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Mercedes-Benz
Erst ist es mucksmäuschen still hier unten im Keller des Mercedes-Werkes in Sindelfingen. Dann peitschen kurz hintereinander drei Schüsse durch den schummrig ausgeleuchteten Raum, und über das Gesicht des Ingenieurs huscht ein zufriedenes Lächeln. Während seinen Gästen noch der Schreck in den Gliedern steckt, kann er es kaum erwarten, bis sich der Pulverdampf verzogen hat. Schnell öffnet er die Stahltür, läuft in den Schießstand und begutachtet die armdicke Glasscheibe, auf der gerade die drei Gewehrkugeln eingeschlagen sind. Von vorn sieht man nur noch Millionen von feinen Rissen, pulverisierte Splitter und weißes Mehl, das aus den tiefen Löchern rieselt. „Doch auf der Rückseite ist die Scheibe völlig unversehrt“, sagt er zufrieden, während seine Finger sanft über das glatte Glas streichen.
Was auf den ersten Blick aussieht wie eine eindrucksvolle Demonstration im Physikunterricht, ist für die Schwaben eine todernste Angelegenheit. Denn die Beschussprüfung hier unten in dem gerade frisch modernisierten Schießstand ist eine der wichtigsten Stationen bei der Entwicklung der so genannten Guard-Modelle. Das sind die Sonderschutzfahrzeuge aus Sindelfingen, mit denen Mercedes seit mittlerweile über 80 Jahren Leib und Leben prominenter Kunden schützt, die bei Sicherheit im Auto nicht an Crashs, sondern an Kugeln denken.
Gebaut werden diese Panzerwagen in Samt und Seide nicht von Robotern auf dem normalen Band, sondern von Hand in einer Manufaktur in Sindelfingen. Und die hat gut zu tun. Zwar will Produktmanager Markus Nast nicht verraten, wie viele der 30.000 Fahrzeuge, die pro Jahr [foto id=“521059″ size=“small“ position=“right“]von Herstellern und Nachrüstern in den unterschiedlichsten Schutzklassen verkauft werden, tatsächlich von Mercedes kommen. Und selbst die exakte Zahl der Mitarbeiter ist streng geheim. Doch wer sich bei einem der seltenen Besuche in der zweigeschossigen Halle umschaut, der sieht weit über 100 Mechaniker, die an mindestens ebenso vielen Fahrzeugen arbeiten. Erst recht in diesen Tagen, wo – ein Jahr nach dem Generationswechsel der S-Klasse jetzt auch das Flaggschiff der Schwaben wieder zum Hochsicherheitsobjekt aufgerüstet wird und die ansonsten aus E-Klasse, M- und G-Klasse bestehende Guard-Flotte nach oben abrundet. Schließlich gehören nicht nur Spitzenbeamte, Militärs, Minister und Top-Manager zu den Kunden, sagt Nast. Seit Mercedes 1935 den ersten Guard für den japanischen Kaiser Hiroito gebaut hat, gehören die Schwaben auch zu den Haus- und Hoflieferanten von rund 90 Regierungen und Königshäusern – da ist der S Guard dann gerade gut genug.
Das Gros der weltweiten Panzerflotte hat allerdings nicht das Niveau der S-Klasse oder der vergleichbar angebotenen Konkurrenzmodelle von BMW und Audi. Die meisten Autos haben eine niedrigere Schutzklasse und werden oft nachträglich umgerüstet: Solche Autos fährt man nicht, weil man sich vor Terrorangriffen, sondern vor allem vor Zufallskriminalität wappnen möchte, wie sie in Südamerika an der Tagesordnung ist, erläutert Nast „Da reicht es, wenn einem an der Ampel niemand mit einer Pistole an der Seitenscheibe drohen kann“, skizziert der Produktmanager das übliche Verbrechenszenario.
Doch wer wirklich um Leib und Leben fürchtet und von Berufswegen im Kreuzfeuer steht, der kauft Autos wie den neuen S Guard. Dar Luxusliner mit der harten Schale basiert auf der Langversion des S 600 und kostet schnell mal 200.000 Euro mehr als das Serienmodell, verrät Nast. „Doch dieses Geld ist gut angelegt“, sagt der Mercedes-Manager und zeigt Zweiflern die ansonsten streng geheime Produktion im Werk Sindelfingen: In der Manufaktur, in der Mercedes auch den Maybach [foto id=“521060″ size=“small“ position=“left“]gebaut hat, werden binnen drei Monaten bereits im Rohbau der Karosserie weitgehend von Hand rund 500 zum Teil Zentimeter dicke Stahlplatten eingeschweißt und geschraubt, die aus der Fahrgastzelle einen nahezu hermetisch abgeriegelten Sicherheitskäfig machen.
„Der ist so hart, dass selbst Hochgeschwindigkeitsgeschosse aus einem militärischen Gewehr daran förmlich pulverisiert werden“, sagt Nast und zieht zum Beweis ein gerade beschossene Stahlplatte hervor, die man nur abstauben und neu lackieren müsste, bevor man sie wieder einsetzt. Dazwischen kleiden sie die Karosserie mit speziellen Aramid-Matten aus, aus denen auch die Schusssicheren Westen der Polizei gemacht werden. Und statt der konventionellen Scheiben setzten sie eben jenes Panzerglas ein, das zuvor im Schusskanal getestet wurde. Die ist dann nicht mehr einen, sondern zehn Zentimeter dick und die Frontscheibe wiegt bald drei Zentner. Kein Wunder, dass zum Beispiel in den Türen hydraulische Fensterheber benötigt werden, weil die normalen E-Motoren dieses Gewicht gar nichtstemmen könnten.
Aber die Mühe lohnt sich. Denn so entsteht eine Schutzzone, die mit herkömmlichen Waffen nicht zu knacken ist“, sagt Nast. Wer ihm das nicht glaubt, dem zeigt er gerne eine Urkunde des Beschussamtes in Ulm. Diese Behörde ist eine Art staatlicher TÜV für alle Themen rund um Waffen und hat die Guard-Modelle während der Entwicklung auf Herz und Nieren getestet: Zwischen 400 und 500 Schüsse haben die Beamten auf die Limousine abgegeben und dabei vor allem auf vermeintlich neuralgische Punkte wie den Übergang von Tür und Karosserie gezielt. Zwar sah das Auto danach aus wie ein Schweizer Käse, doch sind weder Projektile noch Splitter in den Innenraum gedrungen. Danach haben die Mercedes-Entwickler noch je zwei Handgranaten auf dem Dach und unter dem Boden gezündet und zudem noch eine Sprengladung aktiviert, während so genannte Dummies im Wagen saßen. Ergebnis der Messung: Hätten statt der Puppen echte Politiker im Auto gesessen, wären sie mit dem Schrecken davon gekommen.
Man muss nicht König, Kaiser oder Kanzler sein, um einen Guard zu fahren. „Denn im Prinzip kann diese Autos bei uns jeder bestellen“, sagt Produktmanager Nast. Aber nicht jeder wird auch einen bekommen. Nicht nur, weil die Produktionskapazitäten limitiert sind. Sondern auch, weil der Hersteller seine Kunden auf einen einwandfreien Leumund hin überprüft. Gepanzerte Geländewagen zum Beispiel fallen teilweise unter das Kriegswaffenkontrollgesetz und benötigen deshalb eine spezielle Ausfuhrgenehmigung. Und bei allen anderen Guard-Modellen gibt es in den jeweiligen Ländern eine gründliche [foto id=“521061″ size=“small“ position=“right“]Prüfung durch die Vertriebsorganisation, sagt Nast. Ob gut oder böse oder wenigstens politisch korrekt, diese Entscheidung kann und soll ein Autohändler nicht beantworten. Doch zumindest werden Guard-Modelle nicht an Kriminelle oder über schwarze Kassen verkauft.
Immer mal wieder kommen Nast da auch ungewöhnliche Wünsche unter. Zwar baut seine Mannschaft schon jetzt auch Frischluftanlagen ein, die vor Giftgas-Angriffen schützen, installiert automatische Feuerlöschsysteme, schusssichere Tanks und Reifen mit Notlaufeigenschaften. Wer die nötigen Genehmigungen vorlegt, bekommt auch versteckte Blink- oder Blaulichter, Sirenen oder Lautsprecher, und aus der Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt weiß Nast von ein paar speziellen aber leider streng geheimen Extras zum Beispiel für die verschlüsselte Datenkommunikation der Regierung. Doch Systeme zur aktiven Gegenwehr gibt es in den Guard-Modellen genau so wenig, wie Türgriffe, die man unter Strom setzen kann, Nebelwerfer oder Ölkanonen, mit denen man Verfolger abschüttelt oder Krähenfüße, die man aus dem Fahrzeugheck fallen lässt, winkt Nast kategorisch ab: „Wir sind hier schließlich bei Mercedes-Benz, nicht bei James Bond.“
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 01.08.2014 aktualisiert am 01.08.2014
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