Vorkriegs-Veteran

Mercedes-Benz 540 K: 77 Jahre und kein bisschen leise

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Schrottplatz, Schredder oder Schönheitskur – so lauten gewöhnlich die Alternativen für ein Auto, das in die Jahre gekommen ist. Erfreut es allerdings seine Besitzer selbst nach einem Dreivierteljahrhundert in – wenn auch nur dank intensiver Anti-Age-Maßnahmen erreichter – alter Frische, ist es den finsteren Seiten seines möglichen Schicksals längst entronnen. Dann wird es gehegt und gepflegt, steigt beständig im Wert und hat höchstwahrscheinlich einen interessanten Weg hinter und wahrscheinlich auch noch vor sich. So wie das rote Mercedes-Benz 540 K Spezial Cabriolet A, das die Montagehallen im Daimler-Benz-Werk Sindelfingen mit der Fahrgestellnummer 408371 im Frühjahr 1939 verlassen hat. Ein Blick auf seinen bisherigen Lebenslauf ist nicht ohne Reiz. Sonnabend, der 29. April 1939. Nur noch vier Monate trennen die Welt von der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Zeichen dafür häufen sich. Gerade führt Großbritannien wegen der Deutschen die Wehrpflicht ein und Adolf Hitler kündigt den deutsch-britischen Flotten- sowie den deutsch-polnischen Freundschaftsvertrag. Positiv fällt in diesen Tagen wahrscheinlich nur auf, dass der April in Mitteleuropa überdurchschnittlich warm und sonnig war. Da kommt der Mercedes 540 K mit seinem Stoffverdeck, der laut Daimler-Benz-Archiv an diesem Tag an einen Kunden in Paris ausgeliefert wird, gerade recht. Das Auto mit der Bezeichnung "Spezial Cabriolet A" ist eine exklusive Spezialanfertigung. Im Unterschied zu den anderen Exemplaren seiner Baureihe besitzt der Nachfolger des Mercedes 500 K, der 1934 die legendären Typen SS/SSK ablöste, eine in der Mitte geteilte und auf beiden Seiten V-förmig nach hinten verlaufende Windschutzscheibe. Dieses Stilmittel findet sich auf vielen Roadstern jener Zeit, um die Länge der Frontpartie und die Ausdruckskraft der vorderen Kotflügel zu betonen. Unter der Haube arbeitet ein Achtzylinder-OHV-Reihenmotor mit 5,4 Liter Hubraum und zuschaltbarem Roots-Gebläse, das in Aktion einen Höllenlärm verbreitet. Die Leistung im Saugbetrieb beträgt 85 kW / 115 PS, beim Betrieb mit Kompressor 132 kW ! 180 PS. Geschaltet wird mit einem Fünf-Gang-Getriebe, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 170 km/h. Der Innenraum bietet viel Platz, auch für die Passagiere im Fond. Der Name des Käufers sowie der Aufenthaltsort des Fahrzeugs während des Zweiten Weltkriegs sind im Dunkel der Geschichte leider verschwunden. Fest steht, dass es ziemlich früh die Seite des Atlantiks gewechselt hat. Erster aktenkundiger Besitzer ist der ebenso autobegeisterte wie berühmte amerikanische Operntenor James Melton, eine Art Enrico Caruso der Neuen Welt, dessen Tochter Margo Melton Nutt erst kürzlich die Biographie ihres Vaters unter dem Titel „The Tenor of His Times" veröffentlichte. Melton war der damals bekannteste Autosammler der USA und pflegte damit ein Hobby, das zu jener Zeit als ausgesprochen exzentrisch galt. Angeblich bekam er regelmäßig seltene Autos angeboten, die bei seinen Fans in der Garage herumstanden, und das oft sogar völlig umsonst. Seinen 540 K hat Melton regelmäßig und ausführlich bewegt. Das belegen Fotos, die ihn samt seinem Mercedes beispielweise als Rennbesucher in Watkins Glenn oder Indianapolis zeigen. In seiner 1954 veröffentlichten Autobiographie „Bright Wheels Rolling" beschreibt er den Spaß, den ihm besonders das Roots-Gebläse seines Wagens machte: „Es war immer wieder ein Erlebnis, wenn andere Leute mitfuhren und ich den Kompressor einschaltete. Bei dem ohrenbetäubendem Pfeifen und der Beschleunigung flogen sie fast durchs Dach, und sie suchten verzweifelt nach einem Notschalter. Am liebsten hätten sie die Flucht ergriffen." Der 540 K bedeutete ihm sehr viel. Als er in den 1950er Jahren damit anfing, seine Autosammlung zu verkaufen, blieb ihm der Wagen bis zum Schluss erhalten. Der kam erst kurz vor seinem Tod 1961 als eines der letzen seiner Fahrzeuge unter den Hammer. Die folgenden zehn Jahre verbrachte der Mercedes in relativer Ruhe. Die wurde erst beendet, als er in den Besitz des nächsten berühmten Autosammlers, Otis Chandler, Verleger der Los Angeles Times, geriet. Der galt zu Lebzeiten als gewissenhafter, integrer Autosammler, der sich nur für die besten und seltensten Fahrzeuge interessierte und sie dann seiner Kollektion in einem eigenen Museum namens „Chandler Vintage Museum of Transportation and Wildlife" einverleibte. Die Chandler-Sammlung wurde im Oktober 2006 nach dem Tod ihres Besitzers versteigert und brachte an einem einzigen Tag 36 Millionen Dollar ein , damals 28,4 Millionen Euro. Unter Chandler erlebte das Mercedes-Benz 540 K Spezial Cabriolet A den Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn. Aufwändig restauriert und in zwei Grüntönen lackiert erhielt es 1973 beim weltberühmten Pebble Beach Concours d’Elegance an der kalifornischen Pazifikküste den begehrten ersten Preis als „Best of Show". Als nächster Besitzer trug sich der Mexikaner Axel Wars in die Liste der Eigentümer ein, der eine stolze Sammlung an gepflegten Vorkriegsautos zusammengetragen hatte. Da durfte ein Exemplar der letzten zivilen Personenwagen-Modellreihe, die Daimler-Benz vor dem Zweiten Weltkrieg produziert hatte, natürlich nicht fehlen. Als die Wars-Sammlung in den frühen 1980er Jahren in alle Winde verstreut wurde, landete der 540 K bei General William Lyon, Immobilien-Tycoon, Baulöwe und hochdekorierter Reserveoffizier der US-Luftwaffe. Dessen berühmte Garage wurde für zehn Jahre die Heimat des Mercedes aus Sindelfingen, bis er eine neuerliche Schönheitskur verpasst bekam. Jetzt erhielten seine Karosserie ihre heutige scharlachrote Farbe, die Sitze eine neue Lederpolsterung und das Verdeck einen neuen hellbraunen Stoffbezug, bevor es erneut den Halter wechselte, bei dem es die vergangenen beiden Jahrzehnte bis heute verbrachte und der anonym bleiben möchte. Zurecht gilt das rote Mercedes-Benz 540 K Spezial Cabriolet A mit der Fahrgestellnummer 408371 und den berühmten Vorbesitzern als Juwel des Automobilbaus vergangener Tage. Es hat alles, was ein hervorragender Vorkriegs-Veteran haben sollte: grandiose Linien, hervorragende Technik und reichlich Leistung – James Melton hätte sie als "haarsträubend" bezeichnet. Während der vergangenen 77 Jahre war es stets fahrbereit, wurde gepflegt, geliebt und jung gehalten. Jetzt steht wiederum ein Besitzwechsel an. Am 12. März wird das Auktionshaus Sotheby's den Wagen auf Amelia Island, einer Promi-Insel vor der Atlantikküste Floridas, unter den Hammer nehmen. Schätzpreis: zwischen drei und vier Millionen Dollar (zwischen 2,8 und 3,7 Millionen Euro). Verglichen mit einem Auto von 1937 aus der gleichen Baureihe, das vor fünf Jahren bei einer Versteigerung in Kalifornien 9,68 Millionen Dollar (damals 6,5 Millionen Euro) erzielte, ein Schnäppchen. Damals war es der höchste Preis, der jemals für einen Mercedes-Benz bei einer Auktion bezahlt worden ist. Interessenten, die diesmal beim Rennen um den Mercedes leer ausgehen, werden zum Trost auf Amelia Island-Auktion im Hotel Ritz-Carlton genügend Alternativen vorfinden. Es gibt zum Beispiel als Stars der Versteigerung einen Rolls-Royce Silver Ghost von 1911 (2,3 Millionen bis 3,2 Millionen Euro) oder einen 1962er Ferrari 400 Superamerika (2,5 Millionen bis 3 Millionen Euro). Aber auch die anderen Superstars unter den insgesamt knapp 100 Kandidaten aus automobilem Adel können sich sehen lassen. Wem der Weg über den großen Teich zu weit ist oder wer sich die 300 Dollar (276 Euro), die Sotheby's als Eintritt zur Auktion berechnet, sparen will, kann die Veranstaltung life im Internet am 12. März ab 17 Uhr unter www.rmsothebys.com verfolgen.

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