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Gerade waren meinem Nachbarn auf der Terrasse neben der Rennstrecke von Le Mans und mir Zweifel am Unterhaltungswert von Langstreckenrennen gekommen. Wir diskutierten mit dem Bierglas in der Hand, ob 24-Stunden-Rennen wirklich den ganzen Tag dauern müssen, da schlug Mike (Rocky) Rockenfeller mit 300 Stundenkilometern in die Bande, abgeschossen von einem langsameren GT-Ferrari.
Menschen, denen das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand, sammelten sich überall vor Bildschirmen. Die Stimmung war dahin, dafür überschlag sich die Stimme des Streckensprechers bei der Beschreibung des Trümmerfelds. Und auf der anderen Seite des Wegs ging alles weiter wie bisher: Diskosound, flackerndes Licht und gröhlende Figuren. Rennen mit Nachtbetrieb wie das in Le Mans oder auch das 24-Stunden-Rennen auf der Nordschleife sind eben mehr als nur ein motorsportliches Ereignis. Sie [foto id=“363313″ size=“small“ position=“left“]sind so etwas wie ein Oktoberfest für Auto-Verrückte, die am Rande der Piste übernachten, wenn’s sein muss, im eigenen Auto, abgedeckt mit einer Plastikplane.
Einen Unterschied zwischen der Nordschleife und den 24 Stunden von Le Mans erkannten wir, als wir uns in der langen Gelb-Phase das Publikum um uns herum genauer anschauten. Am Nürburgring sind mehr Männer-Runden unterwegs, in Le Mans sieht man sogar nachts noch Familien und Pärchen in den Budengassen auf dem Streckengelände.
Rund anderthalb Stunden, bis morgens um 1.00 Uhr fuhren Prototypen und GT hinter den drei Safety-Cars hinterher, versuchten ihre Reifen warm- und ihren Adrenalinspiegel auf Rennniveau zu halten. Rocky war selbst ausgestiegen und über die Leitplanke geklettert. Alles schien noch einmal gutgegangen. Am Sonntag hörten wir dann noch, er bleibe zur Beobachtung im Krankenhaus und habe sich am Arm leicht verletzt. Kein Zweifel: Vor ein paar Jahren noch hätte Rocky diesen Abflug mit 300 Sachen nicht überlebt. Schon toll, dieses Carbon-Monocoque im Audi-Dieselrenner R18 TDI.
Das wird sich Allan McNish auch gesagt haben, als er schon zu Anfang des Rennens in einem wahrhaft halsbrecherischen Salto in die Begrenzung einschlug. Offenbar übermotiviert hatte er sich abschießen lassen, ebenfalls von einem langsameren GT-Ferrari. Seine Teamkollegen Dindo Capello und Tom Kristensen konnten die Rennkombi ablegen; das Garagentor vor Ihrer Box wurde herabgelassen. Fröhlich werden alle drei nicht gewesen sein. Aber sie blieben die ganze Nacht und das ganze Rennen über bei der letzten im Rennen verbliebenen Audi-Crew. Auch Rockys Mannschaftskameraden Timo Bernhard und Romain Dumas blieben auf der Strecke, und das bestimmt nicht nur, weil sie sich für diese Nacht kein Hotelzimmer gebucht hatten.
Mit Rockys Überleben waren die Sympathien verteilt. Die französischen Nationalisten hielten eben zu Peugeot, die anderen zu Audi. Vier Peugeot gegen einen Audi – das ist doch unfair. Zumindestens machte es die Aufgabe für die verbliebene Nummer 2 mit Marcel Fässler, Benoit Tréluyer und André Lotterer nicht [foto id=“363314″ size=“small“ position=“left“]einfacher. Die Peugeot waren schnell und hatten Audi schon gleich zu Anfang des Rennen gezeigt, dass sie weniger Kraftstoff verbrauchen. Peugeot blieb bis zum ersten Tankstopp eine Runde länger draußen. Da half Audi nur noch die höhere Geschwindigkeit.
Dem 29-jährigen „Jungspund“ und Le Mans-Neuling André Lotterer fiel die Aufgabe zu, den letzten Audi ins Ziel zu bringen. Was für ein Druck, was für eine Verantwortung! Entweder er siegt oder Audi erlebt nach dem Dreifach-Sieg 2010 dieses Jahr die totale Pleite. Wer fragt später noch, warum nur noch ein Auto im Rennen war?
Natürlich versuchten die Peugeots, immer wieder, Lotterer einzubremsen – aber ohne Erfolg. Am Ende waren es nicht einmal 17 Sekunden Vorsprung vor dem besten Peugeot. Umso größer war die Freunde bei den Ingolstädtern, deren Fans und den neuen Freunden für eine Nacht, die das Auto mit der 2 und Rocky gewonnen hatten.
Insgesamt rund drei Stunden fand das Rennen dieses Jahres wegen der beiden Audi-Totalschäden hinter Safety-Cars statt. Der 2010er Rekord von 5140 Kilometern war dieses Jahr also nicht zu übertreffen. Dennoch: Es war ein spannendes Rennen, bei dem wir allerdings auf die Schrecksekunden und das bange Warten auf Information gern verzichtet hätten. Die Bilder werden uns im Gedächtnis bleiben. Sie werden uns noch in Jahren verfolgen; denn solch spektakuläre Abflüge ohne ernsthafte Folgen finden immer ihr Publikum als Rockys Horror Picture Show.
Die Audi-Techniker haben nun allen Grund, stolz auf ihre Sicherheitszelle zu sein. Sie haben gestern zwei Leben gerettet und damit dem Rennsport die Diskussion erspart. Tote in Le Mans? Da war doch etwas? Das brauchen wir nicht wieder.
Und ich selbst verzichtete gern auch auf die Angst, die ich in der Nacht hatte. Die Gesichter, die das Fernsehen aus der Audi-Box zeigte, legten die schlimmste Nachricht nahe. Das konnte doch niemand überlebt haben. Unterhaltsam ist das nicht. Hätten sich die Befürchtungen dieser Minuten nach dem Einschlag bestätigt, hätte mich das meinen ganz persönlichen Spaß am Zuschauen und Bewundern gekostet. Die Hersteller hätten sich in der Gefahr gesehen, einen bedeutendsten Praxistest für Autotechnologien zu verlieren.
Glücklicherweise alles nur Konjunktiv irrealis. Sehr real waren jedenfalls die Gefühle in der Audi-Box. Audi-Chef Rupert Stadler, Entwicklungsvorstand Michael Dick und Rennsportchef Dr. Wolfgang Ulrich lagen sich in den Armen und führten einen Freudentanz auf. Auch wenn das Audi-Marketing lieber eine Wiederholung des Dreifachsiegs der eigenen Marke gehabt hätte – nicht nur den drei Managern war dieser hart erkämpfte Sieg wichtiger.
Ich selbst darf weiter Autorennen anschauen, meine Zweifel am Unterhaltungswert von ganztägigen Rennen vergessen und mich darauf verlassen, dass die Sicherheitstechniken immer besser werden. Vielleicht lernen die GT-Fahrer auch noch, zuverlässig ihre Rückspiegel zu nutzen, wenn sie mit den Schnellen auf der Bahn unterwegs sind.
geschrieben von auto.de/(ampnet/Sm) veröffentlicht am 14.06.2011 aktualisiert am 14.06.2011
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