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„Schatz, lass es langsam angehen“. Ein flehender Blick, eine zärtliche Geste, ein kurzer Kuss, dann setzt Gay Smith seinen Helm auf und startet den Motor. Es langsam angehen lassen? Diesen frommen Wunsch wird er seiner Frau kaum erfüllen können. Schließlich fährt er das Pace Car beim 91. Pikes Peak International Hill Climb – dem berühmtesten Bergrennen der Welt.
Vor ihm liegen 19,9 Kilometer, die über 156 Kurven und rund 1.500 Höhenmeter auf Amerikas meistbesuchten Ausflugsberg führen. Und während die zigtausend Touristen im Jahr für diese Fahrt auf 4.301 Meter in der Regel eine knappe Stunde brauchen, will Gay das mit seinem nagelneuen Range Rover Sport in weniger als einer Viertelstunde schaffen. Immerhin hält der 375 kW/510 PS starke Geländewagen seit ein paar [foto id=“473526″ size=“small“ position=“left“]Wochen hier am Berg den Rekord für Serienfahrzeuge, für den Gays Kumpel Paul Dallenbach den eiligen Engländer in 12 Minuten 35 Sekunden und 61 Hundertsteln auf den Gipfel geprügelt hat.
Ganz so wild will Gay es zwar an diesem Morgen nicht treiben, auch wenn wahrscheinlich keiner die Strecke besser kennt als er. Schließlich war er 16, als er das erste Mal beim Hill Climb angetreten ist. Heute ist er fast 70 Jahre alt und sicher schon mehr als 1.000 Mal hinauf gefahren. „Ich kenne die Strecke im Schlaf und könnte sie wahrscheinlich auch blind fahren“, sagt Gay. Aber die Rekordjagd überlässt er heute anderen. Er lässt den Range Rover zwar mächtig ausschreiten und nutzt die maximal 625 Nm des fünf Liter großen V8-Motors, um auf den kurzen Geraden zwischen den engen Kurven ganz geschmeidig auf 150, 170 oder 200 km/h zu beschleunigen.
Und er freut sich daran, dass bei 510 PS auch jenseits von Streckenabschnitten wie Glen Cove oder Devils Playground noch genügend Power bleibt, selbst wenn die Luft für den Kompressor jenseits von 3.000 Metern langsam dünn wird und der Motor bis zum Gipfel rund ein Drittel ihrer Leistung einbüßt. Doch er soll ja nur das Feld anführen und zum letzten Mal schauen, ob die Zuschauer, die seit den frühen Morgenstunden zu tausenden auf den Berg strömen, wirklich Platz gemacht haben auf dem dünnen Asphaltstreifen, der sich hier entlang des steilen Abgrundes in den [foto id=“473527″ size=“small“ position=“right“]Himmel zieht . „Höchstens 80 Prozent“, will er deshalb geben, hat er seiner Frau versprochen.
Doch wer diese 80 Prozent neben Gay Smith auf dem Beifahrersitz erlebt, der macht auf dem Weg Richtung Himmel seinen ganz persönlichen Höllenritt. Festgezurrt mit Hosenträgergurten kauert man im Käfig, den die Ingenieure zur Sicherheit in den Geländewagen geschweißt haben. Die engen Hosenträgergurte schneiden ins Fleisch, wenn Gay am Kurvenausgang Gas gibt und vor der nächsten Kurve in die Eisen steigt. Und der behelmte Kopf schlackert wild, als der Pacecar-Fahrer die Serpentinen Richtung Himmel erklimmt. In den Ohren das Brüllen des Achtzylinders und vor den Augen erst dichte Wälder, dann links nur noch Felsen, rechts tiefe Schluchten und voraus nicht viel mehr als der blaue Himmel und die Wolken, die dem Rennen seinen Beinamen gegeben haben: Das „Race to the Clouds“ wird so zu einer Grenzerfahrung, die einem fast die Sinne raubt. Nur gut, dass Gay wenigstens all seine Sinne beisammen hat.
Doch Gays Gipfelsturm, der am Ende um die 14 Minuten dauert, ist nichts als eine gemütliche Spritztour gegen das, was jetzt in seinem Rücken passiert. Denn kaum ist das Pace Car auf dem staubigen Plateau angekommen, beginnt 1.500 Höhenmeter weiter unten das eigentliche [foto id=“473528″ size=“small“ position=“left“]Himmelfahrtskommando: Mehr als 80 Motorräder und über 60 Autos nehmen die Strecke in Angriff und auch dieses Mal werden die Rekorde reihenweise purzeln.
„Das Rennen wird von Jahr zu Jahr schneller“, sagt Organisator Tom Osborne. Seit die früher noch staubige Schotterpiste durchgehend asphaltiert ist, bringen die Autos ihre Leistung besser auf den Boden und die Bestzeiten halten oft nur noch ein Jahr. Jahrzehntelang zum Beispiel sind die Gipfelstürmer vergebens gegen die Zehn-Minuten-Grenze angerannt, erst 2011 wurde sie vom Japaner Nobuhiro Tajima gebrochen und bis zu diesem Rennen haben es nur fünf Fahrer in den legendären „Nine-Minute-Club“ geschafft. Doch am letzten Wochenende im Juni kamen gleich sieben Fahrer mit einer einstelligen Zeit ins Ziel – und hatten doch keine Chance auf den Sieg.
Denn den sichert sich ausgerechnet ein Rookie, ein Neuling am Berg, der diese 156 Kurven heute zum ersten Mal in einem Rutsch durchgefahren ist und gleich ein Ergebnis für die Ewigkeit abgeliefert hat. Sébastien Loeb. Der neunfache Rallye-Weltmeister hat in seinem 875 PS starken Peugeot 208 einen denkwürdigen Einstand unter den Himmelsstürmern gegeben und sich mit irrwitzigen 8:13:878 Minuten ins Gipfelbuch [foto id=“473529″ size=“small“ position=“right“]eingetragen, in dem vor ihm schon so berühmte Namen wie Walter Röhrl, Michel Mouton und vor allem die Peugeot 405-Fahrer Ari Vatanen und Bobby Unser stehen.
„Das ist eine Wahnsinnszeit“, sagt Pacecar-Fahrer Gay und lässt noch einmal die Geschichte das Bergrennens Revue passieren, das zum ersten Mal 1916 gestartet wurde und damit nach den Indy 500 die älteste noch immer ausgetragene Motosportveranstaltung der Welt ist. Auf den Weg geschickt, um Werbung für die nagelneue Straße auf den Ausflugsberg zu machen, brauchten die Rennwagen damals noch fast 21 Minuten – in der Zeit wäre „Super-Séb“ mit seinem Peugeot wahrscheinlich bis auf den Mt. Everest gefahren, sagt Smith, der auf brav auf dem Plateau wartet, bis auch der letzte Fahrer oben angekommen ist. Dann lässt er wieder seinen V8-Motor aufheulen, setzt sich die Spitze des Feldes und führt die Himmelstürmer zurück auf den Boden der Tatsachen. Der Helm bleibt dabei unten ab und die Hosenträger-Gurte offen: Denn diesmal lässt es Gay tatsächlich langsam angehen. Das hat er seiner Frau schließlich versprochen.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 05.07.2013 aktualisiert am 05.07.2013
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