Mercedes-Benz

Mercedes geht in Indien in die Offensive – Den Riesen reiten

Was macht Satish Sundaresan, wenn er im Ausland auf die typischen Vorurteile stößt? Dann erklärt der 37jährige Ingenieur geduldig, dass Indien nicht nur so groß ist wie ganz Europa, sondern mit 18 offiziellen Sprachen und 29 höchst unterschiedlichen Bundesstaaten auch mindestens so kompliziert. Aber in dieser Vielfalt liege auch die Kraft. Seine Biographie ist gelebte Globalisierung: Studium in den USA, Aufenthalte in Australien, Malaysien, Hildesheim und Landsberg am Lech. Der junge Entwickler im Bereich Elektro- und Informationstechnik ist einer von 1.200 hochqualifizierten Mitarbeitern, deren Arbeit jetzt im Mercedes-Benz Research and Development India (MBRDI) in der Nähe von Bangalore unter einem Dach ist. Und dank der hochmodernen Abstimmungsprozesse, lächelt er, liege Sindelfingen nun quasi nebenan.

Dass für die Einweihung des funkelnden Neubaus Entwicklungsvorstand Thomas Weber einflog, belegt, wie wichtig der Standort Indien für die Strategie der Schwaben geworden ist. Die Stuttgarter starteten 1996 im südindischen Bangalore mit zehn Mitarbeitern. Jetzt ist das MBRDI das größte Forschungs- und Entwicklungszentrum außerhalb Deutschlands. Die Rivalen BMW und Audi haben zwar ebenfalls Fertigungen in Indien, unterhalten dort aber derzeit keine Forschungsabteilungen.
 
Dafür haben sie auf dem Weltmarkt in der Käufergunst derzeit die Nase vorne. Doch die Aufholjagd beginnt: In den nächsten zwei Jahren investiert Daimler rund 10,8 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, um wieder wettbewerbsfähiger zu werden. Bis 2020 will man mit 13 neuen Modellen punkten. Und Kosten senken. Auch das macht das [foto id=“456094″ size=“small“ position=“left“]Labor Indien so interessant, denn bei aller Qualifikation und Kreativität sind Mitarbeiter wie Satish mit ihrem Engagement auch gut ein Fünftel günstiger als auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
 
Doch die Musik spielt ganz klar im anderen Riesenreich nördlich Indiens. „China ist der Markt“, betont Thomas Weber. „Aber in Indien sind die Talente.“ Müsste man da nicht zukünftig um die schwäbische Seele des guten Sterns auf allen Straßen fürchten? Weber und Jens Cattarius, der Leiter des MBRDI, winken entschieden ab. Obwohl im Zentrum in deutsch-indischer Koproduktion auf allen Gebieten, die zum Bau eines Autos erforderlich sind, geforscht wird, liegt die Stärke in der Simulation durch Computerprogramme und der engen Vernetzung mit den deutschen Ingenieuren in Stuttgart und ihren Prüfständen. Die Bestätigung dieses Einsatzes sind zum Beispiel die 50 Patente, die 2012 geschützt wurden.

Dass das Carsharing-Modell des Unternehmens Car2Go von der High-Tech-Metropole aus gesteuert wird, überrascht nicht. Ebenso die intensive Arbeit in technologischen Zukunftsfeldern wie Fahrerassistenz und Infotainment. Neben dem kalifornischen Silicon Valley ist Bangalore die andere IT-Schaltzentrale der Welt. Noch genauer: Whitefield, dort wo auch der Neubau des MBRDI steht. Noch vor fünf Jahren war es ein Dorf am Rande der Acht-Millionen-Metropole im Bundesstaat Karnataka. Die berühmten heiligen Kühe grasen noch unbeteiligt am Straßenrand, örtliche Bauern bieten ihr Obst und Gemüse vor den gewaltigen Vertretungen von Software-Giganten wie SAP, Oracle oder Infosys an, während junge Inder mit besten Uni-Abschlüssen, ihr Smartphone in der Hand, ins Büro hasten. Man ahnt, wer sich hier beizeiten nicht die Besten sichert, verliert. China überaltert, nicht zuletzt wegen der rigiden Ein-Kind-Politik. Indien hat aufgrund der Bevölkerungsexplosion zwar eine marode Infrastruktur, dafür aber viel mehr junge Menschen.
 
Längst ist Whitefield das Synonym für den indischen Aufbruch, auf den andere Staaten des Subkontinents eifersüchtig schielen. Denn die Stadt mit ihren vielen Technologieparks wirkt wie ein Talent-Magnet. Der Lebensstandard der digitalen Elite ist im indischen Vergleich hoch. Wie ein Raumschiff mit modernster Büroarchitektur und schicken Appartementhäusern erscheint diese Silicon City vor dem traditionellen Indien, das Touristen kennen.
 
In den neunziger Jahren erwachte der indische Riese, öffnete den Markt und ließ ausländische Unternehmen und Investoren zu, die anders als in China nicht in schwierige Joint Venture-Partnerschaften gezwungen wurden. Dabei hat das deutsche Engagement Tradition. Siemens baute noch zur britischen Kolonialzeit einen Telegrafen, der den Militärstützpunkt Bangalore mit London verband. Bosch gesellte sich ebenfalls früh dazu. Ein Deutscher legte die schönen Parkanlagen an, der ebenfalls deutsche Philologe Kittler schrieb im 19. Jahrhundert das erste Wörterbuch für die Landessprache Kannada und Deutsch. Und wenn man viel Glück hat, sieht man unter all den eher asiatischen Kleinwagenaus heimischer Fertigung, die von der neuen indischen Mittelschicht bewegt werden, auch mal ein deutsches Luxusprodukt.
 
Eberhard Kern repräsentiert wie Jens Cattarius den Typus Topmanager für die Globalisierung und ist seit 30 Jahren für das Unternehmen unterwegs, zuletzt auf Taiwan und in Russland. Seit kurzem erst leitet er das Werk von Mercedes-Benz in Pune, einem Industriestandort in dem auch Audi [foto id=“456095″ size=“small“ position=“right“]ansässig ist, und der rund 220 Kilometer östlich von Mumbai liegt.
 
Rund 31.000 Luxusfahrzeuge deutscher Provenienz fahren auf indischen Straßen, das sind gerade einmal 1,2 Prozent des Gesamtmarktes, verschwindend gering im Vergleich zu China, wo Mercedes-Benz allein im Januar über 16.000 Fahrzeuge verkauft hat. Derzeit werden im Werk 6.000 Einheiten gebaut. Die Fertigung mit 400 Mitarbeitern soll optimistisch auf 20.000 ausgebaut werden, das Händlernetz erweitert werden. Die Bausätze beispielsweise für die C-, E- und S-Klassen sowie für die M-Klasse kommen aus Deutschland und von den bekannten Zulieferern, die auch hier lokale Standorte besitzen und das Werk versorgen. Das kommt für die kleine Schar der indischen Luxusklientel immer noch günstiger als ein reiner Import. Denn je nach Bundesstaat werden auf den Kaufpreis noch rund 50 Prozent Zölle und Steuern erhoben. Die kleinere A-Klasse, die ab Juni dieses Jahres in Indien an den Start geht, soll endlich für mehr Volumen sorgen, dürfte aber wie Kern vorrechnet auch als Inlandsprodukt schon stattliche 35.000 Euro kosten.
 
Auch die B-Klasse soll für Auftrieb sorgen, eventuell auch neue A-Familienmitglieder wie der kleine SUV GLA oder der CLA. Indien hat nicht nur Linksverkehr, sondern auch einen subventionierten Dieselmarkt, der den Treibstoff halb so teuer wie Benzin macht und für einen Marktanteil von 70 Prozent sorgt.
 
Die Fertigung muss sich daneben auch noch auf die Schlaglöcher einstellen. Kaum vorstellbar, dass auch ein paar handverlesene Exemplare des SLS von AMG hier unterwegs sind. Neben der grassierenden Korruption im Riesenland macht Kern als Hauptproblem die Infrastruktur aus. Eine Herausforderung für den Manager. Da erlaubt die Technologie-Autobahn zwischen Sindelfingen und Bangalore ganz andere Tempi.

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