Panorama: Forschungsprojekt Brain Driver – Autofahren wie von Geisterhand

Hallo, hat der sie noch alle? Ok, das ist das abgesperrte Vorfeld des Flughafens Tempelhof in Berlin und wir sind allein auf weiter Flur. Aber muss der Fahrer deshalb bei Tempo 60 gleich die Hände vom Lenkrad und die Füße von den Pedalen nehmen? Ja, er muss. Denn Henrik Matzke, so heißt der junge Mann am Steuer des VW Passat Variant, ist Forscher an der Freien Universität Berlin und kann den Wagen allein mit der Kraft seiner Gedanken steuern. Um das zu beweisen, bittet er die Passagiere auf dem Rücksitz um ihre Zielvorgaben: Soll er den Wagen nach rechts steuern, fährt der Passat tatsächlich einen rechten Bogen. Bittet man ihn um mehr Tempo, gibt der Wagen Gas, und wenn er bremsen soll, wird auch wieder langsamer.

Was Matzke da vorführt, ist keine Zauberei und auch nicht das Training für einen Auftritt bei „Wetten dass…“. „Das ist ernsthafte Wissenschaft“, sagt Patrik Vogel aus der Projektleitung des „Autonomos“-Labors. Dort arbeiten die Forscher bereits seit einigen Jahren am so genannten autonomen Fahren. Erst mit einem umgebauten Chrysler Voyager und  jetzt mit dem VW Passat haben sie in dieser [foto id=“365000″ size=“small“ position=“left“]Zeit wiederholt bewiesen, dass ein Auto auch ohne Fahrer sicher ans Ziel finden und dabei sogar die Verkehrsregeln beachten kann. Statt Augen nutzt es ein rundes Dutzend Radar- und Laser-Sensoren, das Gehirn ist der Computer im Kofferraum, und Lenkrad oder Pedale werden elektronisch angesteuert.

‚Wohin die Reise gehen soll‘

„Das hat alles ganz ordentlich geklappt“, sagt Vogel. „Aber auch einem autonomen Auto müssen wir ja irgendwie mitteilen, wohin die Reise gehen soll.“ Die Taster und Drücker etwa des Navigationssystems erschienen den Forschern dafür offenbar zu banal. Deshalb haben sie es erst mit einem iPhone und einem iPad probiert, bei denen man einfach mit dem Finger über die Karte von Google Maps fährt, um den Kurs zu bestimmen. Dann haben sie zum Beispiel bei Kreuzungen mit einer Blickerkennung experimentiert, um beim Abbiegen zwischen Links und Rechts zu unterscheiden. Und jetzt schauen sie dem Fahrer gleich ins Gehirn.

Dafür nutzen sie eine so genannte Gehirnkappe, wie der Arzt sie für eine EEG-Untersuchung einsetzt. Mit 16 Sensoren misst sie die Hirnströme, aus denen der Bordcomputer spezielle Gedankenmuster ableiten kann. Dafür braucht Matzke keine telepathischen Fähigkeiten, und der Passat muss nicht Gedanken lesen können. Sondern der Fahrer muss einfach vier spezielle Gedanken trainieren, die er immer dann aktiviert, [foto id=“365001″ size=“small“ position=“left“]wenn er die Bewegung ändern möchte. „Schneller, langsamer, rechts oder links“, das ist alles, was den Computer interessiert. Soweit, dass der Student nur an seine Vorlesung denken muss, damit ihn das Auto zur Uni chauffiert, ist der „Brain Driver“ nämlich noch lange nicht.

Dabei muss Matze nicht die Wörter rechts, links, schneller oder langsamer denken. Sondern er könnte für jedes Kommando auch den Gedenken an eine Farbe oder eine Person hinterlegen. Wichtig ist nur, dass es immer das gleiche ist. „Denn jeder Gedanke erzeugt ein ganz charakteristisches, immer gleiches Bild an Gehirnströmen“, erläutert Matzke. Sobald der Rechner diese erkennt, kann er reagieren und das Lenkrad ein wenig drehen, Gas oder Bremse treten. Dass der Chauffeur dabei weiter spricht, wild gestikuliert und die Mine seines Gesichts spielen lässt, stört die Elektronik nicht: „Das ist eine Art Grundrauschen, das wir einfach ausfiltern.“ Trotzdem muss sich Matzke natürlich anstrengen und ordentlich konzentrieren, damit der Gedankenleser auch funktioniert. Sonst würde der Passat in dieser Versuchsanordnung stur weiter [foto id=“365002″ size=“small“ position=“left“]fahren, bis ihm der Sprit ausgeht, ein Zaun im Weg steht oder der Beifahrer den roten Knopf drückt. Deshalb wirkt Matzke am Ende einer Testrunde auch ziemlich ausgelaugt wie nach einer langen Klausur.

Testfahrt im Straßenverkehr

Zwar planen die Berliner Forscher bereits die erste Testfahrt im öffentlichen Straßenverkehr. Doch machen sie keinen Hehl daraus, dass die Serienreife im Auto noch viele Jahre entfernt ist. Trotzdem arbeiten sie intensiv weiter und wollen demnächst die ersten Ergebnisse ihrer Forschung in konkrete Produkte aus anderen Bereichen der individuellen Mobilität umsetzen, sagt Vogel: „Zum Beispiel in Rollstühlen für Querschnittsgelähmte.“ Brain Driver Henrik Matzke muss am Ende der Testfahrt trotzdem nicht nach Hause laufen. Er drückt einfach den Notaus-Knopf, nimmt die Hände wieder ans Lenkrad, stellt die Füße auf die Pedale und rollt Richtung Ausgang. Denn sobald die Elektronik abgeschaltet ist, fährt sein Passat wieder wie ein ganz normales Auto.

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