Reifenkauf: Das Nässe-Label sollte ‚A‘ heißen

Neue Reifenkonstruktionen bringen die gegensätzlichen Forderungen nach hoher Haftung vor allem auf nasser Straße, nach leichtem Lauf und nach langer Lebensdauer immer besser unter einen Hut. Ablesen lässt sich dies an hervorragenden Noten im neuen Reifen-Label. Bestes Beispiel hierfür ist der brandneue Goodyear-Sommerreifen ‘Efficient Grip Performance’ mit der Topnote ‘A’ im Nassgriff und einem ebenfalls hervoragenden ‘B’ im Rollwiderstand.

Das seit November vergangenen Jahres vorgeschriebene Reifen-Label soll die Aus-wahl erleichtern: Das Angebot in Reifen- und Autohäusern, zunehmend auch im Internet, ist so groß wie unübersichtlich. Die Noten auf dem Label (das meist aus einem Auf¬kleber besteht) sollen dabei helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Gute Reifen tragen dabei ein ‘A’ für den Nassgriff und ein ‘B’ für den Roll¬widerstand. Aber auch mit ‘C’ in beiden Disziplinen ist ein Personenwagen-Rei¬fen noch auf der Höhe der Zeit. Bei M+S-Profilen und bei Reifen für Geländewagen sieht es anders aus, sie sind für andere Aufgaben gerüstet und haben vor allem im Rollwiderstand oft erheblich schlechtere Noten.

Das rechte obere Label-Feld mit der Regenwolke ist dabei das mit Abstand wichtigste: Die Note hier kennzeichnet das Haftvermögen des Reifens auf Nässe. Regen macht Straßen rutschig, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß: Er verringert die übertragba-ren Kräfte je nach Fahrbahnbeschaffenheit um 20 bis 40 Prozent. Um so mehr kommt es auf Reifen an, die auch auf Nässe hohe Haftwerte erreichen.

Wie sich Reifen mit unterschiedlichen Noten in der Praxis auswirken, demonstrierte Goodyear in Bremsversuchen auf nasser Straße. Ein VW Golf mit den neuen Sommer-reifen ‘Efficient Grip Performance’ stand bei vollem Bremsen aus 85 km/h nach etwa 36 Metern. Mit Reifen der schlechtesten Note F wuchs der Bremsweg – wieder aus 85 km/h und bei vollem Druck auf das Pedal – auf runde 42 Meter. Der Unterschied beträgt nur eine gute Autolänge – kann aber katastrophale Folgen haben. Wo das ‘A’-bereifte Auto bereits steht, fährt das ‘F’-Auto noch gut 30 km/h. Wenn es in einer kritischen Situation mit den ‘A’-Reifen gerade noch reicht, prallt das ‘F’-Auto mit diesen 30 km/h auf – was einen schweren Unfallschaden bedeutet, oft sogar Verletzungen für die Insassen.

Der Buchstabe links beim Zapfsäulen-Symbol ist lange nicht so wichtig. Er kennzeich-net den Rollwiderstand: Mit ‘A’, wieder mit ‘sehr gut’, rollt das Auto am leichtesten – und mit dem geringsten Kraftstoffverbrauch. Der Unterschied von Note zu Note beträgt etwa drei Prozent. Von ‘B’ bis zur schlechtesten Note ‘G’ addiert er sich auf bald 20 Prozent. Sie bedeuten allerdings nicht einen Mehrverbrauch in ähnlicher Höhe. Der Rollwiderstand wirkt sich vor allem bei niedrigen Geschwindigkeiten aus, auf der Autobahn ist es vor allem der Luftwiderstand, der den Verbrauch bestimmt. Mit vier bis fünf Prozent Vorteil gegenüber F oder G kann man bei B-Reifen aber rechnen.

Lautsprecher-Symbol und ‘Dezibel’-Zahl unten schließlich repräsentieren das Ge-räusch, das der Reifen unter Messbedingungen verursacht. Gemeint ist nicht der (meist sowieso untergeordnete) Ton nach innen, sondern die Lärmentwicklung nach außen. Bei hohem Tempo leise abrollende Reifen sind für die Umwelt durchaus ein Vorteil. Für Sicherheit und Kraftstoffverbrauch hat dieses Kriterium keine Bedeutung.

Das neue Label wird als Vergleichsmaßstab für Reifen ähnliche Bedeutung bekommen wie der Normverbrauch für das ganze Auto. „Wir erwarten, dass das Label in der kommenden Sommerreifensaison zum ersten Mal deutliche Auswirkungen auf die Kaufentscheidung der Kunden haben wird“, erwartet Michel Rzonzef von Goodyear. Keine Frage, dass die Hersteller versuchen, in allen Disziplinen ‘A’ zu erzielen. Erste Reifen als Prototypen wie in Serienproduktion erreichen den Doppelpack an Bestnote bereits.

Die Gefahr freilich besteht, dass solche Reifen Kompromisse eingehen in anderen Disziplinen. Dazu muss man wissen, dass die verlangten – und im Label benoteten – Eigenschaften einander so zu sagen im Dreieck gegenüber stehen: Leichtlauf beeinträchtigt das Haftvermögen besonders auf nasser Straße und die Lebensdauer – und umgekehrt. Die Kunst der Reifenbauer besteht darin, die widersprüchlichen Forderungen so gut wie möglich unter einen Hut zu bringen.

Die moderne Chemie hilft ihnen dabei wesentlich. Silica, wie es vor bald zwanzig Jah-ren in den Reifenbau einzog (und den bis dato verwendeten Ruß zum Teil ersetzte), lässt die Kompromisse zwar immer noch bestehen, ermöglichte aber geradezu einen Sprung in den Reifen-Qualitäten. Längst werden für den Wulstbereich, die Seitenwän-de, die Zone unter dem Profil und für den Laufstreifen selbst ganz verschiedene, auf ihren Zweck abgestimmte Gummimischungen eingesetzt. Die Profile, ihre Rillen und Blöcke, ihre Einschnitte werden mit denselben Computern berechnet, wie sie die Auto-mobilindustrie für ihre Achsen und Karosserien verwendet. Der TÜV Süd bescheinigte dem Efficient Grip Performance nicht nur hervorragendes Haftvermögen auf Nässe, sondern ebenso auf trockener Straße, dazu einen bis zu 23 Prozent niedrigeren Rollwiderstand gegenüber Wettbewerbsreifen mit der Note E oder F.

„Wir unterstützen das Reifenlabel, da es ein großer Schritt hin zu einem besseren Ver-ständnis für das Produkt Reifen ist“, betont Hugues Despres, Direktor bei Goodyear. Trotzdem empfiehlt er den Blick auf die Testergebnisse in der Fachpresse. Die seriö-sen großen Hersteller schneiden hier in aller Regel mit „sehr empfehlenswert“ ab. De-ren Zweitmarken (etwa Fulda bei Goodyear, Semperit, Uniroyal und Barum bei Conti-nental) erreichen mindestens „empfehlenswert“. Bei unbekannten Reifen fernöstlicher Herkunft empfehlen die Tests nach wie vor größte Vorsicht: Schon eine kleine Karam-bolage wegen zu langem Bremsweg ist viel teurer als die Einsparung durch vier sehr preiswerte Reifen.

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