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Lancia
Fiat-Chef Sergio Marchionne bemüht die Tradition: Es gibt wieder eine Lancia Flavia. Was nach einem völlig neu entwickelten Modell klingt, ist jedoch in Wahrheit nur ein umetikettierter Chrysler 200 – seinerseits eine Ableitung des reichlich mittelmäßigen Sebring. Woran will die neue Flavia eigentlich anknüpfen?
Vor gut fünfzig Jahren, als die ersten Modelle der Flavia-Baureihe in Turin vom Band rollten, konnten viele Deutsche jedenfalls kaum etwas mit der Nobelmarke Lancia anfangen. Einen nennenswerten Vertrieb gab es nicht; ein gewisser Bekanntheitsgrad stellte sich erst ein, nachdem der elitäre und innovative Hersteller von Fiat übernommen wurde. Die Baureihen Beta, Gamma und Delta prägten das Image einer exklusiven, designorientierten Marke; der sportliche Anspruch [foto id=“430570″ size=“small“ position=“left“]wurde durch Fulvia, Stratos und den Delta Integrale formuliert. Fünfzehn, zwanzig Jahre lang genoss Lancia auch in Deutschland die Aufmerksamkeit arrivierter Individualisten.
Dann begann ein langer Abstieg, induziert durch stilistische Missgriffe und eine verfehlte Modellpolitik, die sich etwa darin äußerte, dass auf einmal kein Lancia mehr sportlich sein durfte: Dies war nun die Domäne der Schwestermarke Alfa Romeo. Die Verkäufe fielen ins Bodenlose, getragen wurde die Marke praktisch nur noch durch den Ypsilon – einen Kleinwagen, der in der Tradition der Lancia erst spät zugefallenen Marke Autobianchi steht. Jetzt also Chrysler-Produkte: Das kann eigentlich nicht der Abschluss sein, allenfalls eine Zwischenstation, um die Marke über bittere Zeiten hinwegzuretten. Wir haben ein paar Tage mit einem klassischen Flavia Coupé verbracht, um zu erfahren, worauf das neue Modell sich eigentlich beruft.
Abgeleitet war der Zweitürer von der 1960 vorgestellten Flavia Limousine – einem erst bei genauem Hinsehen innovativen Viertürer. Es waren Details wie die eigenwilligen Rückleuchten und das futuristische Interieur, die das Modell von der gewöhnlichen Konkurrenz abhoben. Kurz darauf trat das von Pininfarina gezeichnete Coupé auf den Plan, und schließlich folgte ein Cabriolet – gemein war allen dreien die charakteristische Front mit fünfeckigem Lancia-Grill und weit oben platzierten, aggressiv wirkenden Doppelscheinwerfern. Auch beim Coupé fielen die tief und horizontal angeordneten [foto id=“430571″ size=“small“ position=“right“]Heckleuchten auf – keine besonders hübsche Lösung, aber eine außergewöhnliche, die den Lancia auf den ersten Blick von den anderen Coupé-Entwürfen von Pininfarina, etwa für Ferrari und Peugeot, unterscheidet.
Das Interieur des Coupé beeindruckt durch perfekte Verarbeitung und die sehr hochwertigen Materialien. Das Armaturenbrett, weitaus klassischer als bei der viertürigen Flavia gezeichnet, verdient allemal seinen Namen, die verchromten Schalter wirken hochwertig – und bei unserem Fahrzeug nach fast 50 Jahren noch immer nicht verschlissen. Gestartet wird per Knopfdruck auf den eingefädelten Zündschlüssel – das noch kalte Aggregat erwacht nach wenigen Umdrehungen zum Leben und verfällt in einen dunklen, leicht pochenden Leerlauf. Unter der Haube steckt ein knapp 90 PS starker 1,8-Liter-Vierzylinder-Boxer, der Lancia-typisch die Vorderräder antreibt. Das Viergang-Getriebe schaltet sich leicht und ausreichend exakt, an die langen Schaltwege muss man sich allerdings erst einmal gewöhnen. Und eine gründliche Einweisung in die Schalterbatterie an der Armaturentafel ist dringend geboten, denn die Beschriftung lässt zu wünschen übrig. Wo genau die Beleuchtung oder die Scheibenwischer eingeschaltet werden, ist mit reiner Logik kaum zu erschließen.
Ist der Motor erst einmal warmgelaufen, empfiehlt sich die Flavia als hervorragendes Reiseauto, wenngleich sich ihre sportlichen Ambitionen in Grenzen halten. Überschäumendes Temperament ist der Flavia fremd, doch die Geräuschkulisse ist so leise, dass lange Fahrten zum Genuss werden. Der Motor agiert elastisch und erlaubt schaltfaules Fahren, Hochgeschwindigkeitsfahrten dürften das Aggregat allerdings über Gebühr strapazieren. Gut 160 km/h sind im Extremfall drin, wer aber noch lange Freude an diesem Klassiker haben will, lässt es mit 120 bis 130 km/h sein Bewenden haben.
In forsch gefahrenen Kurven entpuppt sich die Flavia als ausgeprägter Untersteurer, der Grenzbereich kündigt sich frühzeitig an. Das Coupé bietet einen erstaunlich ausgewogenen[foto id=“430572″ size=“small“ position=“left“] Kompromiss aus Komfort und angenehmer Straffheit – und eine im Konkurrenzumfeld bemerkenswerte Präzision im Fahrverhalten, die ihrer aus Amerika importierten Nachfahrin nicht schlecht anstünde. Die Sitze bieten ausreichend Seitenhalt.
Der große Kofferraum prädestiniert das Flavia Coupé ebenso zum Gran Turismo wie die luftige Kabine, die Reisen zum Genuss werden lässt. Eine Klimaanlage gab es damals nicht, die Kabine heizt sich allerdings auch nicht so rapide auf wie heutige Autos mit ihren riesigen Glasflächen. In der Stadt ist das lange Coupé übrigens so übersichtlich, dass man das aufgeregte Piep-Konzert moderner Einparkhilfen zu keinem Zeitpunkt vermisst.
Wer mit dem zurückhaltenden Temperament leben kann, für den könnte eine Flavia noch heute auch im Alltag funktionieren. Aber das Auto ist selten und eigentlich zu schade, um auf Kurzstrecken und bei jedem Wetter verschlissen zu werden. Die gebotene passive Sicherheit dürfte inzwischen ebenfalls als Minuspunkt zu werten sein, wenngleich das solide verarbeitete Coupé in seiner Zeit zu den besseren Fahrzeugen seiner Kategorie gehörte.
Sicher ist jedoch, dass der charaktervolle Italiener damals wie heute durch Individualität und Charakter aus der Masse herausragt. Tugenden, die man auch seinem aktuellen Nachfolger wünschen mag.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 14.08.2012 aktualisiert am 14.08.2012
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