Mercedes-Benz

Panorama: Mercedes Sprinter „Jet Van“ – Privatflieger auf Rädern

Rumms! Mit einem satten Schnalzen gleitet die Schiebetüre zu und sperrt den ganzen Trubel einfach aus. Wo man eben sein eigenes Wort nicht mehr verstanden hat, herrscht jetzt eine fast gespenstische Ruhe und mit jedem Augenblick fällt etwas mehr von der Anspannung des Alltags ab: Je tiefer man in die Ledersitze gleitet, je sanfter einem die Massagepolster den Rücken kraulen und je mehr die Klimaanlage der schwüle Luft herunter kühlt, desto weiter rückt die Welt da draußen in die Ferne.

Dass man eben noch auf einer tosenden Straßenkreuzung oder wie in unserem Fall auf einem belebten Messestand gewesen ist, hat man da längst vergessen. Und dass sich die ganze Luxuslounge plötzlich in Bewegung setzt, bemerkt man erst, wenn man die elektrischen Jalousien ein wenig nach oben surren lässt.

Denn die 20 Quadratmeter große Wellness-Oase ist keine geheime Trend-Location in Manhattan oder Hollywood. Sie hat Räder, einen Motor und ein Lenkrad. Und wer sie von außen sieht, könnte sie glatt mit einem Lieferwagen verwechseln. Schließlich sitzen wir in einem Mercedes Sprinter. Allerdings nicht in irgendeinem x-beliebigen Exemplar der knapp 20.000 Kleinlaster aus Düsseldorf, die Mercedes mittlerweile [foto id=“415921″ size=“small“ position=“left“]jedes Jahr auch in Amerika verkauft. Wir sitzen in einem „Jet Van“ von Becker Automotive in Oxnard bei Los Angeles.

Die Firma ist spezialisiert darauf, aus normalen Autos besondere zu machen und hat den Sprinter für sich als neues Basis-Modell entdeckt. „Immer mehr Menschen sind die herkömmlichen Stretch-Limousinen leid“, sagt Firmenchef Howard Becker. Klar hat man damit beim Junggesellenabschied in Las Vegas oder der Filmpremiere in Hollywood keinen ganz so glamourösen Auftritt wie mit einem acht Meter langen Hummer oder einem Lindwurm von Limousine, der von innen funkelt wie Sindbads Schatzkammer. Deshalb suchen die Chauffeurdienste auch weiter händeringend nach den letzten Exemplaren des Lincoln Towncar, das als Mutter aller Stretchtlimos gilt, aber schon seit geraumer Zeit nicht mehr produziert wird.

Doch wer seine Limousine nicht allein für die den kurzen Moment der Ankunft braucht, sondern vor allem für eine bequeme Reise, der entdeckt Kleinbusse wie den Sprinter immer öfter als kommode Alternative, berichtet Becker: „Man kann schließlich viel bequemer einsteigen, kann drinnen fast aufrecht stehen, hat mehr Platz auf den Sitzen und vor allem mehr Möglichkeiten bei der Ausstattung“. Für ihn ist es deshalb kein Wunder, dass immer mehr Limousinen-Dienste in Amerika auf den Transporter aus Düsseldorf setzen und die Superreichen von der Ost- und Westküste bei ihm ihren eigenen Fuhrpark aufstocken. Allein nach [foto id=“415922″ size=“small“ position=“right“]New York verkauft er jedes Jahr ein halbes Dutzend Autos an Menschen, „die für den Sprinter auch mal den Maybach oder die S-Klasse in der Garage lassen“. Und im Großraum Los Angeles, wo der Verkehr noch dichter ist und die Staus noch länger werden, sind es noch ein paar mehr.

Was jemand wie Howard Becker alles aus einem nüchternen Kleinbus machen kann, hat er gerade mit dem „Jet Van“ auf der New York Motorshow demonstriert. Wo sonst wie im Stadtbus bald ein Dutzend Menschen Platz finden, thronen jetzt vier helle Ledersessel, von denen jeder ein normales Wohnzimmer sprengen würde. Sie stehen auf Holzdielen wie in einem englischen Landhaus, sind klimatisiert und können massieren und mit einem Knopfdruck werden sie zur bequemen Liege.

Wer sich davon und vor allem vom Ambiente aus Lack, Leder und Leuchten an manchen Privatjet erinnert fühlt, liegt nicht daneben, sagt Becker: „Viele Kunden wollen ihr Auto genauso wie ihr eigenes Flugzeug gestaltet haben.“ Also kriecht der Kalifornier erst einmal ein paar Stunden durch die Learjets der Superreichen, lässt sich inspirieren, tauscht sich mit den Flugzeugherstellern aus und kauft am Ende bei [foto id=“415923″ size=“small“ position=“left“]den gleichen Zulieferern ein. „Wären statt Rädern Flügel dran, würde man den Unterschied deshalb kaum merken“, witzelt Becker mit einem dicken Augenzwinkern.

Zwar ist man mit dem Jet Van nicht ganz so schnell unterwegs, und auch wenn Becker an der Hinterachse eine neue Luftfederung montiert, geht es auf den Straßen von Los Angeles oder Manhattan etwas holpriger zu als am Himmel von Kalifornien oder Colorado. Doch bei der Technik ist der Luxusliner am Boden dem Learjet in der Luft sogar überlegen. Mit viel Elektronik aus dem Militär baut Becker komplexe Steuerzentralen in die Konsolen, über die man mit einem Fingerzeug tausende von Kinofilme auf die großen Monitore holen, Videokonferenzen abhalten, den Bus in eine Disco auf Rädern oder eine mobile Spielhölle verwandeln kann. Doch in der Regel steht seinen Kunden gar nicht der Sinn nach derart lasterhaftem Zeitvertreib. Deshalb beschränkt sich Becker zum Beispiel auch auf ein simples Barfach statt einer pink illuminierten Schrankwand mit Dutzenden von Gläsern aus Kristallimitat.

„Wer unsere Fahrzeuge kauft, ist in der Regel kein Showstar und kein Musiker, sondern ein seriöser Geschäftsmann“, sagt der Firmenchef. Am Wochenende fährt die Familie deshalb mit dem Sprinter aufs Land und unter der Woche lässt sich Papi damit ins Büro kutschieren. Damit der Arbeitstag etwas früher anfängt und der Feierabend zu Hause tatsächlich beginnen kann, baut Becker in solchen Fällen bündelweise Datenleitungen ein, installiert mehr Rechenleistung als die Raketenzentrale in Cape Caneveral und mehr Bildschirme  als im Headquarter von CNN hat. „Es fehlt nicht viel, dann arbeitet man hier besser als im Büro“, prahlt der Umrüster. Auf jeden Fall bekommt das Pendeln so endlich einen Sinn, behauptet Becker: „Wir machen aus zwei Stunden Fahrzeit zwei Stunden Arbeitszeit.“

All das hat natürlich auch seinen Preis, räumt Becker ein: Den nackten Sprinter gibt’s in Amerika schon für 36.000 Dollar, die Basisversion für die Umrüstung kostet etwa 50.000 Dollar. Aber für den Jet Van werden [foto id=“415924″ size=“small“ position=“right“]mindestens 250.000 Dollar fällig. „Und das ist erst der Anfang unserer Preisliste“, sagt Becker weiter.

Dass der Sprinter überhaupt in Amerika angeboten wird, war so eigentlich gar nicht geplant. Denn als Daimler noch mit Chrysler vermählt war, lief der Transporter aus good old Germany noch als Dodge. Als mit der Trennung auch der Vertriebskanal gekappt wurde, mussten wir uns etwas Neues überlegen, sagt Claus Tritt, der den Sprinter-Verkauf in den USA verantwortet. Ihn einfach so in die Mercedes-Showrooms zu stellen, war den US-Managern anfangs ein Gräuel. Denn wo man in Europa an die Nutzfahrzeuge mit Stern gewöhnt ist, wollte man einem S-Klasse-Fahrer den Anblick des Sprinters in Amerika ersparen. Schließlich hat Mercedes dort das Geschäft mit den Trucks bereits 1982 eingestellt. „Doch die Sorgen haben sich mittlerweile in Luft aufgelöst“, freut sich Tritt. Nicht nur der Pkw-Verkauf läuft besser denn je und hat unter der Angebotserweiterung ganz offensichtlich nicht gelitten. Auch der Sprinter kommt augenscheinlich gut an. Der Marktanteil in dem etwa 200.000 Fahrzeuge starken Segment liegt zwar noch deutlich unter zehn Prozent. Doch die 16.700 Zulassungen aus 2011 sind gegenüber dem ersten Jahr schon ein Plus von 94 Prozent.  Und auch das Image ist besser als erwartet. In Hollywood ist der Sprinter zum Lieblingsauto der Luxuskuriere und Poolboys avanciert, berichten sie bei Mercedes. Und mit Fahrzeugen wie dem „Jet Van“ geht der Aufstieg munter weiter, sagt Tritt: „Für manche Kunden ist der Sprinter so eine echte Alternative zum Maybach.“

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