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Lancia
Das endgültige Aus für MG/Rover kam 2005, Anfang 2012 traf es Saab und nun stirbt mit Lancia ein weiterer traditionsreicher Autohersteller. Das unrühmliche Ende der Marken mit großer Geschichte resultiert jedoch nicht aus unerklärlichen Fügungen des Schicksals oder aus dem plötzlichen Abwenden der Kunden. Die Todesursache eines Autobauers ist stets die Folge von wirtschaftlichem Missmanagement. Bei Lancia darf wenigstens der Name vorerst weiterleben.
In der 127-jährigen Geschichte des Automobils bildet das Sterben von Automarken nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Rund 2 500 Automibilhersteller wurden bis heute registriert. Die überwiegende Mehrheit hat nicht einmal einen Hauch von wahrnehmbaren Molekülen in der Auto-Chronik hinterlassen. Wer weiß schon noch, dass beispielsweise der deutsche Haushaltsgerätehersteller Miele zwischen 2. April 1912 und 26. Februar 1914 rund 130 Autos gebaut hat? Es ist wenig verwunderlich, dass zahllose Exoten und Manufakturen mangels Masse oder vermarktungsfähiger Produkte nach wenigen Monaten wieder von der Bildfläche verschwanden. Schlagzeilen schrieben nur die großen Namen.
MG/Rover oder Saab waren nur die jüngsten Beispiele von abgewickelten Automarken. 2004 zog General Motors den Stecker bei der Konzerntochter Oldsmobile, der 1897 gegründeten, ältesten amerikanischen Automarke. 2010 eliminierten die Amerikaner auch Pontiac. Schon längere Vergangenheit ist beispielsweise Simca. 1934 gegründet, starb die Marke 1986 im Verbund mit Talbot, einem traditionsreichen Autobauer aus Frankreich. Auch in Deutschland verendeten bekannte Namen des Autobaus, und das sogar mitten im durchstartenden Wirtschaftswunder wie Borgward 1963 oder Glas 1969. Auch BWM stand Anfang der Sechziger unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Absturz.
Wenn sie scheitern, bewahrheitet sich stets die Regel, „der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“. Fehlentscheidungen bei Neuentwicklungen, verschlafene Technik-Trends, mangelhaftes Qualitätsmanagement oder das falsche Design, die Liste möglicher Ursachen für das Scheitern ist beliebig fortsetzbar. Meist gründet es auf mehreren Ursachen, wie sich anhand von Lancia exemplarisch nachvollziehen lässt.
Am 29. November 1906 gründete Vincenzo Lancia mit seinem Freund Claudio Foglio die Firma. Bereits ein Jahr später stellte er den „Alpha“ als erstes Modell vor. Die Modellbezeichnungen mit Buchstaben des griechischen Alphabets prägten bis zuletzt die Markentradition. Vincenzo Lancia war einer der innovativsten Techniker der frühen italienischen Autoindustrie. Der Hersteller hatte den Ruf, die „Marke der Ingenieure“ zu sein. Der „Theta“ von 1913 bot als erstes europäisches Auto serienmäßig eine elektrische Zündung und Beleuchtung. Den Bau und die Konstruktion von Fahrwerken und Chassis revolutionierte Lancia 1921 mit dem bis 1931 gebauten „Lambda“. Der Lancia Lambda war das erste Auto mit einem monocoqueartigen, selbsttragenden Chassis. Der Lambda verfügte zudem über die erste Vorderachse mit einer Einzelrad-[foto id=“442610″ size=“small“ position=“right“]Aufhängung an Schraubenfedern und mit hydraulischen Stoßdämpfern. Beide technischen Merkmale verbesserten in der Folge das Fahrverhalten von Autos signifikant.
Nach dem 2. Weltkrieg setzte Lancia die Tradition der technischen Innovationen fort. 1948 verbaute der Hersteller erstmals ein Fünfgang-Schaltgetriebe in einem Serienfahrzeug. Lancia fertigte auch den ersten V4-Motor in Serie und rüstete seine Autos rundum mit einzeln aufgehängten Rädern aus, und das zu einer Zeit, als die hintere Starrachse auch bei hochwertigen Fahrzeugen zum technischen Standard zählte. Bis Ende der Sechziger des letzten Jahrhunderts zeichneten sich Lancias durch hohe Exklusivität, technische Avantgarde und aufregende Formen aus. Wegen der kleinen Stückzahlen bei hohen Produktionskosten, drohte die Fertigung unrentabel zu werden. Die Leitung stellte dennoch die Qualität der Autos kompromisslos in den Fokus allen Engagements.
Lancia passte hervorragend in das Portfolio der Turiner. Die Produktpalette rundete das Angebot nach oben ab. Außerdem sollte Lancia die Speerspitze im motorsportlichen Auftritt des Konzerns bilden. Gemäß der technisch innovativen Markentradition baute Lancia das erste rein für den Rallye-Einsatz konzipierte Rennfahrzeug. Der Stratos war zwischen 1974 und 1976 praktisch unschlagbar und brachte der Marke auf Anhieb drei WM-Titel ein. Für den Renneinsatz entstanden aufgeladene Motoren, die bis zu 560 PS leisteten.
Bei den Serienfahrzeugen geriet Lancia durch die Konzernmutter zunehmend in den Strudel der Standardisierung, die zu Produkten führte, die formal wie technisch enttäuschten. Die Fans der Marke akzeptierten diese Entwicklung nicht. Daran änderten auch Projekte wie die 1985 vorgestellte Limousine „Thema“ für die obere Mittelklasse nichts. Selbst als Lancia den Thema 1987 mit einem 215 PS starken 3-Liter-V8 von Ferrari ausstattete, brachte das keinen entscheidenden Impuls. Abgesehen davon überforderte das ambitionierte Projekt die Kompetenz des gesamten Konzerns in den späten Achtzigern und damit auch die Geduld der Kunden. Die 215-V8-Pferde erwiesen sich als wenig hilfreich, um das zu generieren, was ein prominentes deutsches Fabrikat ohne Euphemismus als „Freude am Fahren“ bewirbt.
Seitdem blieb sich die Traditionsmarke Lancia nur in ihrem beständigen Bedeutungsverlust treu. Fanden 1998 noch 175 215 Kunden Gefallen an einem neuen Lancia, sank dieser Zuspruch 2010 auf 97 797 Fahrzeuge. Das führte zum Todesurteil 2012. Das 1911 entwickelte Markenlogo darf außerhalb der USA die verschiedenen Pkw und Vans von Chrysler aufwerten. Doch schon jetzt ist absehbar, dass dieser Etikettenschwindel nicht funktionieren wird. Und dann ist Lancia endgültig ein abgeschlossenes Kapitel in der Autogeschichte.
geschrieben von auto.de/(tl/mid) veröffentlicht am 13.11.2012 aktualisiert am 13.11.2012
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