Kommentar: Deutschland – die Autofahrernation?

Ist Deutschland noch eine Autofahrernation? Wer über diese Frage nachdenkt, wird sie wohl zumindest intuitiv mit „Ja“ beantworten. Hierfür sprechen gute Gründe, die sich nicht nur in den allmorgendlich kilometerlangen Staus zur Arbeit zeigen.

Obwohl diverse Umfragen hierzulande einen Trend weg vom eigenen Auto prognostizieren, nutzen 85 Prozent der Menschen in Deutschland einen Pkw, um mobil zu bleiben. Ein europaweit überdurchschnittlich hoher Wert, auch wenn Litauen mit einem Auto-Anteil von 91 Prozent diesen noch übertrifft. Im baltischen Staat spricht vor allem Pragmatismus für die Nutzung des eigenen Autos, wegen der kleinen Distanzen ist die Autofahrt mitunter schneller als die Bahnfahrt mit ihren festen Abfahrtszeiten. Im großflächigen Deutschland spiegelt der Individualverkehr einerseits ein Gefühl von Freiheit, Wohlstand und Komfort wider, den so nur das Steuer in der eigenen Hand bieten kann.

Andererseits trägt der hierzulande notorisch unzuverlässige öffentliche Verkehr dazu bei, dass Autofahrer sich lieber Stoßstange an Stoßstange drängeln als in überfüllten Zügen oder auf kalten Bahnhöfen.Für die Autofahrernation Deutschland spricht auch der Fakt, dass man hierzulande das Kraftfahrzeug zu schätzen weiß. Nicht nur die Erfindung des motorisierten Autos stammt aus der Bundesrepublik, die wichtigsten Autobauer sind hier angesiedelt und genießen ein weltweit großes Renommee. „Made in Germany“ ist einmal mehr ein Qualitätsbegriff, den man er-„fahren“ möchte – in China genauso wie in Brasilien oder den USA. Die zahlreichen Beschäftigten in der Automobilindustrie hierzulande freut es, ist es doch der Lohn jahrelanger Arbeit. Doch für sie ist es nicht nur Statussymbol, sondern auch Zubrot. Selbst wenn die Hersteller immer häufiger im Ausland produzieren wollen, bleibt die Branche einer der wichtigsten Arbeitgeber. Und schon das schweißt zusammen – und macht eine ganze Nation zum Vierradfan.

Allen Unkenrufen, Statistiken und Umfragen zum Trotz bleibt Deutschland also die Autofahrernation schlechthin. Ein hoher Pkw-Anteil, ein in vielen Teilen verbesserungswürdiger Bus- und Bahnverkehr sowie ein unbändiges Freiheitsgefühl werden dafür sorgen, dass dieser Titel auch in absehbarer Zeit im Land bleibt. Benjamin Palm/mid

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