Panorama: Hindustan Ambassador – Botschafter aus einer anderen Zeit

Nein, in England war Sharma Singh noch nicht. Und mit den ehemaligen Kolonialherren seines Staates hat der Taxifahrer aus Neu-Delhi nicht mehr oder weniger am Hut als mit den Touristen aus Europa, Asien oder Amerika,  die er jeden Tag vom Flughafen in die Stadt fährt. Und trotzdem ist Singh ein Botschafter des Empire. Denn der Endvierziger fährt nicht irgendein Taxi. Sondern er fährt einen Hindustan Ambassador. Und wer bei ihm einsteigt, der fühlt sich wie mit einer Zeitmaschine zurück katapultiert in das Großbritannien von Alfred Hitchcock und Agatha Christie, als die Filme noch schwarz-weiß waren und die Gangster noch Manieren hatten. Denn obwohl dieser Ambassador gerade erst zwei Jahre alt ist, noch keine 200.000 Kilometer auf der Uhr hat und vor den Toren Kalkuttas gebaut wurde, wirkt er wie ein englischer Oldtimer aus den Fünfzigern.

Aus gutem Grund. Schließlich geht der Ambassador direkt und ohne Umwege zurück auf den Morris Oxford, der 1948 präsentiert wurde. Als die Briten die kleine Stufenhecklimousine aus den Kindertagen des [foto id=“404032″ size=“small“ position=“right“]Mini Ende der Fünfziger Jahre in den Ruhestand schickten, meldeten sich die Inder zu Wort: Sie haben die gesamte Fabrik übernommen, nach Uttarpara geschafft und dort 1958 das erste eigene Automobilwerk auf dem Subkontinent eröffnet. Aus Morris wurde Hindustan, und der Oxford wurde zum Ambassador, dem Botschafter. Sonst hat sich allerdings auf den ersten Blick wenig verändert: Noch immer gibt es an der Karosserie kaum eine gerade Linie, noch immer hat das Dach einen Buckel wie eine englische Telefonzelle, und noch immer ist die weich geschwungene Motorhaube vorne so eingedrückt, als hätte darauf ein indischer Elefant Rast gemacht

Obwohl auf dem Subkontinent jeder an den Fortschritt glaubt, alle auf ein modernes Auto sparen, und Kleinwagen wie der Suzuki Alto mit großem Abstand die Zulassungsstatistik anführen, haben [foto id=“404033″ size=“small“ position=“right“]die Inder ihren Ambassador ins Herz geschlossen. „Ride with pride – Fahre mit Stolz“, lautet nicht umsonst der Markenclaim von Hindustan: Die Inder betrachten ihn melancholisch wie ein Nachkriegsdeutscher den VW Käfer und lassen auf ihren „Amby“ nichts kommen. Allerdings sind die Zulassungszahlen dramatisch in den Keller gegangen. Während Tata & Co Jahr für Jahr zulegen, nimmt Hindustan beim Ambassador das Tempo raus. Nicht mehr mehrere Tausend Autos wie früher, sondern keine 500 mehr werden jetzt im Ninat gebaut, meldet die indische Presse.

Dennoch schwört Singh auf seinen „Amby“ und wischt den Gedanken an einen VW Vento, einen Hond Civic oder einen Chevrolet Cruze vom Tisch: „Das ist der indische Mercedes“, schwärmt der Taxifahrer – und befindet sich in guter Gesellschaft. Selbst wenn mittlerweile auch mal ein paar modernere Fahrzeuge am Taxistand warten, stellt der britische Botschafter zum Beispiel in Delhi noch immer das Gros der schwarz lackierten Mietdroschken.

Außerdem ist das erste Auto der Inder natürlich auch bei Ämtern und Behörden die erste Wahl. Der Präsident hat sich zwar gerade wieder eine Flotte von gepanzerten BMW 7er und dazu noch einen [foto id=“404034″ size=“small“ position=“right“]Schwarm X5 geordert. Doch jenseits seines Palastes sieht man im Regierungsviertel vor allem Ambassadore, die in tiefem schwarz lackiert sind und bisweilen sogar Standarten tragen. Je vornehmer die Fahrgäste, desto eleganter ist die Ausstattung. Prangen beim Basismodell noch dicke Kunststoffschoner auf den Türtafeln, gibt es für offizielle Missionen ein Hauch von Holz und Leder, Schonbezüge wie auf Omas Matratze und handgeklöppelte Vorhänge im Fond. Selbst Polizei und Rettungsdienste schwören auf den Diplomaten, der dann auch mit Blau- oder Rotlicht durch Delhi jagt.

Was für Inder früher einmal Luxus war, geht heute aber allenfalls als unterer Durchschnitt durch. Denn bequem ist der Ambassador nun wirklich nicht. Natürlich lässt Taxifahrer Singh nichts auf seinen Wagen [foto id=“404035″ size=“small“ position=“right“]kommen. Doch wenn er sich auf die durchgehende Sitzbank fallen lässt, sinkt er fast bis auf den spärlichen Teer ein, der die Straße vom Flughafen in die Stadt bedeckt. Der Platz hinter dem riesigen Lenkrad wird so knapp, dass man den Kurs mühelos mit den Knien halten kann. Jedes Mal, wenn man vom Gas auf die Bremse wechselt, muss man die Luft anhalten und den Bauch einziehen, damit man den Fuß überhaupt heben kann, und das Dach drückt einem auf den Scheitel wie ein zu groß geratener Stahlhelm – schlechte Aussicht inklusive. Im Fond sieht man zwar ein wenig besser und hat kein störendes Lenkrad zwischen den Beinen. Doch für ein Auto von 4,30 Metern Länge und stattlichen 1,60 Metern Höhe ist das Platzangebot mehr als bescheiden. Selbst ein Mini wirkt dagegen beinahe geräumig.

Auch die Fahrleistungen sind von gestern. Unter der Haube steckt ein betagter 1,8-Liter-Motor, den es in drei Varianten gibt: Als Benziner kommt er auf kaum mehr als 70 PS, und wer an der Tankstelle sparen will, kauft den Ambassador wie die meisten Taxifahrer mit Erd- oder Flüssiggasumrüstung und noch etwas weniger Leistung. Außerdem bieten die Inder mittlerweile auch zwei Diesel mit 1,5 und 2,0 Litern Hubraum an. Im Stadtverkehr von Delhi ist die Antriebskraft egal. Denn so langsam wie der Verkehr dort fließt, könnte man den Ambassador wahrscheinlich auch schieben.

Doch vor den Toren der Millionen-Metropole braucht man bei bestenfalls 135 Nm Drehmoment die Geduld eines indischen Elefanten: Gas geben und abwarten heißt die Devise, wenn der Motor aufheult und man im ersten Gang eine Steigung hinauf schleicht, die man in jedem aktuellen Auto für eine Ebene halten [foto id=“404036″ size=“small“ position=“right“]würde. Bis der Ambassador auf Tempo 100 beschleunigt, dauert es deshalb eine gefühlte Ewigkeit, und die 160 km/h auf dem Tacho sind ein schlechter Scherz: Wesentlich mehr als 120 Sachen läuft der alte Botschafter auch mit viel Schwung nicht. Und dabei poltert er so jämmerlich über die schlechten Straßen, dass man im Fond am liebsten nach einem Spuckbeutel suchen würde. Außerdem wankt man im Ambassador durch die Kurven, als sitze man zwischen den Höcker eines Kamels. Dafür allerdings hat der Wagen so viel Bodenfreiheit, dass er klaglos durch die tiefsten Furchen rumpelt und über die unzähligen aufgeklebten Temposchwellen holpert, als seien sie nicht viel mehr als gelb-schwarz gestreifte Schatten. Außerdem sind die Bremsen für indische Verhältnisse fast schon sensationell. Wir Europäer würden über den Hauch von Verzögerung zwar milde lächeln. Doch in Delhi ist man so viel Schlechteres gewohnt, dass auf vielen Ambassadoren eigens ein Warnhinweis prangt: Attention! Power Brakes!

 

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