Panorama: VW Clubs in Argentinien – Freunde fern der Heimat

Viel los ist nicht an diesem Sonntag in Pacheco. Der Regen prasselt vom grauen Herbsthimmel und im Foyer der Hauptverwaltung des VW-Werkes schlägt ein einsamer Wachmann die Zeit und ein paar Fliegen tot. Doch plötzlich bricht vor den Toren der Fabrik die Hölle los und es knattert derart laut, dass man kaum mehr sein eigenes Wort versteht. Draußen vor dem nüchternen Zweckbau bringt sich lautstark eine Flotte von Oldtimern in Stellung, deren Boxermotoren nicht viel von der Sonntagsruhe halten: Die VW-Clubs fahren auf und Käfer & Co haben plötzlich wieder Hochkonjunktur.

Natürlich gibt es solche Szenen überall auf der Welt, die Begeisterung für alte Autos kennt keine Grenzen und wahrscheinlich kann einem das auch in Wolfenbüttel oder Wolfsburg passieren. Doch so liebevoll und leidenschaftlich wie in Südamerika werden alte Volkswagen kaum irgendwo sonst verehrt. Denn während bei uns fast jeder Oldtimerfan still und heimlich von einem Flügeltürer oder zumindest einem alten Porsche 911 träumt, sind andere Klassiker für das Gros der Südamerikaner in der Regel unerreichbar. [foto id=“486705″ size=“small“ position=“right“]Schon für einen alten Volkswagen müssen sie tief in die Tasche greifen. „Außerdem ist der Käfer für uns kein deutsches, sondern ein durch und durch argentinisches Auto und steht bei uns deshalb auch besonders hoch im Kurs,“ sagt Fernando E. Pisano, der den VW Club do Brasil leitet. „Immerhin wurde der Wagen, den alle nur Escarabajo nennen, hier seit 1951 produziert.“ Das gilt natürlich auch für den T2, dem hier als „Kombi“ gehuldigt wird.

Organisiert sind die VW-Fans in bald zwei Dutzend Clubs mit so klangvollen Namen wie Movimiento Aircooled, Sumando Volkswage oder Asociason Amigos del Escarabajo Argentina. Und natürlich hat jeder Club seine Eigenheiten. Doch wo sich Oldtimer-Vereine überall sonst auf der Welt gerne separieren und eifersüchtig auf ihre Eigenständigkeit achten, gibt es bei den VW-Fans in Argentinien einen regen Austausch. „Wir sind einfach zu wenige und haben mit zu vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, als das wir uns so einen Egoismus leisten könnten“, sagt Christian, der jetzt schon 10.000 Kilometer mit seinem 1960er Escarabajo unterwegs ist und jeden alten Käfer aufkauft, der ihm unter die Finger kommt.[foto id=“486706″ size=“small“ position=“left“]

Dass man am Wochenende mal eben 500 Kilometer zum Treffen eines anderen Clubs fährt ist deshalb genauso selbstverständlich wie die Hilfe bei der Ersatzteilsuche oder bei der Montage eines neuen Motors: „Die Infrastruktur ist bei uns nicht gerade bestens“, klagt Christian, „und viele Teile müssen wir überall in der Welt zusammenkaufen.“ Das ist einer der wenigen Punkte, bei denen sich die Clubs auch über ein wenig mehr Hilfe des Herstellers freuen würden, der sie sonst zumindest bei ihren großen Treffen freundlich unterstützt und die Arbeit ein wenig koordiniert. „Aber einen direkter Draht zum Beispiel zur deutschen Sammlerszene, der würde uns schon helfen“, sagt Clubchef Pisano.

Wie groß die Szene der VW-Fans in Argentinien ist, kann man an jedem beliebigen Wochenende sehen. Denn fast immer und überall gibt es irgendwo eine Ausfahrt oder ein Treffen, bei denen Käfer & Co durch die Pampa knattern. Und einmal im Jahr kommt die ganze Szene zusammen. Dann sind schnell 300, 400 Autos beieinander, die im Corso zum Beispiel durch Buenos Aires rollen und mal eben den Verkehr auf der Avenida Nueve de Julio lahmlegen. „Was für ein grandioses Erlebnis“, erinnert sich Pisano.

Was im Gespräch mit Männern wie Pisano neben der Begeisterung noch auffällt ist die Toleranz, die sie gegenüber anderen Modellen und Moden pflegen. Da freuen sich die Käfer-Fans zum Beispiel über ein paar Westfalia-Wohnmobile in ihrem Konvoi. Schließlich wurden die nie offiziell nach Argentinien importiert und sind deshalb besonders rar. Und natürlich darf der legendäre Scirocco-Vorläufer SP2 bei einer Clubausfahrt genauso mitmachen wie der T2 oder zur Not auch mal ein neuer Beetle.[foto id=“486707″ size=“small“ position=“right“]

Selbst Gonzales ist ein gern gesehener Gast bei den Club-Treffen. Dabei will nicht nur der junge Mann mit seinen viele Piercings, dem langen Bart und der weit in die Stirn gezogenen Kappe so gar nicht ins Bild der biederen VW-Sammler passen, die ihr Geld als Lehrer, Ingenieure, Bauzeichner oder Schreiner verdienen. Auch seine Autos stechen aus der Flotte draußen auf dem Parkplatz hervor. Während jeder andere VW-Fan seinen Escarabajo liebevoll auf Hochglanz poliert hat, pflegt Gonzales an seinem Käfer und dem T2 den Rost und hat seine Wagen auch sonst ziemlich abgewirtschaftet. Stumpfer Lack, blankes Metall und trübe Scheiben, dazu viel zu große Räder und viel zu wenig Bodenfreiheit – so schabt Gonzales als Lowrider über den schartigen Asphalt – und bekommt von den anderen VW-Fans trotzdem laufend Szenen-Applaus. Erst recht, wenn er nach dem Treffen als erster wieder den Motor anwirft. Dann nämlich bollert keine asthmatische Käfermaschine, sondern es brüllt ein 220 PS starker Boxer aus einem alten Porsche und macht noch einmal richtig Lärm, bevor in Pacheco die Sonntagsruhe zurückkehrt und der Wächter wieder Zeit und Fliegen totschlagen kann.

UNSERE TOP-ANGEBOTE FÜR SIE

MEHR ERFAHREN AUS DEM BEREICH NEWS

Die Transformation: Mit Kia in Walla Walla

Die Transformation: Mit Kia in Walla Walla

Tesla liefert mehr Reichweite

Tesla liefert mehr Reichweite

Elektrischer Familienfreund zum Sparkurs

Elektrischer Familienfreund zum Sparkurs

zoom_photo