scout (1919 bis 1949) auf eine beeindruckende Renn-Karriere zurückblickt. Die neue "kleine" Scout ist ein flotter Cruiser, allerdings nicht ganz so agil wie die große Schwester mit 1.131 Kubik. Hier machen sich der etwas geringere Hubraum und vor allem die fehlenden 22 PS bemerkbar - was aber nicht heißt, dass man mit der Maschine keinen Spaß haben kann. Vielleicht lässt sich das Bike nicht ganz so schaltfaul bewegen, wie die stärker motorisierte Scout, aber dennoch ist sie recht agil. Und mit knapp unter sechs Liter Sprit je 100 Kilometer im Alltagsbetrieb nicht allzu durstig. Trotz ihres Gewichts von rund 250 Kilogramm. Dazu kommt - was Cruiser-Fans echte Freude bereiten sollte - ein umfangreiches Individualisierungsprogramm, etwa Draht-Speichenräder, verschiedene Lenker oder ein gefederter Sattel, wie Indian ihn schon in den 1920ern bei der Scout benutzt hatte. Der ist dank der etwas erhöhten Sitzposition etwas gewöhnungsbedürftig, sieht aber klasse aus. Ohne Umbauten sorgt die niedrige Sitzhöhe in Kombination mit den recht weit vorne montierten Fußrasten für ordentlichen Fahrkomfort. Egel welcher Sitz montiert ist - die Scout Sixty mit ihrem niedrigen Schwerpunkt bietet ein ausgewogenes Fahrwerk, das nur bei sehr zügig überfahrenen tieferen Querrillen etwas unruhig wird. In der Regel wird man mit der Scout aber gemächlich unterwegs sein, so dass alles im grünen Bereich ist. Und auch bei schneller Autobahnfahrt lässt sich die Scout Sixty problemlos handeln. Klar, bei Tempo 150 wird es windig um die Ohren beziehungsweise den Helm, aber das ist auf allen anderen Cruisern auch nicht anders.
Auf dem Boulevard stört das jedenfalls niemanden, und hier punktet die Indian dank Ihrer eigenständigen Optik gewaltig. Anders als viele Konkurrenten, versucht Indian eben nicht, "auf Harley zu machen". Das gefällt nicht jedem, sorgt aber dafür, dass man jenseits des Einheitslooks unterwegs ist. Gut so, denn ein bisschen Show gehört bei Cruisern ja dazu. Viel Chrom, weit heruntergezogene Schutzbleche, Guss-Speichenräder und ein zwar mit Digitalanzeigen aufgerüstetes, aber optisch klassisches Rundinstrument, sorgen für einen lupenreinen Auftritt, der die meisten Betrachter sicher nicht vermuten lässt, dass sie eine nagelneues Motorrad vor der Nase haben.
Wer den Einstieg in die Cruiser-Welt mit einer amerikanischen Traditionsmarke begehen möchte, muss für die Indian Scout Sixty mindestens 11.990 Euro investieren. Das ist kein Sonderangebot, aber dafür bekommt man eine Maschine, die Spaß macht - und die nicht an jeder Straßenecke zu sehen ist.