Le-Mans-Countdown, Teil 12: 24 Stunden Motorsport, 24 Stunden Erkenntnisse sammeln

Es sind nur noch wenige Tage, dann startet in Le-Mans die 24-Langstrecken-Hatz. In seiner wöchentlichen Kolumne lässt uns Le-Mans-Rekordsieger Tom Kristensen teilhaben an seiner Vorfreude, den nötigen Vorbereitungen und den kleinen und großen Dingen, die die Motorsportfamilie umtreiben.

Kristensen, der im Audi Sport Team Joest in einem Audi R15 TDI startet, lässt noch einmal Revue passieren, wie er 1997 zu seinem ersten Start- und Podestplatz in Le Mans kam und welche Entwicklung die automobile Technik nicht zuletzt auch durch Rennsport à la Le Mans genommen hat.

„Nur noch zwei Wochen, dann muss ich bereits meine Koffer für Le Mans packen. Das Rennen des Jahres rückt also mit Riesenschritten näher.

Ich kann mich noch sehr gut an meinen ersten Le-Mans-Einsatz im Jahr 1997 erinnern. Damals erhielt ich erst wenige Tage vor dem Rennen einen Anruf von Ralf Jüttner. Ich kannte weder das Auto noch die Strecke, die ich nach meiner Ankunft erst einmal joggend erkundet habe. Trotzdem habe ich das Rennen gemeinsam mit Michele Alboreto und Stefan Johansson auf Anhieb gewonnen. Das war der Beginn meiner großen Liebe zu Le Mans. Inzwischen stand ich schon achtmal ganz oben auf dem Siegerpodest und starte zum 14. Mal bei diesem einzigartigen Event.

Die Autos haben sich seit meinem ersten Le-Mans-Einsatz gewaltig verändert. Im Joest-Porsche, den ich 1997 fuhr, hatten wir noch eine H-Schaltung. Da das Auto rechtsgelenkt war, musste ich mit der linken Hand schalten – das war ungewohnt und natürlich viel anstrengender als heute in unserem Audi R15 TDI, in dem die Schaltung mit pneumatischer Unterstützung mithilfe von Wippen am Lenkrad erfolgt.

Auch eine Servolenkung gab es damals nicht. Und das Auto war noch ein echter Zweisitzer mit einem einzigen Überrollbügel über Fahrer- und Beifahrerseite und viel Platz im Cockpit. Damals machte man sich noch nicht so viele Gedanken über die Aerodynamik, die heute sehr viel ausgefeilter und komplexer ist. Die Ingenieure kämpfen um jeden Millimeter, deshalb ist auch die Sitzposition heute eine ganz andere als damals.

Audi hat die Entwicklung in Le Mans in den vergangenen zehn Jahren ganz stark beeinflusst und vorangetrieben. Ehe sich Audi in Le Mans engagiert hat, war es praktisch unmöglich, die 24 Stunden ohne den Wechsel der Bremsscheiben durchzufahren. Das war auch bei Audi am Anfang noch ein Thema, wurde aber von den Audi-Sport-Ingenieuren sehr schnell gelöst. Heute halten die Bremsscheiben im R15 TDI sogar 30 Stunden ohne Probleme durch.

Einen ganz großen Entwicklungsschritt gab es 2001, als Audi erstmals die Turboaufladung mit der Direkteinspritzung kombiniert hat. Ein besseres Jahr hätten wir dafür gar nicht wählen können, denn 2001 war das Rennen mit dem großen Regen, und ohne den TFSI-Motor wäre es für uns zehnmal schwieriger gewesen. Durch den TFSI-Motor war das typische ‚Turboloch’ verschwunden. Der TFSI spricht fast so gut an wie ein Saugmotor.

Was wir dann seit 2006 mit der TDI-Technologie geschafft haben, weiß jeder. Wir haben ein wichtiges Kapitel Motorsport-Geschichte geschrieben und einmal mehr die Bedeutung von Le Mans für den technischen Fortschritt unterstrichen. Seit dem ersten Rennen 1923 sind viele neue Technologien zuallererst in Le Mans eingesetzt worden, ehe sie dann später auch in Serie gegangen sind, zum Beispiel Halogen-Scheinwerfer oder Radialreifen. Die Entwicklung der Scheibenbremsen und der Scheibenwischer wurde durch die 24 Stunden von Le Mans ebenfalls beschleunigt.

Auch die Reifen haben sich in den vergangenen Jahren ganz gewaltig weiterentwickelt. Bei meinem ersten Sieg 1997 haben wir nur einen Reifentyp benutzt. Heute können wir zwischen vielen verschiedenen Varianten wählen. Wir fahren sogar nachts andere Michelin-Reifen als am Tag.

Ein anderes Beispiel für den technischen Fortschritt ist die Telemetrie. Auch 1997 stammte die Datenaufzeichnung im Fahrzeug von Bosch. Damals sah das eher noch wie ein Herzdiagramm aus. Damals haben wir die zur Verfügung stehenden Daten gemeinsam mit Michel Demont ausgewertet, der bei Joest noch immer dafür zuständig ist. Heute sind aber über 100 Sensoren im R15 TDI, die permanent Daten an die Box funken und in Echtzeit eine Fülle von Informationen liefern. Um aus der Datenflut die richtigen Schlüsse zu ziehen, braucht man mehrere Ingenieure.

Bosch ist ohnehin ein wichtiger Partner im Le-Mans-Projekt von Audi, denn beim R15 TDI stammen – wie schon beim R10 TDI – auch die Einspritzdüsen des Turbodieselmotors von Bosch. Dabei werden inzwischen Einspritzdrücke erreicht, die vor ein paar Jahren niemand für möglich gehalten hätte. Und davon profitieren auch die Audi-Kunden, denn die Erkenntnisse von Le Mans fließen direkt in die Serienentwicklung.

Ein tolles Auto, das ich 2003 in Le Mans gefahren bin, verfügte auch über einen von Audi Sport entwickelten Motor: der Bentley Speed 8, das einzige geschlossene Auto, das ich bisher in Le Mans bewegt habe. Wir fuhren damals mit schmaleren Reifen als die offenen Prototypen. Und bei der Entwicklung des Speed 8 ging es neben der Traktion und Aerodynamik speziell auch um die Innenraumtemperatur und die Türen, die bei einem geschlossenen Le-Mans-Auto gut funktionieren müssen.

Apropos Bentley: Ich hatte einmal die Gelegenheit, das Le-Mans-Siegerauto von 1928 zu fahren, einen Bentley Blower. Und auch einen Riley, den Le-Mans-Klassensieger von 1938. Wie bei den Auto-Union-Grand-Prix-Rennwagen, die ich ab und zu für die Audi Tradition bewegen darf, sieht man, welche Fortschritte die Automobiltechnologie in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat – gerade auch in Le Mans und mithilfe der 24 Stunden.

Deshalb passt dieses Rennen auch so perfekt zu Audi und unserem Credo ‚Vorsprung durch Technik’.“

Ihr Tom Kristensen

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