Interview: “Milliarden für die Elektro-Mobilität“

Über kaum ein anderes Thema wird momentan in der Zweirad-Branche so heiß diskutiert wie über elektrisch angetriebene Motorräder und Roller. Hendrik von Kuenheim, Leiter BMW Motorrad, erklärt im Interview, warum die Münchener trotzdem auf einen Roller mit Verbrennungsmotor setzen. Auf der EICMA in Mailand Anfang November soll er erstmals gezeigt werden.

Frage: Auf dem Autosalon in Paris hat BMW den Elektro-Roller Mini E Concept gezeigt und die Elektro-Rollerstudie des C 1 soll jetzt sogar gebaut werden, sagt man. Setzt BMW bei Zweirädern verstärkt auf alternative Antriebe?

Kuenheim: Wir untersuchen, ob sich so etwas wie der C 1 als Elektro-Roller wirtschaftlich umsetzen lässt. Der C 1 mit Verbrennungsmotor ist das sicherste Zweirad, das es je gegeben hat. Er hatte konzeptionell einige Nachteile, die wir beim Prototyp mit Elektroantrieb weitestgehend beseitigt haben. Dennoch erfordert das Fahren mit einem Elektro-Fahrzeug einen Umerziehungsprozess. Mental fahren Sie immer auf Reserve, weil Ihnen nach heutigem Stand der Batterietechnik nur eine Reichweite von rund 50 Kilometern zur Verfügung steht. Wer damit nur zur Arbeit fährt, dem wird das reichen. Der Mini E-Roller ist eine ganz andere Idee. Die Marke Mini zeigt damit, dass sich Mini Lifestyle und Mini Design auch auf einen Scooter übertragen lassen. Wenn meine Kollegen im Vertrieb und Marketing Mini so ein Produkt fordern, dann wird BMW Motorrad so einen Roller umsetzen.

Frage: Auch weil andere Pkw-Hersteller auf Elektro-Zweiräder setzten und BMW den Zug nicht verpassen will?

Kuenheim: Im Jahre 2013 wird nahezu jeder Automobil-Hersteller mit einem Elektro-Pkw auf den Markt sein. Alle haben bis dahin Milliarden in die Elektro-Mobilität investiert. Bei diesen Investitionen in die Zukunft weiß aber niemand, ob der Kunde das jeweilige Produkt auch annehmen wird. Das gilt natürlich auch fürs Motorrad. Allerdings auf einem anderen Niveau, Motorrad-Unternehmen können sich keine Milliarden-Investitionen leisten. Das Motorrad lebt darüber hinaus auch von seiner Dynamik, vom Sound, dem Gefühl, von der Möglichkeit, am Wochenende einfach mal so in die Alpen zu fahren. Ein Elektro-Motorrad wird das nicht leisten können. Die Elektro-Mobilität wird sich daher auf die Stadt konzentrieren. Sie lohnt sich für den, der in der Stadt wohnt und dort arbeitet und mit seinem Zweirad nicht aus der Stadt heraus will. In Großstädten wie Mailand oder Barcelona fahren die Menschen im Schnitt täglich 35 bis 40 Kilometer. Ein Produkt anzubieten, das nur alle zwei Tage oder am Arbeitsplatz aufgeladen werden muss, und mit dem sie vielleicht 80 oder 90 Kilometer fahren können, ist eher machbar.

Frage: Dem Elektro-Motorrad geben Sie keine Chance?

Kuenheim: Das sehe ich nicht, zumindest nicht in naher Zukunft. Stellen Sie sich vor, Sie möchten am Wochenende einfach mal in den Alpen ein paar Pässe genießen oder mal schnell zum Gardasee fahren. Betrachtet man die heutigen Möglichkeiten bei den Speichertechnologien, ist das mit dem Elektro-Motorrad wohl noch auf viele Jahre hinaus gesehen nicht darstellbar. Natürlich entwickelt sich die Batterietechnik weiter. Bereits heute funktionieren Nachfolgetechnologien der Lithium-Ionen-Energiespeicher mit höheren Energiedichten im Labor. Ein Elektro-Motorrad in Großserie, das mehr als 100 Kilometer Reichweite hat und mit dem sie sportlich auf der Straße unterwegs sind, sehe ich in den nächsten Jahren nicht.

Frage: Was ist dann derzeit machbar?

Kuenheim: Die Erwartungshaltung des Kunden geht in Richtung 100 Kilometer Reichweite, obwohl er nur 35 Kilometer fährt. Dann will er Spitzengeschwindigkeiten bis 120 km/h, damit er auf der Stadtautobahn auch mal einen Lkw überholen kann. Um diese Erwartungen zu erfüllen, brauchen sie eine installierte Speicherkapazität von mindestens sieben Kilowattstunden. Eine Kilowattstunde kostet heute 900 Euro. Dann brauchen sie noch einen Elektromotor, Leistungselektronik, ein Fahrwerk und eine Karosserie. Verdienen wollen der Hersteller und die Händler auch noch etwas. Der Kunde bekäme dann ein Produkt mit dem Leistungsniveau eines 250er Rollers für den Preis eines 600er Big-Scooters – zahlt also statt vielleicht 3 000 bis 4 000 Euro über 10 000 Euro. Das ist die große Problematik. Technisch ist das umsetzbar – schon heute. Nur finden sie mal genügend Kunden, die ein so umweltbewusstes Denken haben, dass sie bereit sind, das Drei- oder Vierfache für so ein Produkt auszugeben.

Frage: Die ersten Großbild-Fernseher haben auch 5 000 Euro gekostet, heute stehen sie in jedem Haushalt. Technik entwickelt sich und wird preiswerter?

Kuenheim: Es ist absehbar, dass die Speicherbatterien preiswerter werden. In fünf Jahren kostet eine Kilowattstunde vielleicht nur noch 300 Euro. Wenn sich dann noch der Kunde mit vielleicht 60 Kilometer Reichweite zufrieden gibt, also nur fünf Kilowattstunden im Fahrzeug benötigt werden, und wenn die Politik Kaufanreize schafft, dann kommt man in einen Bereich, wo sich so ein Produkt durchsetzen könnte.

Frage: Das sind aber einige Wenn?

Kuenheim: Wir haben momentan solche „Wenn und Aber“ fahrtechnisch in der Erprobung auf der Teststrecke. Es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns und wir müssen uns klar sein: Am Anfang wird die Elektro-Mobilität im Zweiradbereich eine wahre Geldvernichtungsmaschine sein. Das können sich nur wenige Unternehmen leisten. Ich glaube, der Öffentlichkeit wird im Augenblick etwas vorgemacht. Wissen Sie zum Beispiel, wie viele Werkstätten in Deutschland in der Lage sind mit Hochvolttechnologie umzugehen? Das können Sie an zwei Händen abzählen. Da sind noch immense Investitionen in die Infrastruktur, die Händler und die Ausbildung nötig, damit der Umgang mit den Batterien gelernt wird.

Frage: Welche Investition in die Zukunft ist für BMW wichtiger, die in Fahrzeuge wie das Sechszylinder-Motorrad K 1600 oder in die Elektro-Roller Mini E Concept und C 1-E?

Kuenheim: Wir sind ja keine Idealisten, wir sind erst einmal ein Erwerbsunternehmen mit rund 100 000 Mitarbeitern, das Automobile und Motorräder produziert, die der Kunde auch kauft. Deshalb betreiben wir intensives Produkt-Marketing und bieten Fahrzeuge wie die K 1600 GT oder im vergangenen Jahr die S 1000 RR an. Wir orientieren uns dabei nicht nur an der Meinung rund um München, sondern auch daran, was der Kunde in Kapstad oder in Toronto haben will. Wir exportieren etwa 82 Prozent unserer Produkte weltweit. Die Welt ist unser Heimatmarkt. Die K 1600 GT ist das Heute, und das wird uns die nötigen Deckungsbeiträge in den nächsten Jahren bringen, damit wir uns auch die Vorinvestition wie zum Beispiel in eine Elektro-Mobilität leisten können.

Frage: Seit rund einem Jahr gibt es Spekulationen um einen BMW-Roller. Ist das einer der beiden Elektro-Prototypen?

Kuenheim: Weder noch. BMW arbeitet sehr intensiv an Produkten, die den urbanen Bereich abdecken. Die Zukunft ist hier sehr nah und bald spruchreif. Wenn BMW so ein Segment angeht, dann schauen wir genau hin, wohin so ein Fahrzeug passt. Mit Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland deckt man rund 80 Prozent des europäischen Marktes ab. Dann muss so ein Fahrzeug natürlich zu BMW passen. Also, BMW wird keine 50er Roller bauen. Das Fahrzeug muss BMW adäquat fahren, und es muss über eine BMW adäquate Sicherheit verfügen. Wenn, dann kommen wir mit einem für BMW typischen Roller.

Das Interview führte Norbert Meiszies.

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