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BMW
Sie spinnen und sind stolz darauf. Denn Männer wie Steve Swanson wissen, dass sie buchstäblich die Fäden für die Zukunft des Autos in der Hand haben. Schließlich ist der Amerikaner Werksleiter in der gemeinsamen Fabrik von BMW und SGL in Moses Lake und produziert dort jene unauffälligen schwarzen Fäden, mit denen die Bayern den Fahrzeugbau revolutionieren wollen: Kohlefasern.
Was die Kohlefasern so speziell macht, ist das einzigartige Verhältnis aus Gewicht uns Widerstandsfähigkeit. Obwohl 30 Prozent leichter als Aluminium und sogar 50 Prozent leichter als Stahl, sind Matten aus diesen Fasern schier unzerstörbar. Nicht umsonst werden aus diesen gewebten, mit speziellen Harzen getränkten und dann in Öfen unter großem Druck gebackenen Matten neben der Panzerung zum Beispiel für US-Präsident Obamas Dienstwagen auch die Chassis der Formel1-Renner hergestellt.
Dass BMW dieses bislang sehr arbeitsintensive und deshalb extrem teure Fertigungsverfahren jetzt für die Großserie industrialisieren und bei seinen Elektroautos einsetzen will, hat einen einfachen Grund. So hoffen die Bayern, dass Mehrgewicht der Batterie zu kompensieren und das Gewicht des i3 auf ein vertretbares Maß zu drücken. Diese strenge Diät würde jedem Auto guttun, ist bei Elektrofahrzeugen aber besonders wichtig. Denn je schwerer das Auto, desto größer muss der Akku sein, um eine adäquate Reichweite zu gewährleisten. Und mit jeder Kilowattstunde Kapazität steigt nicht nur der [foto id=“455937″ size=“small“ position=“left“]ohnehin schon hohe Preis der Stromer, sondern auch wieder ihr Gewicht – das ist ein Teufelskreis, aus dem BMW mit dem Karbon ausbrechen möchte.
Schließlich hat die Fabrik in Moses Lake schon 100 Millionen Dollar gekostet. 20 Millionen Euro flossen ins Werk Wackersdorf, wo die Karbonfäden zu Matten verwoben und gesponnen werden. 40 Millionen hat BMW in Landshut investiert, wo die Bayern aus diesen Matten die Karosserieelemente formen. Und für 400 Millionen Euro wird gerade das Werk Leipzig für den Bau der Karbonautos umgerüstet. Und die Entwicklung der beiden i-Modelle selbst ist da noch gar nicht mitgerechnet.
Während sie in Deutschland noch die Produktion vorbereiten, laufen in Moses Lake schon die Maschinen: Über 300 Kilogramm Karbon pro Stunde spucken die beiden Fertigungsstraßen in der schmucklosen, weißen Halle aus, die BMW und SGL ins Nirgendwo drei Stunden östlich von Seattle in den US-Staat Washington gesetzt haben. Zusammen sind das 3.000 Tonnen im Jahr, rechnet Swanson vor. Das reicht nicht nur für die bislang nicht näher bezifferte Produktion der beiden Akku-Autos i3 und i8, mit denen die Bayern zum Jahresende gleichermaßen ins Elektro- und das Karbonzeitalter starten wollen. Das entspricht auch beinahe zehn Prozent der Weltjahresproduktion an den Kohlefasern, die bislang fast ausschließlich in der Luft- und Raumfahrt, beim Bau von Sportartikeln und bei Luxusrennwagen wie dem Bugatti Veyron oder dem McLaren MP4 12C zum Einsatz kommen. Denn während pro Jahr rund 1.500 Millionen Tonnen Stahl und 46 Millionen Tonnen Aluminium gekocht, gepresst und gewalzt werden, beziffert Swanson die weltweite Produktion der Kohlenstoff-Fasern auf gerade einmal 40.000 Tonnen.
Nicht nur die Dimensionen sind völlig unterschiedlich, weil ein Stahlwerk gerne mal einen ganzen Landstrich einnimmt und die BMW-Fabrik in Moses Lake kaum größer als eine Turnhalle ist. Sondern auch die Fertigungsverfahren selbst haben kaum etwas gemein. Wo es in Stahlwerken laut, schmutzig und umtriebig zugeht, ist es in Moses Lake pieksauber und [foto id=“455938″ size=“small“ position=“right“]flüsterleise. Einzig die Hitze ist hier wie dort zu spüren. Wo Stahlwerke allerdings gerne als Vorhof der Hölle beschrieben werden, fühlt man sich in der Karbonfabrik eher wie in einer Großbäckerei: Kamps statt Krupp so zu sagen.
Die Hitze kommt von dem knappen Dutzend Öfen, in denen die haarfeinen, noch weißen Rohfasern in mehreren Schritten bei Temperaturen von bis zu 1.400 Grad förmlich verbrannt werden, bis sie schwarz, stark und leicht sind. „Bei diesem Prozess verlieren sie etwa die Hälfte ihres Gewichts“, erläutert Werksleiter Swanson und zeigt in eine etwa 300 Meter lange Halle, die aussieht, wie eine Mischung aus Backstube, Spaghetti-Fabrik und Spinnerei. Aus großen Gitterboxen gezogen, werden die Fasern dort in einer endlosen Strähne mit wechselndem Tempo durch die Hitze gezogen, mit speziellen Zusatzstoffen bedampft und so behandelt, dass die letzte Maschine im Produktionsprozess jeweils 50.000 Fasern zu einem haarfeinen Faden spinnen und auf riesige Spulen wickeln kann. Immer neun Kilo schwer und 2,7 Kilometer lang, landen sie in Containern, die von Moses Lake aus nach Wackersdorf verschifft werden. Dort strickt und webt BMW daraus Matten, die im Werk Landshut zu Autoteilen und in der Fabrik in Leipzig und dann zu i3 und i8 montiert werden.
Auch dabei hat Karbon deutliche Vorteile, sagt Jörg Pohlmann, der das Joint Venture von BMW und SGL leitet: „Die Fahrzeugproduktion wird radikal vereinfacht“. Während etwa der BMW X5 von 800 Robotern aus über 350 Blechteilen zusammen geschweißt würde, bestehe die so genannte Life-Zelle des i3 nur noch aus 30 Kohlenstoff-Komponenten, die einfach verklebt würden.
Die Arbeit in Moses Lake ist zwar sehr empfindlich, weil Temperaturschwankungen von wenigen Grad das Material zerstören können. Und reißen oder spleißen dürfen die Fasern natürlich auch nicht. Doch viel Personal muss Werksleiter Swanson dafür nicht abstellen. Obwohl die Fabrik rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche läuft, hat BMW in Moses Lake gerade einmal 50 Mitarbeiter. „Und da sind die Kollegen in der Verwaltung schon mit eingerechnet“, sagt Swanson.
Denn die Bayern hoffen fest darauf, dass sich Karbon zum schwarzen Gold der Automobilindustrie entwickelt – und in Moses Lake dann eine Art Goldrausch ausbricht. Nicht umsonst haben sie auf dem bestehenden Gelände Platz für weitere zehn Fertigungsstraßen, mit denen sie ihre Kapazität auf 33.000 Tonnen im Jahr steigern könnten. „Und auf der anderen [foto id=“455939″ size=“small“ position=“left“]Straßenseite haben wir die Option auf noch einmal so viel Land“, sagt Standortchef Swanson.
Dass Moses Lake überhaupt zur Nadel auf der BMW-Weltkarte wurde, hat nichts mit der Nähe zum Karbon-Großkunden Boeing oder mit dem Karbon-Lehrstuhl an der Universität von Seattle zu tun, sondern mit dem Columbia-River. Dort betreibt die Kommune zwei riesige Wasserkraftwerke, die viel mehr grünen Strom produzieren als die 20.000 Einwohner je verbrauchen können. Deshalb ist wird die Öko-Energie dort zum einem Spottpreis verkauft: „Hier zahlen wir drei US-Cent für die Kilowattstunde, während man uns in Wackersdorf 15 Euro-Cent in Rechnung stellt“, sagt Pohlmann. Weil bei der Faserproduktion 30 Mal mehr Energie benötigt wird als im Rest der Fertigungskette, ist BMW der Abschied aus Bayern da leicht gefallen. Und dass die Fasern eine halbe Weltreise hinter sich haben, bevor daraus in Leipzig mal ein Auto wird, ficht Pohlmann ebenfalls nicht an. „Auch das ist ein Vorteil von Karbon: Es ist buchstäblich leicht zu transportieren“. In der Kostenrechnung und der CO2-Bilanz spielt die Materiallogistik deshalb nur eine untergeordnete Rolle.
Viel mehr als die ebenso billige wie saubere Energie hat Moses Lake der Welt allerdings nicht zu bieten. Selbst der Wikipedia-Eintrag weiß über das staubige Nest kaum mehr, als dass der Stuntfahrer und Draufgänger Evel Knevel mal ein paar Jahre hier gelebt hat und dass es eine Handvoll mehr oder minder prominenter Baseball und Footballspieler gibt, die hier aufgewachsen sind. Doch geht es nach Ober-Spinner Swanson, könnte sich das bald ändern: So wie Detroit für die Industrialisierung des Autos und das Silikon Valley für die Welt der Computer und des Internets steht, so hat für ihn in Moses Lake mittlerweile das Karbonzeitalter begonnen.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 01.03.2013 aktualisiert am 01.03.2013
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