14:59 Uhr Ortszeit Le Mans, am Himmel fliegt eine französische Kunstflugstaffel und malt die französische Tricolore in die Luft. Auf dem Startturm steht Hollywoodstar und Motorsport-Enthusiast Brad Pitt mit der schwarz-weiß karierten Flagge in der Hand und wartet auf das Starterfeld. Mit einem Brummeln nähert sich das Feld der Ford-Schikane vor Start und Ziel – hinter dem Safety Car. Denn auch im Jahr 2016 bestätigt sich das Motto dieses Rennens: Es regnet immer in Le Mans. Erst rund 30 Minuten später fährt das Safety Car von der Strecke und unter dem Jubel der 260.000 Zuschauer beginnt die Hatz.
Die 24 Stunden von Le Mans gehören zu den prestigeträchtigsten Automobilrennen der Welt und warfen 2016 bereits im Vorfeld ihren Schatten voraus. Das Duell Porsche gegen Audi schreibt am 18. und 19. Juni auf dem Circuit de la Sarthe sein drittes Kapitel. Auf der einen Seite steht der Mythos Porsche: 17 Gesamtsiege, legendäre Rennfahrzeuge wie der 917 und der 962. Auf der anderen Seite „Vorsprung durch Technik“: Audi siegte in 13 der zurückliegenden 16 Rennen in Le Mans. Im direkten Vergleich der vergangenen zwei Auflagen stand es zwischen beiden Konzerntöchtern 1:1. Nachdem sich Porsche bei seiner Rückkehr im Jahr 2014 knapp geschlagen geben musste, feierten die Zuffenhausener im vergangenen Jahr nach einem fehlerfreien Rennen einen Doppeltriumph.
Und auch Toyota reiste mit viel Selbstbewusstsein an. Der japanische Hersteller entwickelt seine Prototypen TS050 Hybrid vor den Toren Kölns. Einst wurden dort die Boliden für die Formel1 aufgebaut. Jetzt steht alles im Zeichen der Langstreckenrennen und demnächst auch der Rallye Weltmeisterschaft. Für Le Mans setzte Toyota auf ein Konzept mit weniger Abtrieb. Soll heißen: Auf der Geraden gibt es mehr Speed, in den Kurven müssen die Piloten vorsichtig agieren. Wie sich im Rennen herausstellen sollte, ein weiser Entschluss, denn die Toyota waren mit bis zu 345 km/h Spitze die schnellsten Autos im Feld – noch vor Porsche und Audi, die beide auf ein anderes Aerodynamik-Konzept gesetzt hatten. Dennoch entwickelte sich über die gesamte Distanz ein heißer Kampf um die Spitze.
Porsches Mission für die nunmehr 85. Austragung des 24-Stundenklassikers hieß: T. „Titelverteidigung“. Der Schlüssel hierfür ist der konsequent weiterentwickelte Porsche 919 Hybrid. Die dritte Evolutionsstufe des Autos wurde in der Winterpause komplett überarbeitet. „Aerodynamik, Fahrwerkskomponenten, Antriebssysteme – wir haben auf der Basis des Weltmeisterautos der vergangenen Saison alle Performancebereiche optimiert und natürlich auch an der Zuverlässigkeit gearbeitet“, sagt Porsche-LMP-1 Chef Fritz Enzinger. Im Fokus der technischen Weiterentwicklung standen dabei insbesondere der komplexe Hybridantrieb mit der Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor, sowie Batteriespeichertechnik.
Dreh- und Angelpunkt des Technikreglements für die WEC-Topklasse LMP1 (Le Mans Prototypen der Klasse 1) ist das Ziel, Hybrid- und Elektroantriebs-Innovationen zu fördern und zu optimieren. Das gilt selbstverständlich auch für den Hauptkonkurrenten von Porsche: Im Gegensatz zu den Zuffenhausenern, die im Basisantrieb auf einen Benzin befeuerten Zwei-Liter-Vierzylindermotor mit zwei gekoppelten Rekuperationssystemen setzen, baut Audi in seinem R18 auf die Dieseltechnik, dieses Jahr bereits zum zehnten Mal. Seine Kraft schöpft dieser Ingolstädter aus einem Vier-Liter-Sechszylindermotor. „Wir verwenden das prinzipielle Motorkonzept jetzt im sechsten Jahr in Folge. Das zeigt, wie gut die Grundidee noch immer ist“, sagt Motorenchef Ulrich Baretzky. Der neue R18 verfügt, neben einem leichteren Turbolader mit verbessertem Wirkungsgrad, über ein geändertes Hybridsystem mit Lithiumionen-Batterien statt eines Schwungmassenrades als Energiespeicher. Aus den Erfahrungen des zurückliegenden Jahres setzt Audi zudem auf ein neues Chassis. Das Aerodynamik-Konzept wurde komplett umgekrempelt. Eine schmale, hohe Nase erinnert an die Formel1. Die Rückspiegel wurden besser in das Auto integriert und auch die Seitenkästen wurden weiter nach hinten gezogen.
Auch wenn die Thematik der Le Mans Prototypen kompliziert ist und viel Technik zum Einsatz kommt, so dienen die Erfahrungen im Motorsport stets auch der Serienentwicklung eines Automobilherstellers. Viele Innovationen, die im Le Mans erstmals zum Einsatz kamen, wurden für die Serie abgeleitet. Das betrifft die TFSI-Technik von Audi ebenso wie die Lernkurve bei dem Ladedruck der TDI-Aggregate oder das Laserlight. Die Themenfelder Werkstoffe, Leichtbau und Aerodynamik sind entscheidend für einen Erfolg in Le Mans und die Serienentwicklung.
Bremsstaub, Duft von Kupplungen, brüllende Motoren und dumpfer Groll aus den sechszylindrigen Porsche GT-Fahrzeugen der Baureihe 911, die ebenfalls in ihrer eigenen Klasse antreten. Es ist die Kulisse und der Klang, die aus Le Mans den Mythos machen und die Heroen der Vergangenheit ehrt, die einst hier auf dem Circuit de la Sarthe um Titel kämpften. Le Mans ist nicht einfach nur ein Rennen. Nein. Es ist mehr als das. „Rennen fahren ist leben – die Zeit dazwischen ist bloß warten“, sagte schon Steve McQueen im legendären Film-Klassiker „Le Mans“ aus dem Jahr 1971.
Und so war es auch 2016. Audi, Porsche, Toyota – sie wechselten sich in den ersten Stunden an der Spitze ab. Dann der erste Rückschlag für Audi: Der Turbolader am R18 mit der Nummer sieben war Defekt. Resultat ein längerer Boxenaufenthalt, um das Bauteil zu tauschen. Angesichts von Temperaturen am Turbolader von mehr als 1000 Grad Celsius ein heikles Unterfangen. Dennoch schafften die Mechaniker den Tausch in rund 20 Minuten. Allerdings waren Andre Lotterer, Marcel Fässler und Benoit Treluyer damit zunächst aus dem Kampf um die Spitze ausgeschieden. Im weiteren Verlauf des Rennens kristallisierte sich zunehmend ein Duell zwischen Toyota und Porsche heraus, da auch der zweite R18 weiter zurückfiel.
Auf der lagen Hunaudieres-Geraden spielten die Toyota TS050 Hybrid gnadenlos ihre Überlegenheit beim Top-Speed aus. Es kam also auf die richtige Boxenstrategie an. Porsche zog alle Register, versuchte es mit verschiedenen Taktikansätzen, langen Stints und zu guter Letzt mit einem sogenannten „Splash and Dash“. Das ist ein kurzer Boxenstop zum Tanken, aber ohne Reifen- und Fahrerwechsel. Es reichte jedoch nicht, den Toyota mit der Nummer fünf noch einzuholen.