Nissan

Nissan: Vor 100 Jahren lief das erste Auto im Namen des Hasen

Wer als bildungsbeflissener Deutscher 1902 zur aktuellen Ausgabe des „Brockhaus`schen Konversationslexikon“ griff, um sein Wissen über den aktuellen Stand des japanischen Verkehrswesen zu aktualisieren, konnte zum Thema „Japan, Verkehrswege“ folgendes lesen: „Das japanische Verkehrswesen beschränkt sich auf die Dampfschifffahrt, an Eisenbahnen sind 5.992 Kilometer in Betrieb. Die Stellen von Droschken nehmen zweirädrige, leichte, von Menschen gezogene Karren ein.“ – Vom Autos war 16 Jahre nach der Erfindung von Carl Benz 1886 noch nichts zu lesen. Kein Wunder. Die Straßen des Inselreichs waren von so katastrophaler Qualität, dass das Automobil in Japan nur ganz langsam das Laufen lernte.

1899 soll ein allererstes Auto nach Japan gelangt sein. 1903 nahm in Hiroshima die erste japanische Omnibusgesellschaft den Betrieb auf und erst 1912 rollte ein Auto als Taxi durch Tokio. Zwar ließen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts vereinzelte wohlhabende wie fortschrittliche Japaner eine Handvoll Autos aus Europa und Amerika importieren. Wie schwer es das Automobil zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Japan hatte, unterstreicht die Tatsache, dass die Regierung erst 1919 die Notwendigkeit erkannte, eine allgemeine Straßenverkehrsordnung zu erlassen.

Da darf es nicht verwundern, dass die Bemühungen japanischer Pioniere des Automobilbaus lange übersichtlich blieben. 1907, 21 Jahre nach Carl Benz Pioniertat, baute ein gewisser Shintaro Yoshida das erste japanische Auto. Allerdings mit einem amerikanischen Motor. Es dauerte weitere fünf Jahre, bevor das erste wirklich rein japanische Auto das Laufen lernte. Das 1912 vorgestellte Auto trug die Bezeichnung „DAT-go“. Die Bezeichnung „Dat“ war doppeldeutig, denn mit dem Modellnamen wollte Erbauer Masujiro Hashimoto zugleich seine Geldgeber ehren. Die Investoren Kenjiro Den, Rokuro Aoyama und Meitaro Takeuchi hatten die Entwicklung des Motorwagens finanziert und die Initialen ihrer Familiennamen ergaben das Wort „Dat“. Die ursprüngliche Bedeutung von „Dat“ bezeichnet das japanische Sternbild des Hasen. Aus „Dat“ entwickelte sich „Datsun“ und schließlich Nissan.

Während die ersten Experimente von Importeuren und Automobilentwicklern in Japan sämtlich scheiterten, reiste der Ingenieur Masujiro Hashimoto nach Detroit, wo er das Handwerk des Automobilbaus erlernte und sich den Ruf eines begeisterten „Motor-Maniacs“ erwarb. Seine ersten Schritte als selbstständiger Automobilkonstrukteur wollte er allerdings zunächst nur mit einem Lizenzbau wagen. Bezahlbar erschien seinen Geldgebern eine Lizenz des englischen Herstellers „Swift of Coventry Limited“. Kaum absolvierte der Prototyp des Dat Swift 10/12 HP mit zuverlässigem Zweizylinder-Motor als Urvater aller Nissan-Autos im Frühsommer vor 100 Jahren seine Probefahrten, begann Hashimoto die Entwicklung seiner ersten Eigenkonstruktion.

Nur ein Jahr später rollte und rumpelte der erste asiatische Kleinwagen über die von schweren Ochsen- und Handkarren ausgefahrenen schmalen Wege und Pfade des japanischen Kaiserreichs. Trotz dieser Bedingungen und auch ohne Tankstellen- oder Werkstattnetz wurde der Dat ein Symbol für automobilen Erfolg. Die Finanzierung des Unternehmens sicherte mittlerweile ein Kontrakt über die Konstruktion und Lieferung von Lastwagen an staatliche Behörden, und die Pkw-Entwicklung nahm mit den neuen Modellen Dat 31 und Dat 41 ab 1915 und 1916 Fahrt auf. Bis zum ersten japanischen Großserienmodell unter dem Dach des Nissan-Konzerns sollte es allerdings noch rund 20 Jahre dauern.

Für einen ersten spürbaren Schub der japanischen Autowirtschaft sorgte ausgerechnet eine der verheerenden Naturkatastrophen, die den japanischen Archipel regelmäßig heimsuchen. Am 1. September 1923 bebte die Erde unter der Ebene, die Tokio und Yokohama bedecken mit einer Stärke von 7,9. Innerhalb von Minuten waren 65 000 Gebäude eingeebnet, 1,9 Millionen Menschen obdachlos und 148 200 getötet.

Die eingeleiteten Rettungs- und Aufräumungsarbeiten legten den eklatanten Mangel an Fahrzeugen, vor allem an Lastwagen offen. Als Russel I. Roberg, Vorstand der Ford-Motor-Company, zufällig Tokio einige Tage nach der Katastrophe besuchte, veranlasste er sofort die Verschiffung von 1.000 Fahrgestellen des Ford T nach Japan. Eine Maßnahme, die der Marke in Japan nicht zuletzt einen guten Ruf eintrug. 1925 mietete Ford Hallen in Yokohama und ließ dort in der Folgezeit 16 689 T-Modelle montieren. 1926 begann GM mit einem Montagewerk bei Osaka seine Aktivitäten auf dem japanischen Markt. 1929 baute Ford bereits 9 000 Autos, vornehmlich Nutzfahrzeuge. GM schaffte, rund 10 000 Transporter zu bauen. Einheimische Hersteller, die den Namen „Rokko“, „Tsukuba“, „Ikegai“ und „Kyosan“ trugen, brachten im gleichen Zeitraum etwa 400 Autos auf die Räder.

Den großen Durchbruch schaffte die japanische Autoindustrie erst Mitte der Fünfziger des letzten Jahrhunderts.

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