„Jeder muss ein Hobby haben”, stellt Oliver Zimpel lächelnd fest und drückt den roten Startknopf rechts des Lenkrads im Armaturenträger. Augenblicklich erwacht mit einer gänsehautträchtigen Mischung aus sattem Brabbeln und tiefen Grollen ein riesiger V8 zum Leben. Der 38-Jährige aus Salzgitter hat sein jüngstes Projekt erst Tage zuvor fertiggestellt. Der silbermatic lackierte Diplomat B ist der zehnte Opel, den der Industriemechaniker zu neuem Leben erweckt hat. Gerade rechtzeitig für einen Auftritt als heimlicher Superstar beim jüngsten Opel-Treffen in der Rennsportarena zu Oschersleben, das am Wochenende rund 20.000 Fahrzeuge und mehr als 60.000 Besucher in die Magdeburger Börde gelockt hat.
Seit 1996 treffen sich die Markenfans des Rüsselsheimer Herstellers in den neuen Bundesländern. Längst ist das Opeltreffen zur größten Veranstaltung seiner Art in Europa gereift. Im Gegensatz zu den VW-Fans, die bevorzugt den GTI in einem riesigen Happening am österreichischen Wörthersee feiern, öffnen die Hardcore-Opelaner ihr Herz jedem Modell der Marke.
Alles begann in den späten Neunzigern als Privatinitiative. Der „Opel Sport-Club Wernigerode“ lud Freunde der Marke 1996 in den Harz. 927 Autos folgten dieser Einladung. „1999 waren es bereits 5000 Opel, die die logistischen Möglichkeiten in Wernigerode sprengten“, stellt Oliver Glöckner, der damalige Vorsitzende des Clubs fest. Darum zog das Festival 2000 in die Arena von Oschersleben um und lockte bereits 10 000 Opel an. 2011 verkaufte der IT-Manager die Rechte an dem Opel-Treffen an die Betreiber der Arena Oschersleben. Als Mitarbeiter ist Glöckner der Veranstaltung treu geblieben, die über die drei Tage jedesmal rund 20 000 Autos und mehr als 60 000 Besucher zählt.
Das Markenmotto eines japanischen Wettbewerber passt perfekt, um den Charakter des Opel-Treffens auf den Punkt zu bringen: „Nichts ist unmöglich!“ So komplex der Fuhrpark strukturiert ist, so vielfältig geben sich Publikum und Programm. Für Chris Haardle steht fest: „Das ist die tollst Party der Welt!“ Der 45-Jährige aus Manchester besucht seit vielen Jahren mit mehr als 100 Gleichgesinnten und 20 Autos aus England, Schottland und Wales Ochersleben. Aus mehr als einem Dutzend Ländern sind Opel-Fans angereist. Der Brite beschwört freilich nicht nur die Atmosphäre sondern vor allem die Nachhaltigkeit der Veranstaltung: „Hier sind schon so viele Freundschaften ganzer Familien mit deutschen Freunden entstanden. Freundschaften fürs Leben, die Familienfeste teilen und Urlaube zusammen verbringen.“
Während des Treffens ist eine Truppe von 400 bis 500 freiwilligen Helfern im Einsatz, um Sicherheit, Sauberkeit und präzise Abläufe des Programms zu gewährleisten. Die Veranstaltung mobilisiert Alt und Jung, Familien, Cliquen, Vereine und Individualisten. Seit 13 Jahren kommt beispielsweise Michael Andrezejewsky mit seiner Frau nach Oschersleben. Für den Braunschweiger ein Heimspiel. Seit die Kinder aus dem Haus sind, ist wieder genug Zeit das blaue Kadett-C-Coupé des Markenfans in optimalem Zustand zu halten – trotz der 350 000 Kilometer auf dem Tacho des langjährigen Familienautos. Das Ehepaar Gruber ist mit einem Kapitän des Baujahrs 1957 aus Bautzen angereist. In vierjähriger Arbeit hat die Limousine einen Zustand erlangt, vom dem der Neuwagen vor 59 Jahren nur träumen konnte.
Für viel Besucher ist Oschersleben ein Urlaubsziel. „Ab Pfingsten füllen sich die Campingplätze rund um die Arena“, weiß Sven Glöckner. Das Gelände ist weitläufig genug, um Familien mit Kindern und Ruhesuchenden rein räumlich von jenen Gruppen zu trennen, die eher Party rund um die Uhr machen und ihre Trommelfelle mit heftigen Heavy-Metall-Weisen gerben wollen. Friedlich bleibt es in allen Fällen.
Es ist hilfreich aber nicht wirklich Pflicht, mit einem Opel nach Oschersleben zu reisen. Ob nagelneuer Insignia OPC oder betagter Omega A Kombi mit der Rostkante, ob hochgezüchtetes Spielmobil mit Flügeltüren oder Vorkriegs-Kadett, selbst wer beim Namen Opel geneigt ist die Nase zu rümpfen, kann angesichts des gezeigten Fahrzeugspektrums nur schwer an seinen geliebten Vorurteilen festhalten.
Der versammelte Fuhrpark vom perfekt restaurierten Oldtimer bis zum hardcore-getunten Calibra mit Scherentüren und einem Flügelwerk, das problemlos einem Ferienflieger den gewünschten Auftrieb sichern könnte, belegt tausendfaches atemberaubendes handwerkliches Geschick vieler Gäste. Zwei Jahre hat Oliver Zimpel an seinem Diplomat gearbeitet. Die Limousine von 1976 war ein E-Bay-Schnäppchen für weniger als 3000 Euro. Der V8 ist ein klassischer Smallblock von Chevrolet mit ursprünglich 5,4 Litern Hubraum. Zimpel hat den Graugussblock auf 6,3 Liter aufgearbeitet. „388er-Stroker, 440er Vergaser von Holley, Drei-Gang-Automatik aus der Corvette, Rennsportköpfe aus Alu, Hinterachssperre, Ölkühler, Scheibenbremsanlage vom Audi A5“, rasselt der Schöpfer die wichtigsten Modifikationen herunter. Der Motor kommt in den nächsten Tagen auf den Prüfstand. 450 PS sind gesetzt, „mehr als 500 PS müssten es jedoch tatsächlich sein.“ – Das Schrauben und Aufpeppen von alten Opeln ist Zimpel in 20 Jahren in Fleisch und Blut übergegangen: „Wenn die Tochter im Bett ist noch zwei Stündchen an einem Auto werkeln, das ist für mich die perfekte Entspannung.“
Komplex wie das Fahrzeugaufgebot, setzt sich auch das Publikum zusammen. Viele strahlende Bubengesichter dokumentieren das Glück über den Papa, der ein so cooles lebensgroßes Spielzeugauto besitzt. Am liebsten grell lackiert und gepimpt bis hin zur cremefarbenen Lederausstattung des Motorraums (!). Diese Opelaner sind bevorzugt im Bereich „Show and Shine“ zu finden.
Die Start- und Zielgerade ist eher das Revier von Christian Mählen aus Gelsenkirchen. Sein Bi-Motor-Corsa mit 980 PS ist der Platzhirsch beim Beschleunigen aus dem Stand über die rund 200 Meter einer Viertelmeile. Mählen ist nach 6,3 Sekunden 190 km/h schnell. Sein einziger ernst zu nehmender Wettbewerber ist sein Bruder Michael mit seinem 630-PS-Speedster.
Gegen Abend verdrängt der Duft des vorwiegend unvegetarischen Grillguts mit seinem Streben nach vielschichtigen Röstaromen auf den zahllosen Kohlefeuern der Campingarnea nachhaltig die beißenden Schwaden verbrannten Reifengummis, die die Fraktion der „Burn-Outer“ den ganzen Tag lang begeistert produziert hat. In dieser Disziplin geht es darum, im Laufe des Treffens möglichst viele Reifen auf der Antriebsachse zum Platzen zu bringen. Ob Front- oder Hecktriebler, welcher Teilnehmer am Schluss die größte Strecke zerfetzter Pneus und gedengelter Felgen präsentiert, hat gewonnen. Zu gewinnen gibt es jede Menge. Zum Beispiel für das lauteste Standgeräusch bei Vollgas. Oder mit dem funkelndsten Mobil.
Das grenzenlose Multikulti des Treffens erlaubt natürlich auch Clubs sich zu präsentieren, die ihren Vereinsnamen in Frakturschriften wiedergeben und mit einem Eisernen Kreuz schmücken. Natürlich kommt auch die Pflege negativer Klischees nicht zu kurz. Das Publikum beim Einschäumen blitzenden Blechs durch leicht geschürzte junge Damen weist einen überproportionalen Anteil an recht jungen Menschen mit einem Bodymass-Index von 40 Plus auf. Deren vereinte sonnenrote Epidermis zudem mit mehr bunten Bildchen aufwartet als die größte bundesweite Manga-Konvention zu Leipzig.
Seit elf Jahren schraubt Gerd aus Erbach im Odenwald an seinem Tigra. Die Technik ist optimiert, der Lack, die Innenausstattung, die den Gepäckraum für einen 24-Zöller mit Playstation freihält ebenfalls. Das Prinzip seines Projekts könnte mit „ewige Unvollendung“ beschrieben werden. Die Sinnsuche macht schnell am Spaß an der Freude fest. Getreu des Opel-Kollegen Zimpel: „Jeder muss ein Hobby haben!“ – Bei der Betrachtung eines makellosen Kadett C in leuchtendem Rot, mit verchromtem 2,2-Liter und zwei Weber-Doppelvergaser in Chrom und Rot stellt ein anonymer Opel-Connaisseur fest, und bringt damit die ganze Veranstaltung am treffendsten auf den Punkt: „Von leicht bekloppt bis total behämmert, ist hier alles vertreten!“ – Das darf als Liebeserklärung und tiefe Verbeugung verstanden werden.
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