Katherine Legge im Portrait: Das Köpfchen zählt

(adrivo.com) Noch ist die Welt in Ordnung. Katherine Legge liegt beim ChampCar-Rennen in Road America auf dem sechsten Platz, biegt in eine Rechtskurve ein und verliert urplötzlich den Anpressdruck. Teile des Heckflügel fliegen davon, Legges Auto dreht sich bei 260 km/h, schlägt rückwärts in die Mauer ein. "Oh oh, das ist nicht gut", schießt es ihr in den Sinn. Das Auto hebt wie eine Rakete am Fangzaun ab, überschlägt sich und wird in tausend Teile zerschmettert.

Wenig später steht die Britin vor dem Medical Centre, lächelt in die Kameras, winkt den Fans und ungläubig staunenden Paddockbewohnern. "I’m a bit shaken", sagt sie. "Aber ansonsten ist alles okay." Am liebsten würde sie sofort wieder in ein Auto steigen und das Rennen beenden. "Bullenreiten ist sicher gefährlicher", scherzt sie. Während des Unfalls hatte sie die Augen die meiste Zeit geschlossen, zwischenzeitlich sah sie nur wie der hintere Fahrzeugteil mit dem Motor wegflog. "Was ich gut fand, weil Flammen daraus schlugen. Ich habe mir die Knie angestoßen, das gibt sicher ein paar böse blaue Flecken, die heute Nacht nicht besonders schön anzusehen sein werden." Für sie war es der dritte heftige Unfall in einem Rennwagen; und der schlimmste. "Es heißt immer: man hat drei, also bin ich hoffentlich jetzt damit durch."

Mit dem Rennfahren ist sie noch lange nicht fertig. Ihre Anfänge liegen wie so oft im Kartsport. Danach kämpfte sie sich durch diverse britische Rennserien wie die Formel Ford, Formel Renault und die Formel 3. Über die ChampCar Atlantic Serie arbeitete sie sich in die ChampCar World Series vor, in der sie 2006 und 2007 für PKV und Dale Coyne Racing antrat. Ende 2007 wagte sie einen Ausflug in unbekannte Gefilde: in Spanien testete sie für Audi erstmals einen DTM-Boliden. "Ich bestreite nicht, dass ich mich in Gesprächen mit Audi befinde", sagt sie, "aber ich spreche auch mit anderen und habe derzeit mit niemandem einen Vertrag." Noch wägt sie ihre Optionen ab, wobei sie ein Verbleib im Formelsport mehr reizt. Den DTM-Test habe sie genossen, sich gut an das Auto gewöhnt und den ganzen Testtag die schnellste Zeit gesetzt.

Mit Bestzeiten und ersten Siegen kennt sich Legge (gesprochen ‚Leg‘) aus. Im Jahr 2000 errang sie als erste Frau eine Pole Position in der Formel Ford. Ein Jahr später unterbot sie einen Rundenrekord eines gewissen Kimi Räikkönen. 2005 gewann sie auf Anhieb ihr erstes ChampCar Atlantic Rennen in Long Beach und wurde damit die erste Frau, die ein wichtiges Formelrennen in Nordamerika gewinnen konnte. Im gleichen Jahr durfte sie als erste Frau einen A1GP-Boliden testen. Im Juni 2006 führte sie als erste Frau ein ChampCar-Rennen an.

Ein gutes halbes Jahr zuvor verband sie ein weiteres erstes Mal mit einem letzten Mal. Im italienischen Vallelunga gab Minardi-Teamchef Paul Stoddart der Britin die Chance, einen Minardi F1-Boliden zu testen. Damit wurde sie die erste Frau seit 1992, die ein F1-Auto fahren durfte. Zugleich war es der Abschluss einer ganzen Ära: es war der letzte Test des Minardi Teams vor der Umbenennung in Scuderia Toro Rosso.

Auf nasser und kalter Bahn verlor Legge auf ihrer ersten Runde die Kontrolle über das Auto, drehte sich und berührte leicht die Mauer – aber kein Vergleich zu ihrem ChampCar-Unfall im darauffolgenden Jahr. "Es war großartig zum ersten Mal ein F1-Auto zu fahren, auch wenn ich die Traktionskontrolle auf die harte Weise kennen lernen musste", nahm sie es mit Humor. Ihren Test verschob das Team aufgrund der leichten Beschädigung des Boliden auf den nächsten Tag, an dem sie 27 ausrutscherfreie Umläufe absolvierte. "Am wichtigsten ist es, schnell zu denken", bilanzierte sie. "Die Muskeln zählen nur bis zu einem gewissen Punkt. Es ist nicht wahr, dass es für eine Frau anstrengender ist, ein F1-Auto zu fahren. Was wirklich zählt, ist der Kopf."

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