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Nissan
Es regnet und Ben Bowlby ist nervös. Denn richtig testen kann der Renningenieur bei diesem Wetter nicht. Klar, irgendwann wird hier zwei Stunden nördlich von London schon wieder die Sonne scheinen. Doch zum Warten hat Bowlby keine Zeit. Es sind schließlich nur noch wenige Tage, dann soll der Brite aller Welt beweisen, wie die Zukunft des Motorsports aussehen könnte. Dann beginnen die 24 Stunden von Le Mans und mit der Startnummer 0 geht ein Auto auf die Strecke, dass unter den anderen Rennwagen wirkt wie ein Raumschiff auf Rädern: Der Nissan Deltawing.
Was den Deltawing, der jetzt auf dem Racetrack von Snetterton wie ein U-Boot durch Gischt und Regen sticht, so einzigartig macht, ist zu allererst seine Form. Denn der Wagen ist kein Flügelmonster wie die LMP2-Boliden von Audi und Toyota oder die aktuellen Formel1-Rennwagen. Er ist ein einziger Flügel und sieht deshalb eher aus wie eine Concorde als eine Corvette. „Wir wollten ein Auto bauen, das doppelt so effizient ist wie alle anderen Rennwagen“, fasst Konstrukteur Bowlby die Ausgangslage des Projektes zusammen. „Weil man aber aus einem normalen Motor nicht einfach die doppelte Kraft oder den halben Verbrauch zaubern kann, mussten die anderen Parameter angepasst werden“, sagt Bowlby als wäre es das [foto id=“419778″ size=“small“ position=“left“]einfachste der Welt, Gewicht und Luftwiderstand zu halbieren. Aber genau das musste er machen, wenn er sein Ziel erreichen wollte.
Deshalb sticht der Deltawing jetzt wie eine Nadel in den Wind, hat die Vorderräder dort, wo ein Formel1-Fahrer seine Füße hat und kommt auf einen cw-Wert von .31. „Die üblichen Prototypen haben .5 oder .6“, schwärmt der Konstrukteur und rattert gleich noch ein paar Vergleichszahlen herunter. Seine Vorderräder sind so schmal wie die der Ente und wiegen nicht einmal die Hälfte der Walzen am aktuellen Audi-Renner. Das Auto ist viel schmaler als die aktuellen Rennwagen und es ist natürlich leichter: „475 Kilo ohne Fahrer“, sagt Bowlby stolz. „So wenig wiegt kein anderes Auto in Le Mans.“
Entsprechend reicht ihm ein kleinerer und vor allem leichterer Motor. Wo die Prototypen in Le Mans sonst mit sechs oder acht Zylindern, bis zu sechs Litern Hubraum und über 500 PS fahren, steckt ganz hinten im Heck des Deltawing ein 1,6 Liter großer Turbo-Direkteinspritzer von Nissan, wie er auch im Juke zum Einsatz kommt. Na ja, beinahe zumindest. Denn natürlich ist das 75 statt 150 Kilo schwere Kraftpaket ein standfesterer Rennmotor, und natürlich leistet er nicht nur 190, sondern immerhin 300 PS.
Obwohl kaum mehr als halb so stark, kann der Deltawing damit mühelos an den LMP2-Prototypen dran bleiben und ihnen vielleicht sogar davon fahren, sagt Bowlby. Immerhin liegt der Topspeed bei 300 km/h, und auch wenn es im Rennen keinen interessiert: Aus dem Stand auf 100 km/h würde der Tiefflieger in deutlich weniger als drei Sekunden beschleunigen. Und was noch viel wichtiger ist bei einem 24-Stunden-[foto id=“419779″ size=“small“ position=“right“]Rennen: Der Deltawing muss nicht so oft an die Box: Mit seinem geringeren Gewicht hat er wenige reifenverschleiß und mit dem kleineren Motor braucht er nicht so viel Sprit.
Das Projekt selbst ist schon ein wenig älter. Doch die ersten drei Jahre hat Bowlby nur am Computer gearbeitet, berechnet und simuliert. Erst als ihn l’Automobile Club de l’Ouest die für Forschungsfahrzeuge und Innovationsträger reservierte „Garage 56“ angeboten hat, wurde es Ernst. „Dummerweise war die Zeit da schon verdammt knapp“, erinnert sich Bowlby. Und gebaut werden musste der Deltawing schließlich auch noch. Das erste Rollout in der kalifornischen Wüste hatte das Batmobil deshalb erst im März. „Und genau 101 Tage später sollen wir in Le Mans starten“, sagt Bowlby und schüttelt mal wieder mit dem Kopf. Wir müssen völlig verrückt sein.“ Das sagt mittlerweile Bowlbys Familie. Denn seit er am Deltawing arbeitet, hat er kaum mehr einen Tag frei gemacht. „Und an Urlaub war während des Projekts nicht zu denken“, räumt er ein.
Doch wie es am Ende wirklich ausgeht, kann Bowlby noch nicht abschätzen. Denn erstens bricht der Delatwaing nicht nur mit allen Traditionen im Motorsport, sondern auch mit allen Regeln der FIA und fährt deshalb außer Konkurrenz. Und zweitens hat Bowlby so recht keine Ahnung, ob sein Wagen über die volle Distanz durchhält. Zeit für einen entsprechend langen Testlauf zum Beispiel gibt es deshalb einfach nicht. „Ob der Wagen 24 Stunden hält, werden wir erst in Le Mans wissen.“ Weil es auch sonst noch viele [foto id=“419780″ size=“small“ position=“left“]Fragezeichen gibt, macht sich Bowlby keine allzu großen Hoffnungen: „Wenn unsere Zeiten und unser Tempo stimmen, dann ist jede Runde schon ein Gewinn. Egal ob wir am Ende ins Ziel kommen oder nicht“, stapelt der Konstrukteur tief.
Wenn der Wagen nach ein paar Stunden ausfällt, ist Bowlby deshalb nicht böse. Aber wenn er sich bewährt, sieht er für den Deltawing durchaus eine große Karriere. Als neues Auto für eine neue Rennserie, oder vielleicht sogar als Straßenfahrzeug: „Es gibt keinen Grund, warum man den nicht zugelassen bekommen sollte.“ Aber egal wie die Sache am 16. Und 17. Juni ausgeht, Bowlby weiß schon jetzt, was er nach den 24-Stunden von Le Mans macht: „Den ersten Urlaub nach mehr als drei Jahren.“
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 25.05.2012 aktualisiert am 25.05.2012
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